Mit Klient*innen verhandeln / Bedürfnisse klären / Wohnheim für Menschen mit geistiger Beeinträchtigtigung

Stichwörter:

Die erlebte Sitation findet  an einem Wochenende im Dezember nach Dienstwechsel statt. 

Die PSA  hat eben den Dienst aufgenommen; die Übergabe des Dienstes hat kurz vorher stattgefunden. Die Räumlichkeiten sind offen, so dass die Bewohnerinnen alles überhören können, was besprochen wird. Die Bewohnerinnen haben schon einige Ideen für den Nachmittag. Sie wurden jedoch für die definitive Planung an PSA verwiesen. Eingekauft ist bereits; nur noch ein Sonntagszopf  fehlt. Bewohnerin M möchte den Zopf wenn möglich alleine kaufen gehen.

Anwesend sind nun die PSA und drei Bewohnerinnen: A., M. und U.

Bewohnerin A. ist in ihrer Selbständigkeit auf den Wohnbereich beschränkt.  Beim Einkaufen auf Hilfe angewiesen. Sie ist die Bezugsperson der PSA. 

Kaum verlässt die PSA das Büro, trifft sie im Gang auf ihre Bezugsperson A. Diese freut sich, dass sie einander sehen. A. sagt, sie möchte unbedingt zusammen einen Adventskalender kaufen gehen- einen mit Schoggi. Die PSA antwortet ihr, dass sie dies eine gute Idee finde. Den Weg ins Städtli müssten sie allerdings zu Fuss gehen, da kein Auto frei sei. A. meint, das mache ihr überhaupt nichts aus, sie wolle unbedingt einen Schoggi-Adventskalender kaufen gehen. Das erstaunt die PSA, denn A. möchte oftmals überhaupt nicht aus dem Haus gehen. Sie lobt sie deshalb, dass sie den doch längeren Spaziergang unter die Füsse nehmen will. Die PSA zögert nun und erklärt  A., dass der Advent bereits vor einigen Tagen begonnen habe und es darum vielleicht nicht mehr viele Adventskalender in den Läden haben werde. Die PSA frage A., was machen werde, wenn sie keinen Kalender mit Schoggi mehr finden würden? Würde sie einen andern Kalender kaufen wollen? Oder würde sie möglicherweise wütend werden?  A. meint, das sei ihr egal- sie könne dann ja auch etwas anderes kaufen. Sie verspricht mit Handschlag, sich Mühe zu geben und ruhig zu bleiben. Sie verabreden nun auch, im Städtli einen Kaffee trinken zu gehen, wenn es A. gelingen würde, ruhig zu bleiben.

Bewohnerin M. kann sich in ihrem Wohn- und Lebensumfeld recht selbständig bewegen. Sie ist sehr aktiv und möchte gerne beschäftigt sein. Im Zuge ihrer Zielplanung wurde begonnen, sie kleine Einkäufe selbständig erledigen zu lassen. 

Die PSA geht nun in die Küche, mit A. im Schlepptau. Dort trifft sie auf M. Diese erklärt, sie habe bereits mit PSA des Morgendienstes abgemacht, dass sie alleine einen Zopf, Kartoffeln, Rüebli, Eier Hackfleisch und Brot kaufen gehen werde. Sie hat bereits eine riesige Einkaufstasche vorbereitet und diese mit Leergut gefüllt. Die PSA antwortet ihr, sie sehe, dass es Klientin M. sehr wichtig sei, selbständig einkaufen zu gehen, weil sie schon so viel vorbereitet habe. Klientin M. nickt und lächelt. Die PSA weist sie darauf hin, dass sie aber nur von dem Zopf wisse. Bewohnerin M. wirkt enttäuscht. Die PSA fragt nach, wofür M. so viele Sachen kaufen möchte? Diese erklärt, sie möchte Hacktätschli zum Znacht kochen. Die PSA erklärt ihr nun, dass bereits eingekauft worden sei und dass M. später gerne helfen dürfe, das Abendessen zu kochen. Deshalb braucht es nun nicht noch mehr Lebensmittel, ausser einen Zopf. M. nickt, sie möchte später kochen. Dann weist die PSA die Bewohnerin M. darauf hin, dass die vielen Sachen, die sie kaufen wolle, ein grosses Gewicht hätten. Sie fragt M., ob sie denn alles alleine nach Hause tragen wolle und könne? Diese wird nachdenklich und meint: “ja, das stimmt, das ist schwer.” Sie möchte nun nur noch den Zopf kaufen gehen. 

Jetzt mischt sich A. ein und verkündet, sie würde mit der PSA zusammen ins Städtli einkaufen und Kaffee trinken gehen. M. beharrt darauf, den Zopf alleine kaufen zu wollen. Die PSA schlägt nun einen Kompromiss vor: Sie könnten zuerst zusammen ins Städli  gehen. Danach auf dem Rückweg könnte M. dann selbständig im Quartierladen den Zopf kaufen gehen. Die PSA fragt A., ob es für sie in Ordnung wäre, wenn M. ins Städtli mitkommen würde? Diese meint, das sei kein Problem. Die PSA lässt  M. nun die Wahl: sie darf den Zopf ohne Begleitung kaufen gehen, hat dann aber auch für den Rest des Tages nichts mehr zu tun und es könnte ihr langweilig werden – oder sie kommt zuerst mit der PSA und A. mit, und kauft den Zopf auf dem Rückweg alleine. Sie entscheidet sich nun für die zweite Variante.

Bewohnerin U. ist älter und geht nicht gern unter Leute. Freie Zeit verbringt sie am liebsten auf dem Sofa liegend. Sie stösst sich manchmal an den Aktivitäten und dem Lärm der jüngeren Mitbewohner. 

Die PSA geht zusammen mit M. und A. weiter ins Wohnzimmer, wo Bewohnerin U. auf dem Sofa liegt. Diese ruft schon von Weitem, sie wolle heute zuhause bleiben! Die PSA erklärt U. die bereits bestehenden Pläne und fragt, ob sie nicht auch mitkommen wolle? Etwas Laufen würde ihr gut tun! Im Städtli würden dann alle zusammen einen Kaffee trinken gehen. U. lehnt ab- Sie habe doch lieber ihre Ruhe und wolle in der WG bleiben. Die PSA weist sie darauf hin, dass sie etwa 2- 3 Stunden allein sein werde und frage sie, ob ihr das nichts ausmache? Sie meint: “nein, nein,- das ist gut so!” Die PSA akzeptiert nun U.`s Entscheidung. Sie weist sie darauf hin, dass sie das handy mitnehmen werde, um im Notfall erreichbar zu sein. Sie fragt nun nochmals alle Bewohnerinnen, ob sie verstanden hätten, wie der Nachmittag gestaltet werde und ob sie damit zufrieden seien? Die Bewohnerinnen bejahen.

Erste Sequenz

Kaum verlässt die PSA das Büro, trifft sie im Gang auf ihre Bezugsperson A. Diese freut sich, dass sie einander sehen. A. sagt, sie möchte unbedingt zusammen einen Adventskalender kaufen gehen- einen mit Schoggi. Die PSA antwortet ihr, dass sie dies eine gute Idee finde. Den Weg ins Städtli müssten sie allerdings zu Fuss gehen, da kein Auto frei sei. A. meint, das mache ihr überhaupt nichts aus, sie wolle unbedingt einen Schoggi-Adventskalender kaufen gehen. Das erstaunt die PSA, denn A. möchte oftmals überhaupt nicht aus dem Haus gehen. Sie lobt sie deshalb, dass sie den doch längeren Spaziergang unter die Füsse nehmen will. Die PSA zögert nun und erklärt  A., dass der Advent bereits vor einigen Tagen begonnen habe und es darum vielleicht nicht mehr viele Adventskalender in den Läden haben werde. Die PSA frage A., was machen werde, wenn sie keinen Kalender mit Schoggi mehr finden würden? Würde sie einen andern Kalender kaufen wollen? Oder würde sie möglicherweise wütend werden?  A. meint, das sei ihr egal- sie könne dann ja auch etwas anderes kaufen. Sie verspricht mit Handschlag, sich Mühe zu geben, ruhig zu bleiben. Sie verabreden nun auch, im Städtli einen Kaffee trinken zu gehen, wenn es A. gelingen würde, ruhig zu bleiben.

Reflection in Action

  • Emotion Klient/in: Ich freue mich, meine Bezugsperson ist wieder da! Ich bin ungeduldig- ich will unbedingt einen Kalender kaufen gehen- alle haben einen, nur ich nicht! Meine Bezugsperson hört mir zu, ich merke, sie will gerne etwas mit mir zusammen machen. Sie fragt mich schwierige Sachen- vielleicht  wird es keine Kalender mehr haben! Ich bin enttäuscht. Auch etwas hässig. Aber die SPA will mir trotzdem helfen. Sie schaut gut zu mir; ich fühle mich unterstützt. Darum will ich auch versprechen, nicht wütend zu sein, wenn es keine Schoggikalender mehr hat. Ich freue mich darauf,dass wir zusammen einen Kaffee trinken gehen wollen, da will mir wirklich Mühe geben und nicht hässig werden!
  • Emotion Professionelle/r: Ich fühle mich überrumpelt: A. lässt mir kaum Zeit, adäquat zu reagieren. Sie lässt mir vor lauter Entusiasmus kaum Luft. Ich brauche Distanz. Ich zögere- was, wenn es keine brauchbaren Kalender mehr hat? Ich befürchte, sie könnte dann anfangen, im Laden rumzuschreien. Angst steigt in mir auf- kann ich das alleine bewältigen? Ihre Freude ist aber auch ansteckend- das löst in mir Wohlwollen aus, aber ich bleibe trotzdem vorsichtig.
  • Kognition Professionelle/r: Bewegung ist für A. in jedem Fall gut. Oft sitzt sie stundenlang in ihrem Zimmer. Ich möchte ihren Wunsch deshalb auf jeden Fall nachkommen. Auch möchte ich gerne mit ihr zusammen etwas unternehmen, da sie meine Bezugsperson ist. Ich muss aber auch die Bedürfnisse der andern Bewohner berücksichtigen und kann mich nicht nur auf A. einlassen.
  • M. will ja auch einkaufen gehen, das sollten wir irgendwie unter einen Hut bringen können. Ich muss A. aber unbedingt vorgängig darauf hinweisen, dass wir länger unterwegs sein werden und dass ihre Vorstellungen vielleicht enttäuscht werden. Ein Frust ist sonst vorprogrammiert und in der Öffentlichkeit schwierig zu handeln. Ich möchte ihr deshalb das Risiko, enttäuscht zu werden jetzt schon bewusst machen. So können wir zusammen über Möglichkeiten nachdenken, wie sie mit der eventuellen Enttäuschung umgehen kann. Einen Cafébesuch als Belohnung in Aussicht zu stellen, könnte sie zusätzlich motivieren.

 

Zweite Sequenz

Die PSA geht nun in die Küche, mit A. im Schlepptau. Dort trifft sie auf M. Diese erklärt, sie habe bereits mit PSA des Morgendienstes abgemacht, dass sie alleine einen Zopf, Kartoffeln, Rüebli, Eier Hackfleisch und Brot kaufen gehen werde. Sie hat bereits eine riesige Einkaufstasche vorbereitet und diese mit Leergut gefüllt. Die PSA antwortet ihr, sie sehe, dass es Klientin M. sehr wichtig sei, selbständig einkaufen zu gehen, weil sie schon so viel vorbereitet habe. Klientin M. nickt und lächelt. Die PSA weist sie darauf hin, dass sie aber nur von dem Zopf wisse. Bewohnerin M. wirkt enttäuscht. Die PSA fragt nach, wofür M. so viele Sachen kaufen möchte? Diese erklärt, sie möchte Hacktätschli zum Znacht kochen. Die PSA erklärt ihr nun, dass bereits eingekauft worden sei und dass M. später gerne helfen dürfe, das Abendessen zu kochen. Darum braucht es nun aber nicht noch mehr Lebensmittel, ausser einen Zopf. M. nickt, sie möchte später kochen. Dann weist die PSA die Bewohnerin M.darauf hin, dass die vielen Sachen, die sie kaufen wolle, ein grosses Gewicht hätten. Sie fragt M., ob sie denn alles alleine nach Hause tragen wolle und könne? Diese wird nachdenklich und meint: “ja, das stimmt, das ist schwer.” Sie möchte nun wirklich nur noch den Zopf kaufen gehen. 

Reflection in Action

  • Emotion Klient/in: Ich bin entschlossen- heute gehe ich ganz alleine einkaufen! Ich weiss, kann das, einen Zopf kaufen, und eigentlich kann ich noch viel mehr! Ich will unbedingt beweisen, dass ich selbständig sein kann! Darum habe ich daran gedacht, die leeren Flaschen mitzunehmen. Die PSA hat glaub‘ ich gemerkt, dass es mir wichtig ist. Sie sagt es ja auch. Sie weiss auch, dass ich gerne beim Kochen helfe. Ich fühle mich verstanden. Sie sagt aber auch, ich hätte mir zu viel vorgenommen- oh nein! sie hat mich durchschaut! Ich werde nachdenklich: stimmt das, was sie sagt? Ich habe Angst, dass sie mich jetzt doch nicht alleine gehen lassen will! Aber vielleicht hat sie auch recht. Ich bin hin- und hergerissen. 
  • Emotion Professionelle/r:  Ich fühle mich herausgefordert: jede will was anderes! M. hat sich gut vorbereitet; sie scheint sehr entschlossen zu sein, das finde ich eigentlich gut! Allerdings nervt es auch ein wenig, dass sie versucht, mich mit der langen Einkaufsliste zu überzeugen. Sie kennt die Abmachungen! Wenn ich aber so überlege, kann ich sie eigentlich verstehen. Ich will auf sie und ihren Wunsch eingehen, werde wohlwollend, komme ihr entgegen. Aber ohne Einsicht ihrereseits wird es nicht gehen! Ich bemühe mich, ihr die Sachlage aufzuzeigen.
  • Kognition Professionelle/r: Auch bei  M. kommt mir viel Entschlossenheit entgegen. Wie kann ich die Bedürfnisse von A. und M. zusammenbringen? Ich möchte M. das Gefühl geben, dass sie von mir in ihrem Wunsch nach Selbständigkeit unterstützt wird! Allerdings wird es so, wie sie es im Kopf hat, nicht gehen. Ich merke, dass M. sich etwas viel vorgenommen hat. Wenn ich ihrem Wunsch nach Autonomie nachkommen möchte, muss ich gleichzeitig viele weitere Faktoren berücksichtigen. Ich versuche, an ihre Vernunft zu appellieren und ihr die Konsequenzen ihrer Pläne aufzuzeigen. Ich merke, dass sie daraufhin einlenkt. 

 

Dritte Sequenz

Nun mischt sich A. ein und verkündet, sie würde mit der PSA zusammen ins Städtli einkaufen und Kaffee trinken gehen. M. beharrt darauf, den Zopf alleine kaufen zu wollen. Die PSA schlägt nun einen Kompromiss vor: Sie könnten zuerst zusammen ins Städli  gehen. Danach auf dem Rückweg könnte M. dann alleine im Quartierladen den Zopf kaufen gehen. Die PSA fragt A., ob es für sie in Ordnung wäre, wenn M. ins Städtli mitkommen würde? Diese meint, das sei kein Problem. Die PSA lässt  M. nun die Wahl: sie darf den Zopf alleine kaufen gehen, hat dann aber auch für den Rest des Tages nichts mehr zu tun und es könnte ihr langweilig werden – oder sie kommt zuerst mit der PSA und A. mit, und kauft den Zopf auf dem Rückweg alleine. Sie entscheidet sich nun für die zweite Variante.

Reflection in Action

  • Emotion Klient/in: M. : Ich bin hin und hergerissen! Sie wollen zusammen gehen, aber ich will auch alleine was machen! Kaffee trinke ich zwar gerne, und ich gehe auch gerne ins Städtli. Der Vorschlag, dass ich nachher selber noch einkaufen kann, gefällt mir!  So kann ich doch selber bestimmen und beweisen, was ich kann! Sie haben mich überzeugt; so ist es besser! Zuerst zusammen, dann alleine- so machen wir es!
    A.: Ich fühle mich erwartungsvoll: das wird schön mit meiner Bezugsperson zusammen! Da kann auch M. noch mitkommen, dann haben wir zusammen Spass!
  • Emotion Professionelle/r: Ich fühle mich erleichtert, ein Kompromiss ist in Sicht! Ich finde es schön von A., dass sie mich nicht für sich alleine haben will. Dass M. meine Argumente verstanden hat und sich auf einen Kompromiss einlässt, erfüllt mich mit Genugtuung.
  • Kognition Professionelle/r: Es kann ein schönes Erlebnis sein, zusammen etwas zu unternehmen. Ausserdem habe ich M.`s Risikoeinschätzung im Hinterkopf. Ich möchte deshalb versuchen, M. in die gemeinsamen Pläne von A. und mir zu integrieren. Die Bemerkung von A., wir würden zusammen Kaffee trinken gehen, motiviert M. zusätzlich. Ich überlasse ihr nun die Entscheidung und gebe ihr deshalb zwei Optionen zur Auswahl.

 

 

Vierte Sequenz

Die PSA geht zusammen mit M. und A. weiter ins Wohnzimmer, wo Bewohnerin U. auf dem Sofa liegt. Diese ruft schon von Weitem, sie wolle heute zuhause bleiben! Die PSA erklärt U. die bereits bestehenden Pläne und fragt, ob sie nicht auch mitkommen wolle? Etwas Laufen würde ihr gut tun! Im Städtli würden dann alle zusammen einen Kaffee trinken gehen. U. lehnt ab- Sie habe doch lieber ihre Ruhe und wolle in der WG bleiben. Die PSA weist sie darauf hin, dass sie etwa 2- 3 Stunden allein sein werde und frage sie, ob ihr das nichts ausmache? Sie meint: “nein, nein,- das ist gut so!” Die PSA akzeptiert nun U.`s Entscheidung. Sie weist sie darauf hin, dass sie das handy mitnehmen werde, um im Notfall erreichbar zu sein. Sie fragt nun nochmals alle Bewohnerinnen, ob sie verstanden hätten, wie der Nachmittag gestaltet werde und ob sie damit zufrieden seien? Die Bewohnerinnen bejahen.

Reflection in Action

  • Emotion Klient/in: Es ist bequem hier auf meinem Sofa- ich bin entschlossen, hier zu bleiben! Es stört mich etwas, dass die PSA mich drei mal fragt, ob ich mitkommen will! Kaffee trinken? Nein, das intressiert mich heute nicht- ich fühle mich zu müde, um dafür so weit zu laufen! Es ist zwar nett, dass mich alle fragen, ob ich mitkommen will- ich fühle  mich von ihnen angenommen. Aber eigentlich habe ich halt am liebsten meine Ruhe.…
  • Emotion Professionelle/r: Ich versuche, einen Felsen ins Rollen bringen! ich bin realistisch: ich kenne U. und weiss, dass ich  keine Chance habe, auch nicht mit Motivierungsversuchen. Ich bin zwar erfreut, dass die andern nicht so schnell aufgeben!  
  • Kognition Professionelle/r: Eigentlich wäre es gut, wenn auch U. sich noch etwas bewegen würde, anstatt den ganzen Mittag auf dem Sofa zuzubringen. Ich spüre aber, dass ich bei so viel Entschlossenheit keine Chance habe. Auch die andern Bewohnerinnen vermögen nicht, sie mit ihrer Motivation anzustecken. Da sie sich unbeaufsichtigt  für längere Zeit alleine in der Wohngruppe aufhalten darf, akzeptiere ich ihre Entscheidung. Vielleicht ist ihr wirklich besser gedient, wenn sie die nächsten Stunden die Ruhe in der WG geniessen kann. Wir haben das schon oft so gemacht.
 

5.1      Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?

Empowerment.

  • In der modernen Agogik steht die Befähigung zur Selbstbestimmung an oberster Stelle. Indem der Fokus von allfälligen Defiziten der Person weg und hin zu ihren Talenten, Fähigkeiten und Stärken der Bewohner gelenkt wird, eröffnen sich auch in Bezug auf das Ausleben ihrer persönlichen Wünsche und Bedürfnisse ganz neue Möglichkeiten. Es wird auch dem Menschen mit Beeinträchtigung zugetraut, dass er Stärken und Ressourcen besitzt, sein Leben selber zu gestalten. Es muss deshalb in jeder neuen Situation die Frage gestellt werden, ob professionelle Begleitung wirklich nötig ist oder ob darauf verzichtet werden kann.
  •  Empowerment-Konzept nach Georg Theunissen
  • “Ausgangspunkt des Empowerment-Konzepts ist der radikale Bruch mit dem Defizit-Blickwinkel in der Heilpädagogik, Menschen mit Behinderung… ausschliesslich im Lichte von Schwächen, Mängeln, Versagen, Hilflosigkeit, Inkompetenz oder gar pathalogischer Auffälligkeiten wahrzunehmen und zu behandeln…..Stattdessen hat sich das Empowerment- Konzept einem optimistisch gestrickten Menschenbild verschrieben, wie es unter anderem C. Rogers (1974) als Vertreter der “humanistischen Psychologie” herausgearbeitet hat. Demnach entwickelt sich die Persönlichkeit eines Menschen nach Massgabe einer im Organismus angelegten Tendenz zur Selbstaktualisierung im Rahmen sozialer Beziehungen, in denen der Betreffende dieses sein Selbstwerden erfährt. Die Selbstentfaltung gilt als gelungen, wenn ein Individuum sein Wachstumspotemtial ausschöpft, ohne dies auf Kosten anderer zu tun. Das damit einhergehende unbedingte Vertrauen in Stärken und Potentiale eines jeden Menschen, Lebenssituationen in eigener Regie produktiv zu gestalten, ist der Kern und Kristallisationspunkt aller Empowerment Gedanken.” (G. Theunissen 2002, S.20, 22, 26,)
    Die PSA nimmt  die Ideen auf, die ihr entgegengebracht werden und versucht, diese sowohl für den Einzelnen als auch für die Gruppe stimmig zu gestalten. Sie traut jeder Bewohnerin zu, für sich den richtigen Entscheid fällen zu können.
    Im Fall von A. geht sie auf deren Wunsch nach einem Adventskalender -Kaufen ein, obwohl der Zeitpunkt dafür nicht ideal erscheint. Im Fall von M. nimmt sie deren Wunsch nach Autonomie und selbständigem Einkaufen ernst und versucht, einen Weg zu finden, das Vorhaben realistisch zu planen.  Im Fall von U. akzeptiert sie deren Wunsch, alleine zuhause zu bleiben.
  • Die PSA möchte, dass die Bewohnerinnen den Nachmittag mitgestalten können und ist deshalb bestrebt, ihre Vorschläge in die Tat umzusetzen. Sie traut ihnen zu, bereits bei der Vorselektion möglicher Freizeittätigkeiten eine für sie richtige Wahl getroffen zu haben. Sie möchte die Bewohnerinnen in ihrer Selbständigkeit unterstützen und nur dort Hilfe und Begleitung anbieten, wo diese ausdrücklich gewünscht wird oder erforderlich ist. Eigeninitiative lobt und unterstützt sie ausdrücklich.

 

Inklusion:

  • Inklusion oder Teilhabe meint das Recht beeinträchtigter Menschen auf soziale und gesellschaftliche Zugehörigkeit. Dieses wurde 1995 im The Arc of new Jersey wie folgt beschrieben:
  • ” Erwachsene mit intellektueller Behinderung sollten Möglichkeiten haben, Für eine grösstmögliche Kontrolle ihres eigenen Lebens, für Partnerschaften, Freundschaften oder Lebensgemeinschaften, in einem eigenen Zuhause zu leben, einer für sie bedeutungsvollen Arbeit nachgehen zu können, an Freizeitaktivitäten zu partizipieren und sich zu erfreuen, ein spirituelles Leben zu pflegen. Unterstützungsleistungen die Menschen mit intellektueller Behinderung benötigen, sollten ihnen…..zusammen mit nicht behinderten Menschen angeboten werden.“ ( deutsche Übersetzung von E. Wüllenweger, Original ohne Seitenangabe; E. Wüllenweger 2014, S.64-66)
  • Die PSA unterstützt die Entscheide der Bewohnerinnen, in ihrer Freizeit die Institution zu verlassen und sich beim Einkaufen unter anderen Menschen aufzuhalten. Sie versucht, alle Bewohnerinnen zu einem Spaziergang in die nähere Umgebung zu motivieren.
  • Führung nach C. Rogers
     Ein Konzept für die Führung und ein Paradox nach C. Rogers. “Der wirkungsvollste Gruppenleiter ist der, der die Bedingungen schaffen kann, aufgrund derer er in Wirklichkeit die Führung verliert. So wird die Person, die sich als Leiter einer Gruppe erkennt, durch Schaffung der erforderlichen Bedingungen die Führungs-Funktion unter die Gruppe verteilen. Es scheint, als bestünde eine direkte Beziehung zwischen dem Grad, bis zu dem die Führung an die Gruppe übergeben worden ist, und dem Ausmass, bis zu dem die Gruppe sich das maximale Potential ihrer Mitglieder zunutze macht.  Die Ähnlichkeit zwischen diesem Prinzip und der Überzeugung des klientenbezogenen Beraters, dass umso mehr Kräfte und Fähigkeiten im Klienten freigelegt werden, je bereiter er ist, dem Klienten die Verantwortung und Lenkung seines Lebens zu überlassen, ist erstaunlich.” (C. Rogers, 2012, S.298) 
  • Die PSA versteht sich nicht als Leiterin einer Gruppe, in der sie die Themen und die Richtung vorgibt. Vielmehr greift sie nur dort  ein, wo es unbedingt erforderlich ist. Sie versucht, den Bewohnerinnen die möglichen Konsequenzen ihrer Entscheide aufzuzeigen. Indem sie mögliche Konsequenzen klar anspricht und sich rückversichert, dass die Bewohnerinnen trotzdem bei ihren Entschlüssen bleiben wollen, übergibt sie ihnen Verantwortung. Damit macht sie in der Führung des Einzelnen und der Gruppe einen Schritt zurück und lässt den Bewohnerinnen Raum, eigenverantwortlich zu handeln. Den sich entwickelnden Gruppenprozess (gemeinsamer Einkauf) unterstützt sie, indem sie die gegenseiteige Einwilligung der Teilnehmer einholt.

 

 

5.2      Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?

Konsultative Assistenz im Zeichen von Empowerment und Inklusion:

  • Laut Wülleweber ist die” konsultative Assistenz” eine Methode der Gesprächsführung, die in der personen-zentrierten Planung im Sinne von Empowerment und Inklusion gute Dienste leistet. Der SPA greift darin individuelle Ressourcen des Klienten auf und versucht, ihn zu eigenen Entscheidungen hinzuführen. Die daraus folgende Selbstbestimmung stärkt die Persönlichkeit und zielt auf die Partizipation und Emanzipation des Klienten.
  • “Die konsultative Assistenz… stellt ein methodisches Instrument dar, das Menschen mit Lernschwierigkeiten dazu verhelfen kann, im Verlaufe einer Planungsrunde Ideen zu reflektieren und eigene Entscheidungen nach einer Prüfung von Vor- und Nachteilen zu treffen sowie die auf Grundlage einer Planung erschlossenen Vorstellungen und Ziele umzusetzen, damit verknüpfte Probleme zu lösen oder Fragen zu beantworten.” (Wüllenweber 2014, s.66)
  • Die PSA geht in den Gesprächen mit den Bewohnerinnen auf die von ihnen geäusserten Wünsche ein. Die Bewohnerinnen können sie als Ratgeberin konsultieren, sind aber nicht zwingend von ihrem Imput abhängig. Bei sich abzeichnenden Widersprüchen oder Schwierigkeiten zeigt die PSA diese auf und fordert die Bewohnerinnen auf, daraus resultierend selbständig Schlüsse zu ziehen und ihre Pläne dementsprechend anzupassen.

 

Spiegeln, Feedback und Ich-Botschaften

  • In der Gesprächsführung sind Spiegeln und Feedback hilfreiche Methoden. Menschen mit Beeinträchtigung können oftmals die Konsequenzen ihrer Handlung nur ungenügend einschätzen und sind eingeschränkt in ihrer Perspektivenübernahme und im sich-Vorstellen und Erfassen – Können von Kontexten. In Gesprächen sind deshalb  Rückmeldungen seitens der PSA  hilfreich, um aufzuzeigen, wie sie selber von andern wahrgenommen werden (Spiegeln). Mittels Ich- Botschaften kann der PSA veranschaulichen, wie die von der beeinträchtigten Person geäusserten Bedürfnisse oder Gefühle verstanden werden (feedback). Dadurch erhalten sie eine andere Perspektive über das von ihnen Gesagte. Dies wiederum erleichtert ihnen, Konsequenzen besser einzuschätzen, eigene Lösungen zu finden und letztendlich selbständige Entscheidung zu fällen.
  • Ernst Wüllenweber weist im Kapitel “Spiegeln und Fededback” auf die besondere Bedeutung dieser  Methoden im Kontext Geistige Behinderung hin: “Spiegeln und Feedback dienen dazu, dass das Selbstbild und das Fremdbild eines Menschen nicht zu weit auseinanderdriften…bzw das Fremdbild erkennen zu können. Diese Fähigkeit fällt Menschen mit geistiger Behinderung… schwer, weshalb sie von gezieltem Spiegeln und Feedback besonders profitieren können…. Um gezielt und angemessen zu spiegeln, bedarf es einiger Voraussetzungen: Empathie,…Perspektivenübernahme,…sensibler Umgang,…Kontextbezug…und Eindeutigkeit…. Ein Feedback (engl= Rückkoppelung, Rückmeldung, Rückinformation) ist eine verbale Mitteilung an eine Person über deren Verhalten oder Leistung, wie diese von andern wahrgenommen, verstanden und eingeschätzt wird…..Ebenso wie das Spiegeln ist das Feedback eine pädagogische Methode, um in der Kommunikation oder in der Gesprächsführung den Klienten gezielt Rückmeldung zu geben. Ein Feedback sollte beschreibend, also nicht abstrakt, und konkret, also nicht allgemein, erfolgen. Zudem sollte ein Feedback ehrlich sein, was nicht bedeutet, dass man alles sagt, was man denkt.” (E. Wüllenweber, 2014, S.23, 24, 25, 26)
  • „Bei richtig ausgesprochenen Ich-Botschaften fordern Sie nichts, sondern lassen ihr Gegenüber nur wissen, was Sie bewegt oder was Ihnen Sorge macht… Im Allgemeinen bewirken Ich- Botschaften Interesse und ein gegenseitiges Sich-Öffnen. Denn sie greifen grundsätzlich nicht in die Freiheit und Autonomie des andern ein.“ (F. Glasl, 2008, S.129)  
  • Die PSA versucht, bei ihren Aussagen bei sich selber zu bleiben und die Äusserungen der Bewohnerinnen nicht zu werten.. Mit Ich- Botschaften kennzeichnet sie subjektive Aussagen als solche. Damit schafft sie professionelle Distanz und Klarheit und beeinflusst die Bewohnerinnen nicht mit eigenen Vorstellungen. Die PSA reagiert auch bei komplexeren Zusammenhängen mit konstruktivem Feedback. Sie wiederholt/ spiegelt die geäusserten Absichten und zeigt die daraus folgenden Konsequenzen (langes Alleine-Sein, grosses Gewicht der Einkäufe, langer Spaziergang) so auf, dass die Bewohnerinnen diese verstehen können. Durch sachliches Feedback vermeidet sie nicht konstruktive Diskussionen.

 

Motivation in der Selbstbestimmungstheorie
Die Selbstbestimmungstheorie SDT wurde von M. Ryan und L. Deci entwickelt. Laut SDT handelt ein Mensch umso selbstmotivierter, je eher sein Bedürfniss nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit befriedigt werden. Durch motiviertes Verhalten entsteht schlussendlich Wohlbefinden. Dafür scheint vor allem der Autonomiegrad einer Motivation (ist also eine Handlung mehr oder weniger selbstreguliert?) wichtig zu sein:

  • „Ist ein Verhalten autonom motiviert, so ist es im Vergleich zu einem fremdbestimmt motivierten Verhalten gleicher Motivationsstärke effektiver, vor allem, soweit Kreativität, Problemlöseverhalten oder Durchhaltevermögen gefragt sind, und besitzt somit eine höhere Qualität. Zugleich ist es mit besserer psychischer Gesundheit und Wohlbefinden verbunden…. Die Eigenschaften autonom motivierten Verhaltens lassen sich auf die motivationsbestimmenden Faktoren der einzelnen Person verallgemeinern: Eine eher stabile interne Ursachenzuschreibung und ein eher intrinsisches Motivationssystem haben generell grösseres psychisches Wohlbefinden und effektiveres und damit qualitativ höheres Verhalten zur Folge.“(https://de.m.wikipedia.org/wiki/Selbstbestimmungstheorie)
  • In der genannten Situation ist die PSA mit gegesätzlichem Verhalten seitens der Bewohnerinnen konfrontiert: A. möchte unbedingt etwas gemeinsam unternehmen. Ihr scheint die soziale Eingebundenheit wichtig zu sein, da sie auch die beiden andern überreden möchte, mitzukommen. M. möchte in erster Linie etwas selbständig unternehmen. Sie ist vor allem durch den Autonomiegedanken getrieben, aber auch der Wille zum Erlernen von Kompetenzen steht im Vordergrund. Anders äussert sich U.: ihr sind weder soziale Eingebundenheit noch das Ausüben von Kompetenzen wichtig, sondern das Bedürfnis, sich auszuruhen und alleine zu sein. Dafür allerdings entscheidet sie sich autonom. Die PSA unterstützt die Wünsche der Bewohnerinnen, da sie überzeugt geäussert wurden und für alle Bewohnerinnen bei erfolgreichem Ablauf Wohlbefinden versprechen. Mit der Aussicht auf eine Belohnung (Café-Besuch), setzt sie jedoch bewusst auch äussere Anreize, um erwünschtes Verhalten (bei U.: Bewegung/ bei A.: Ruhe bewahren) zu erzielen oder zu verstärken.

 

 

5.3      Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?

  • Die PSA muss in ihrem Alltag immer wieder Gesprächen führen, in welchen Sie mit Bewohnern deren Bedürfnisse wahrnehmen, verstehen, benennen und besprechen muss. Sie kennt darum die komunikativen Möglichkeiten der einzelnen Beteiligten und versucht, die Gespräche dementsprechend zu gestalten. Sie weiss, dass die Bewohnerinnen die PSA  im Allgemeinen gut verstehen und bei Unklarheiten nachfragen können. Sie kann auch davon ausgehen, dass die Aussagen der Bewohnerinnen ernstzunehmen und mit späterem Verhalten meist kongruent sind.
  • Die PSA machte die Erfahrung, dass es sinnvoll ist, bevorstehende Unternehmungen genau vorzubesprechen. Dadurch können spätere Missverständnisse oder Enttäuschungen vermieden werden. 
  • Zu A.:Ihre Motivation orientiert sich meist daran, wozu sie gerade Lust hat. Es kann vorkommen, dass sie freie Tage ausschliesslich in ihrem Zimmer am TV verbringt. Daher unterstützt die PSA ihre Eigeninitiative. Es kam allerdings schon vor, dass A. beim Einkaufen eine grosse Unruhe entwickelte, weil für sie die Vielfalt der angebotenen Wahren eine Reizüberflutung darstellte. Dehalb hält es die PSA für angezeigt, mit A. bereits im Vorfeld Abmachungen zu treffen, worauf sie sich beim Einkaufen konzentrieren will. Bei der Planung dürfen Erwartungen nicht zu hoch gesteckt werden. Deshalb spricht sie eventuelle Stressfaktoren bereits vorher an. Die PSA verbalisiert  potentiell mögliche Gefühlsausbrüche von A. und versucht, mit ihr zusammen einen gemeinsamen Weg aus der möglicherweise schwierigen Situation vorzubereiten.
  • Zu M.: Sie ist eine Person mit viel Eigeninitiative und daher leicht zu motivieren und zu aktivieren. Sie ist in der Lage, einen kleinen Einkauf alleine zu tätigen. Die PSA vermutet, dass es ihr langweilig werden wird, falls sie nach kurzer Zeit wieder zurück ist. Wenn sie mit andern Bewohnern alleine ist, ärgert sie diese gerne. Deshalb darf sie sich nicht mit andern Bewohnern zusammen ohne Anwesenheit der PSA in der Wohngruppe aufhalten. M. selber hat den Überblick nicht vollständig über die zeitlichen Abläufe eines Nachmittages und kann schlecht abschätzen, wie lange ein Einkauf dauern wird. Dem versucht die PSA, im Gespräch entgegenzuwirken und beschreibt klar, wie ihre umgesetzten Pläne aussehen könnten. Sie weiss, dass für M. Selbstbestimmung sehr wichtig ist. Deshalb gibt sie ihr schlussendlich die Wahl zwischen zwei möglichen Varianten. Hätte M. nur den selbständigen Einkauf und damit das später Alleinsein zusammen mit U. gewählt, hätte die PSA die Aufsicht der beiden mit der Nachbarswohngruppe zusammen organisieren müssen. Es ist ratsam, mit M. vorher zu besprechen, wann eine Unternehmung ihr Ende findet, da sie oft nicht gerne nach Hause geht. So lassen sich Übergänge konfliktfreier gestalten.
  • Zu U.: Sie fühlt sich oft müde und scheint antriebslos. Sie wäre in der Lage, die geplante Strecke zu Fuss zurückzulegen, zieht es aber an freien Tagen oft vor, zu Hause zu bleiben. In der Vegangenheit kam sie manchmal auf einen Spaziergang mit, wenn sie den Besuch eines Restaurants vor Augen hatte. Die PSA versucht deshalb, sie extrinsisch zu motivieren, indem sie ihr den Besuch eines Cafés in Aussicht stellt. Als U. auch auf diesen Motivationsversuch nicht eingeht, akzeptiert die PSA U`s Entscheidung, zuhause zu bleiben. Da sie schon oft alleine in der Wohngruppe blieb, ist nicht von Zwischenfällen oder Schwierigkeiten auszugehen.

 

5.4      Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?

  • In der Frage, welche Risiken sich im Umgang mit einer Person ergeben, orientiert sich die PSA an der Risikoeinschätzung. Darin stehen alle denkbaren Sicherheitsfragen und entsprechende Präventions- und Handlungsmassnahmen aufgelistet. Es ist darin auch ersichtlich, ob sich ein Bewohner alleine in der Wohngruppe aufhalten darf, oder ob er beispielsweise selbständig einkaufen gehen darf. Optimalerweise hat die PSA die entsprechenden Eckdaten im Kopf oder klärt ab, bevor sie sich auf ein verhandelndes Gespräch einlässt.
  • Mit sogenannten Ziel- und Interventionplanungen definiert eine PSA Bereiche ihrer Bezugsperson, wo der Klient selber Wünsche zur Veränderung äussert (Ziel), oder wo seitens der PSA Handlungsbedarf besteht (Intervention). Diese Entwicklungsplanungen werden im Team diskutiert; Teilziele und Prozess werden schriftlicht festgehalten. Idealerweise fliessen Aspekte daraus in eine Verhandlung oder Bedürfnisklärung mit ein und unterstützen deren Inhalt.
    Bezüglich Bezugspersonenarbeit stellen sich für die Verhandlungsgespräche mit Bewohnern folgende Fragen: ist unter den Bewohnern die eigene Bezugsperson anwesend? Bestehen Abmachungen z.B. in Bezug auf Zeit zusammen- verbringen, Geld ausgeben etc? Kennt die PSA Abmachungen der anderen PSAs  in Bezug auf die anwesenden Bewohner und muss sie diese berücksichtigen?
  • Von A. weiss die PSA, dass sie bei allen Verrichtungen ausserhalb der Institution auf Hilfe und Begleitung angewiesen ist.  Sie muss also immer begleitet werden. Weiter kennt sie ihre geringe Frustrationstoleranz (Risikoeinschätzung). Dieses Wissen führt zur Frage, wie A. im Fall von ausverkauften Adventskalendern reagieren werde. Die PSA muss also potentielle Stressfaktoren schon im Vorfeld  erkennen und sich die Frage stellen, wie sie damit umgehen könnte. A. ist auch die Bezugsperson der PSA. A. wünscht sich schon lange, mit ihrer Bezugsperson zusammen einkaufen zu gehen. Im Interesse der Bezugspersonenarbeit ist die PSA deshalb geneigt, A.`s Wunsch nachzukommen.
  • M. darf im Zuge ihrer Zielplanung kleine Einkäufe selbständig erledigen, hat aber noch nicht viel Übung darin. Die PSA möchte deshalb M.`s Initiative diesbezüglich nicht aussen vor lassen. Allerdings darf sie sich wegen erhöhtem Konfliktpotential nicht zusammen mit andern Bewohnern in der Wohngruppe aufhalten, wenn keine Betreuungsperson vor Ort ist (Risikoeinschätzung). Die PSA muss also auch hier versuchen, potentiellem Stress vorzubeugen, soll M. U. später nicht stören. Würde M. auf dem kurzen selbständigen Einkauf beharren, würde die PSA  versuchen, M. danach auf der Nachbarswohngruppe unterzubringen. Trotzdem möchte die PSA  M. in ihrem Bestreben stärken, Selbständigkeit und Verantwortung beim Einkaufen zu üben.
    U. darf alleine in der Wohngruppe bleiben. Die PSA muss lediglich Vorkehrungen treffen, um erreichbar zu sein (handy), und die Nachbarswohngruppe informieren (Risikoeinschätzung).

 

5.5      Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können? 

  • Wenn  “Empowerment” im Heilpädagogischen Bereich im Allgemeinen und im Verhandelnden Gespräch im Besonderen umgesetzt werden soll, setzt dies eine grosse Vielseitigkeit voraus: auf der verbalen Ebene muss die PSA mit grundlegenden Regeln der Gesprächsführung (nachfragen, motivieren, loben, wiederholen/spiegeln, etc) vertraut sein. Zudem muss sie fähig sein, komplexe Sachverhalte oder Gefühle in einfache Worte fassen zu können. In Bezug auf die Bewohner muss sie zum einen die Eigenheiten und Fähigkeiten jedes Einzelnen kennen und mit den daraus resultierenden Regeln (Risikoeinschätzung) vertraut sein. Weiter muss sie die Gruppe als Ganzes kennen und wissen, wie die Bewohner im Allgemeinen untereinander reagieren und harmonieren. Sie muss erfassen können, was dem Bewohner am wichtigsten ist und darin die Priorität setzen. Ausserdem ist es an ihr zu sehen, welche Vorstellungen überhaupt realisierbar sind und wo sie lenkend eingreifen muss. Weiter sollte sie die verschiedenen Vorschläge/ Bedürfnisse aufnehmen und gegeneinander abwägen können- Wessen Bedürfnis wird durch das eines andern beeinflusst oder gestört? Die Selbstverwirklichung des einen darf nicht auf Kosten des andern gehen. Die PSA muss bereit sein, ihre eigenen Vorstellungen anzupassen und zugunsten der Ideen der Bewohner zurückstellen zu können. Verhandeln mit einer Gruppe von unterschiedlichen geistig beeinträchtigten Menschen setzt deshalb ein hohes Mass an Überblick und Sozialkompetenz voraus.

    Theunissen beschreibt die Empowerment- Praxis als: “…anspruchsvolles Unternehmen, welches von den helfenden Berufen eigene und kollektive Stärke, und zwar nicht nur Sachkenntnis, sondern auch insbesondere ein hohes Mass an Flexibilität, Durchhaltevermögen, Sozialkompetenz, Bereitschaft zur kritischen Reflexion und Selbstevaluation der Programme sowie Engagement verlangt, da angesichts des Respekts vor der Subjekthaftigkeit des Anderen “offene” Prozesse die Regel sind. Diese Offenheit bedeutet eine Gratwanderung zwischen proffessioneller Einmischung und Zurücknahme.” (Theunissen, 2002, S. 39) (Georg Theunissen, Wolfgang Plaute, Handbuch Empowerment und Heilpädagogik, Freiburg im Breisgau 2002)

  • Die PSA  versucht, den Bewohnern in einer positiven Grundhaltung zu begegnen. Sie vertraut darauf, dass die Bedürfnisse und Wünsche der Bewohnerinnen zumeist gut realisierbar sind. Sie bestätigt zunächst ihre Wünsche verbal als gute Ideen, die es nun zusammen in die Tat umzusetzen gilt. Sie versucht nun, den Ablauf des Nachmittags  für alle Beteiligten realistisch darzustellen. Sie zeigt Vor- und Nachteile ihrer Wünsche auf und fordet die Bewohnerinnen auf, daraus resultierend für sie die richtige Entscheidung zu treffen. Wenn sie merkt, dass geäusserte Wünsche für die entsprechende Bewoherin wichtig sind, sich aber in der Realität so nicht umsetzen lassen, so versucht sie, mit Nachfragen und Aufzeigen von möglichen Konsequenzen ihren Vorstellungen eine realisierbare Richtung zu geben. 

 

 

5.6      Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?

Gesprächsebene:

  • Wie sind die kognitiven Möglichkeiten der Bewohner? Können sie die Aussagen der PSA nachfollziehen oder benötigen sie unterstützende Massnahmen (UK)?
  • Sind alle Voraussetzungen zum akkustischen Höhren seitens der Bewohner erfüllt? Sind störende Faktoren wie Radio oder TV- Geräusche reduziert?
  • Tragen die Bewohner ihr Höhrgerät und ist es richtig eingestellt?

Inhaltsebene:

  • Die PSA muss die örtlichen Gegebenheiten kennen odersich im Vorfeld darüber informieren: Wie gross ist die Entfernung zum avisierten Ziel? Sind die geplanten Strecken für alle Bewohner zu Fuss zu bewältigen? Sind unterwegs Pausen möglich? Kann man diese bewusst einplanen? Gibt es Cafés, eine Bank, Toiletten unterwegs?
  • Sie muss das Wetter im Blick haben: Welche Kleidung ist ratsam? Ist ein Schirm nötig?
  • Sind in der Institution andere PSAs anwesend? Kann man in der Wohngruppe verbleibende Personen für den Notfall an diese verweisen?
  • Kollidiert die zeitliche Planung mit vorgegebenen Zeiten für Pflege, Kochen, Medikamentenabgabe oder Mahlzeiten? 

 

 

5.7      Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?

  • Auch wenn die Bewohnerinnen mit etlichen körperlichen und geistigen Einschränkungen leben müssen, heisst das nicht, dass sie ihre Lebenswelt nicht mitgestalten könnten. Marlis Pörtner fordert eine personenzentrierte Haltung im Umgang mit geistig Behinderten Menschen: “Personenzentriert arbeiten heisst, nicht von Vorstellungen ausgehen, wie Menschen sein sollen, sondern davon, wie sie sind, und von den Möglichkeiten, die sie haben. Personenzentriert arbeiten heisst, andere Menschen in ihrer ganzen persönlichen Eigenart ernstnehmen, versuchen ihre Ausdrucksweise zu verstehen und sie dabei zu unterstützen, eigene Wege zu finden, um- innerhalb ihrer begrenzten Möglichkeiten- angemessen mit der Realität umzugehen. ” Marlis Pörtner, 2008, S. 20) (Marlis Pörtner: Ernst nehmen, Zutrauen, Verstehen, Stuttgart, 2008)
    Die PSA möchte A. zutrauen, beim Einkaufen einen allfälligen Frust verkraften zu können. Sie frage sie nach Handlungsalternativen, welche A. von sich aus gut benennen kann (“Ich kaufe dann halt etwas anderes.”) M. hat noch nicht oft selbständig eingekauft.  die PSA merkt aber aus M.`s klaren Äusserungen, dass diese es sich selber zutraut und dass ihr das Vorhaben wichtig ist. Sie versucht deshalb nicht, sie umzustimmen. Der vorgeschlagene Kompromiss ermöglicht, dass M. einerseits bei einer gemeinsamen Aktivität teilnehmen kann, andererseits aber auch Raum bleibt für einen selbständigen Einkauf.

    Menschen mit Beeinträchtigung sollen am “ganz normalen Leben “teilnehmen können. Die PSA möchte die Bewohner weitgehenst in ihrer Selbständigkeit unterstützen und in kleinen Schritten Normalisierung ermöglichen. Teilhabe, Empowerment und Selbstbestimmung werden auch in der UN- Behindertenrechtskonvention thematisiert:

    Inhalt UN- Behindertenrechtskonvention: “Die Grundsätze der Konvention enthält Artikel 3:

    a) die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit;b) die Nichtdiskriminierung;c) die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft;d) die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit;e) die Chancengleichheit;f) die Zugänglichkeit;g) die Gleichberechtigung von Mann und Frau;h) die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität.

    Die Konvention stellt die Pflichten der Staaten heraus, die für Menschen mit Behinderungen bestehenden Menschenrechte zu gewährleisten. Aufgabe aller Menschenrechtskonventionen ist das Empowerment der Menschen, indem Ansprüche auf Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe geltend gemacht werden und ihre Durchsetzung ermöglicht wird. In der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen kommt das Bewusstsein der eigenen Menschenwürde und der des anderen als Grundlage dieses Empowerment so stark zum Tragen, wie bei keiner anderen Menschenrechtskonvention. Der Begriff der Menschenwürde ist hier nicht nur häufiger Inhalt des Konventionstextes, darüber hinaus wird sie auch ausdrücklicher als in anderen Menschenrechtskonventionen als Ziel der Bewusstseinsbildung gefordert. “https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbereinkommen_%C3%BCber_die_Rechte_von_Menschen_mit_Behinderungen

 

  •  Agogische Grundhaltung der Stiftung MBF
    In einem sogenannten Aide-mémoire wurden von Angestellten der Stiftung MBF acht Leitsätze zum agogischen Handeln formuliert. Diese acht Leitsätze wurden fortan in der Stiftung MBF als Grundlage der agogischen Arbeit und des Zusammenlebens mit Menschen mit Beeinträchtigung im Allgemeinen und  der agogischen Arbeit im Besonderen postuliert:

    “Ich begleite dich wo nötig und stelle dabei meine eigenen Vorstellungen in den Hintergrund. die jeweilige Situation impliziert eine wichtige Fragestellung: Ist Begleitung in diesem Fall überhaupt nötig? Wenn ja, in welchem Ausmass? Oder kann bzw. sollte nicht eher auf Begleitung verzichtet werden? Hier wird eine wichtige Qualität in der professionellen Begleitung angesprochen: Sie muss sich konsequent an den individuellen Fähigkeiten der einzelnen Person orientieren, damit keine Situation der Überbehütung entsteht…. Nicht unsere Einschätzungen, Vorlieben oder Persönlichkeiten sind dabei ausschlaggebend, sondern die des jeweiligen Klienten. …Wir sind von den eigenen Ressourcen unserer Klienten zur Findung von Lösungen auch in schwerigen Situationen überzeugt. Die Erfahrung zeigt dabei, dass Menschen mit Behinderung oftmals genug eigene Problösungskompetenzen besitzen.“ (Auszüge aus „Agogische Grundhaltung“ der Stiftung MBF, keine Seitenangaben, 2014)

    Die PSA nimmt eine zurückhaltende  Haltung ein, indem sie Art und Notwendigkeit einer Begleitung gegenüber jeder Bewohnerin hinterfragt. Ihre eigenen Bedürfnisse spielen eine untergeornete Rolle. Auch dort, wo sie sich unsicher fühlt, weil sie eine problematische Entwicklung annehmen könnte, überwiegt ihr Vertrauen in die jeweiligen Bewohnerinnen und ihre gemeinsamen Möglichkeiten, problematische Situationen bewältigen zu können. Die PSA handelt und verhandelt entsprechend der “agogischen Grundhaltung”, wie sie in den Leitlinien der Stiftung MBF beschrieben 

Die Situation fand in einer teilweise entspannten, aber werschätzenden Atmosphäre statt. Für alle Bewohnerinnen war es wichtig, ihre Bedürfnisse so schnell wie möglich mitzuteilen. Dies führte dazu, dass die PSA sich anfänglich zurückhaltend verhielt, weil sie sich selber klar werden musste, in welche Richtung die Planung des Nachmittags gehen sollte. Ihre personenzentrierte Haltung verdeutlichte sich darin, dass sie trotz anfänglichem Zögern stets bemüht war, genau zuzuhöhren und die verschiedenen Anliegen der Bewohnerinnen ernst zu nehmen. Erste Ideen und Pläne wurden von ihr positiv aufgenommen und gespiegelt, sofern sie ihr realisierbar erschienen. Offene Fragen oder sich daraus ergebende Konsequenzen sprach sie in einfachen Worten und ohne zu werten an. Sie versuchte, gut verständliche Feedbacks zu geben, positiv zu motivieren und zu verstärken. Im Gespräch mit den Bewohnerinnen bemühte sie sich, diese nur wenn unbedingt nötig in ihrer Entscheidungsfindung zu beeinflussen und lediglich als kosultative Assistenz zur Verfügung zu stehen. Nur wenn nötig bot sie ihre Unterstützung an und gab Handlungsalternativen.

Im Zuge von Empowerment unterstützte die PSA bewusst das Bestreben der Klientinnen, selber entscheiden und die gesetzten Ziele selber erreichen zu können. Da alle Gespräche für alle jederzeit überhöhrbar waren, herrschte während der ganzen Verhandlungs-Situation Transparenz. Allerdings war es so unumgänglich, dass die Klientinnen, die später zu Wort kamen, bewusst oder unbewusst auf das zuvor Gehörte reagieren würden. Für ihre Entscheidungsfindung war dies aber nicht unbedingt abträglich, da es sie in ihren eigenen Wünschen eher bestärkte als zurückband. Alle konnten klar formulieren, wie sie sich die Gestaltung des Nachmittags für sich persönlich vorstellten. Mit den vorgeschlagenen Kompromissen, die sich aus der Verhandlung ergaben, waren sie einverstanden. Folglich wurde der Selbstbestimmung einer jeden Bewohnerin Rechnung getragen.

Weiter war es der PSA wichtig, allen Beteiligten einen klaren Überblick über den Inhalt und die zeitliche Abfolge aller Aktivitäten zu geben. Sie gab Anliegen, welche Zielplanung oder Bezugspersonenarbeit unterstützten, ein besonderes Gewicht. Sie übernahm nicht einfach die gesamte Organisation des Nachmittags und damit die Führung der Gruppe, sondern verhielt sich zurückhaltend: sie überliess es den Bewohnerinnen, sich untereinander auch als Gruppe zu organisieren, indem sich diese gegenseitig motivierten, mitzukommen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie stellte sicher, dass die Umsetzung der einzelnen Pläne keine anderen Bewohner in Mitleidenschaft zog. Absehbare Risiken versuchte sie, auf ein Minimum zu reduzieren. Sie bemühte sich, auch für die zurückbleibende Bewohnerin alle Sicherheitsfragen zu klären. 

Sie motivierte die Bewohnerinnen, sich zu bewegen und ihre Freizeit im städtischen Raum zuzubringen, was dem Inklusionsgedanken Rechnung trägt. Sie bot ihre Begleitung an, um etwas zusammen zu unternehmen und konzentrierte sich nicht nur auf ihre Bezugsperson. Die geplanten Tätigkeiten wie Einkaufen oder Cafébesuch sind nach dem Normalisierungsprinzip Tätigkeiten, wie sie auch von Menschen ohne Beeinträchtigung unternommen werden. Schlussendlich fühlten sich die Bewohnerinnen nach den Gesprächen verstanden und bestärkt und hatten eine klare Vorstellung davon, was an diesem Nachmittag geschehen würde. So konnten alle den Nachmittag positiv gestimmt in Angriff nehmen.

In der beschriebenen Situation geben die Bedürfnisse von A. tendenziell die Richtung vor und beeinflussen u.U. die Nachfolgenden. Sie äussert ihre Wünsche vehement und meint, als Bezugsperson der PSA einen besonderen Status zu geniessen. Es könnte deshalb von Vorteil sein, eine gemeinsame Planungsrunde abzuhalten, um die Bedürfnisse der Bewohnerinnen zeitgleich zu klären. Bei einer Gesprächsrunde hätte niemand Vorrang und es könnten so zuerst alle Wünsche gesammelt werden. Erst in einem zweiten Schritt würde dann diskutiert werden, was mit wem unternommen werden könnte.

Um sich selber mehr Raum und Zeit zur Richtungsfindung zu verschaffen, könnte die PSA alle Wünsche erst sammeln und als Mindmap und auf Papier darstellen. Die visualisierten Ideen könnten dann gemeinsam diskutiert werden. 

Allerdings würde eine Gesprächsrunde wiederum andere Herausforderungen an die Moderation der PSA stellen: Es könnte schwierig sein, auf die Bedürfnisse der Einzelnen mit ganzer Aufmerksamkeit einzugehen, da  die andern Bewohnerinnen gleichzeitig ebenfalls Aufmerksamkeit fordern würden.

Eine weitere Alternative bestünde darin, die Bewohnerinnen zuerst untereinander verhandeln zu lassen. Die PSA könnte sie aufeinander verweisen und sie auffordern, einander ihre Ideen mitzuteilen, bevor sie sich an sie PSA wenden. Es wäre interessant zu sehen, ob sie trotz Beeinträchtigung zu gemeinsamen Lösungsansätzen kommen oder es bewerkstelligen könnten, einander ihre Bedürfnisse so mitzuteilen, dass sie daraus resultierend Lösungen für einen gemeinsamen oder auch individuellen Ablauf des Nachmittages finden könnten. Erst, wenn die Bewohnerinnen versucht haben, sich untereinander auszutauschen, würde die PSA anhand der oben genannten Ressourcen verhandelnd eingreifen. 

  • Georg Theunissen/ Wolfgang Plaute: „Handbuch Empowerment und Heilpädagogik“, Freiburg im Breisgau, 2002
  •  Friedrich Glasl, „Selbsthilfe in Konflikten“, Stuttgart 2008
  • Ernst Wüllenweber: „Einander besser verstehen” Band 2, Marburg 2014 
  • Carl Rogers, „Die klientenzentrierte Gesprächs-Psychotherapie“, Frankfurt am Main, 2012
  •  Marlis Pörtner: „Ernst nehmen, Zutrauen, Verstehen“, Stuttgart, 2008
  • https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbereinkommen_%C3%BCber_die_Rechte_von_Menschen_mit_Behinderungen
  • https://de.m.wikipedia.org/wiki/Selbstbestimmungstheorie
  • Stiftung MBF: „Agogische Grundhaltung“, Stein, 2014

Schreiben Sie einen Kommentar

Close Menu