5.1 Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?
- Nach dem Modell der Vier Ohren von Schulz von Thun werden vier Aspekte (Sachaspekt, Beziehungsaspekt, Selbstoffenbarungsaspekt und Apellaspekt) die beim Kommunikationsprozess eine Rolle spielen unterschieden (vgl. Schulz von Thun 1998: 13).
Bei der Vereinbarung der Besuche habe ich als PA diesen vier Aspekten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ich bin eher von einem sachlichen Aspekt (organisatorisches Problem) seines unsicher und zurückhaltend wirkenden Verhaltens ausgegangen und habe den anderen drei Aspekten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dadurch habe ich die Unsicherheit des VP sozusagen zu sehr versachlicht und die zwischenmenschliche Komponente ausser Acht gelassen. Dabei wäre es besonders wichtig gewesen, auch die anderen Aspekte, welche ebenfalls durch sein unsicheres Verhalten zum Ausdruck kamen, zu berücksichtigen. Dies wirft auch einen kritischen Blick auf meine damalige Bereitschaft, mir für dem VP Zeit zu nehmen, dessen Gefühlslage auch erfassen zu wollen sowie eigene Interessen und Wertvorstellungen bewusst zurückzuhalten (vgl. Götz 2009: 3).
Gemäss dem Lösungsorientierten Ansatz lernen wir von Kindheit an mit sogenannten Entscheidungsfragen (geschlossenen Fragen) umzugehen. Weil geschlossene Fragen am einfachsten zu bilden und zu beantworten sind, beziehen wir diese Fragen auch vorrangig in unser aktives Fragerepertoire ein (vgl. Bircher 2014: 8). Bezüglich des Interesses an der interdisziplinären Zusammenarbeit und der damit einhergehenden Besuche wurde dem VP von mir lediglich eine geschlossene Frage gestellt. Dadurch erhielt ich zwar die scheinbar eindeutige Antwort, dass der VP gewillt ist die neue Aufgabe anzunehmen, jedoch wurde durch diese geschlossene Frage sozusagen jede weitere Kommunikation über diese Besuche schon im Vornherein ausgeschlossen. Offene Fragen, beispielsweise nach dem wie, weshalb und wozu, wären jedoch nötig gewesen, um die Kommunikation beziehungsweise das Gespräch über diese Besuche zu eröffnen sowie mehr über die Gedanken des VP zu erfahren.
Die Leistungsmotivationstheorie von Atkinson unterscheidet zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Eine Leistungsmotivation wird als spezielle Ausprägung der Lernmotivation bezeichnet, die aktiviert werden kann, wenn eine Leistungssituation vorliegt. Atkinson geht davon aus, dass in einer Leistungssituation zwei Tendenzen miteinander in Widerstreit treten. Dies ist die Hoffnung auf Erfolg und die Angst vor Misserfolg. Leistungsmotiviert ist eine Person nach Atkinson dann, wenn im Hinblick auf einen bestimmten Leistungsbereich die Hoffnung auf Erfolg die Furcht vor Misserfolg übertrifft. Diese Motivation wird als intrinsisch bezeichnet. Personen bei denen die Furcht vor Misserfolg überwiegt, sind nach dieser Theorie niedrig oder gar nicht intrinsisch Leistungsmotiviert. Neben dem intrinsischen Faktor wird Leistungsmotivation durch extrinsische Motivation, das heisst durch Zwang oder Belohnung bestimmt. Das Lernen ist dann ein Mittel um andere Ziele zu erreichen (vgl. Euler/Hahn 2004: 319f.). Wird die beschriebene Situation unter Einbezug dieser Theorie betrachtet, so kann angenom- men werden, dass die Angst vor Misserfolg in Bezug auf die Lernsituation „Betriebsbesuche“ beim VP überwogen hat. Daher war seine intrinsische Leistungsmotivation sehr niedrig. Da die PA darum bemüht war, dass sich der VP bei der Vereinbarung und Umsetzung der Besuche als selbstbestimmt und autonom erlebt, wurde die Leistungsmotivation auch nicht massgeblich durch eine extrinsische Motivation beeinflusst. Wäre eine extrinsische Motivation wie Belohnung oder Zwang vorhanden gewesen, so wäre beim VP jedoch ebenso wenig eine intrinsische Moti vation aufgetreten, da diese Motivation der Theorie zufolge nur auftritt, wenn sich eine Person als kompetent und selbstbestimmt erlebt (vgl. Euler/Hahn 2004: 330)
5.2 Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?
Bin ich mir der vier Aspekte mit denen eine (verbale oder non-verbale) Nachricht gehört werden kann bewusst, kann ich gewissen Problemsituationen oder Missverständnissen in der Kommunikation zwischen dem VP und mir auf die Schliche kommen und diese teilweise vorbeugen. Gerade der Non-verbalen Kommunikation des VP sollte ich besondere Aufmerksamkeit schenken, um auch diese Zeichen im Gespräch mit ihm, unter Berücksichtigung aller Aspekte, zu thematisieren. Im Weiteren kann ich überprüfen, ob eine gesendete und empfange Nachricht übereinstimmt, indem ich dem VP ein Feedback zum Gehörten gebe oder durch paraphrasieren kontrolliere, ob ich die Nachricht des VP auch richtig verstanden habe.
Durch das formulieren offener Fragen erfahre ich möglicherweise mehr über seine Bedenken und kann diese dadurch auch besser verstehen. Zudem können anhand offener Fragen auch beim VP neue Denkprozesse ausgelöst werden. Durch das Stellen offener, lösungsorientierter Fragen kann ich ihm somit wirkungsvoller zu helfen, seine Bedenken zu formulieren, zu verstehen und eine passende Lösung zu finden. Dadurch wiederum, kann Unsicherheit vermindert und mehr Sicherheit gewonnen werden. Die genannten Handlungsmöglichkeiten können ebenso dabei helfen, die Furcht vor Misserfolg beim VP abzubauen und auf bisherige Erfolgserlebnisse sowie bewältigte Herausforderungen aufmerksam zu machen.
5.3 Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?
- In der Arbeit mit Klienten habe ich Erfahrung gemacht, dass es erst möglich ist, sich einem Problem zu widmen, wenn auch Emotionen offen angesprochen werden. Es ist wichtig, Fragen zu stellen und sich nicht von Interpretationen oder Mutmassungen leiten zu lassen. Stetige Rückmeldungen geben dem Gegenüber ausserdem das Gefühl gehört zu werden.
Zudem war das Formulieren von ICH-Botschaften stets hilfreich, um meinem Gegenüber mitzuteilen, wie ich die Situation und sie oder ihn als Person momentan erlebe und welche Wünsche ich an ihn beziehungsweise sie habe. Dies habe ich auch schon oft im Rahmen eines Feedbacks getan, woraus sehr gute, aufschlussreiche Gespräche entstanden sind. Ich denke auch, dass ich glaubwürdiger auf Mitarbeitende und Klienten wirke, wenn ich meinen eigenen Überzeugungen und Gefühlen Ausdruck gebe.
Im Weiteren habe ich, als ich noch selbst als Praktikantin arbeitete, die Erfahrung gemacht, dass ich mich für vieles interessierte und stets bereit war, neue Herausforderungen anzunehmen. Der Umsetzung stand ich jedoch ebenfalls mit einer gewissen Unsicherheit gegenüber, konnte diese aber anfänglich auch nicht so recht benennen. Mein damaliger Praxisanleiter thematisierte mögliche Schwierigkeiten und Stolpersteine sehr geschickt, indem er mir viele offene Fragen stellte, wodurch es mir möglich war, neue Aspekte zu betrachten und mit ihm verschiedene Lösungen zu erarbeiten. Auch erklärte er mir den Sinn und Zweck des Auftrags meist sehr ausführlich, was mir half, den Zugewinn für mich selbst zu erkennen und mich motivierte, auch komplexere Aufgaben anzugehen.
Während des Studiums sowie im Rahmen verschiedener Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen erlebte ich es selbst immer wieder als motivationsfördernd, wenn ich den Inhalt des Lernstoffes als relevant erachtete und praktische Anwendungsbezüge oder Zusammenhänge zu anderen Themen herstellen konnte. Zudem steigerte sich mein Interesse und damit auch meine Lernmotivation aufgrund des Engagements und des wahrgenommen Interessens bei der Lehrperson. Auch die Instruktionsqualität, die sich für mich in klaren Strukturen und in der Verständlichkeit formulierter Aufgaben und Aufträge wiederspiegelte, beeinflusste meine Lernbereitschaft und Motivation massgeblich.
5.4 Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?
- Um dazu beizutragen, dass die Institution ihre Dienstleistung zur Zufriedenheit der Auftrag Gebenden erfüllen kann, sollten sich alle Mitarbeitenden an den im Leitbild formulierten Ziel- und Wertvorstellungen orientieren. Diese sollen gelebt, weitervermittelt und umgesetzt werden.
Da auf vernetztes, interdisziplinäres Denken und Handeln in der Institution grossen Wert gelegt wird, war und ist es mir besonders wichtig, dass der VP die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit erkennt und auch selbst entsprechend beginnt zu denken und zu handeln.
Im Weiteren habe ich mich an den durch die Institution formulierter Auftrag im Vorpraktikumskonzept zu halten. Dies bedeutet unter anderem, dass das Praktikum Einblicke in die Institution und ihre Angebote als Ganzes bietet und dem VP ermöglicht wird, die eigenen sozialen, persönlichen, fachlichen und praktischen Kompetenzen kennenzulernen und zu erweitern. Die Institution ist somit einerseits verpflichtet, dem VP entsprechende Lern- und Erfahrungsfelder anzubieten, da Wissen und Können vor allem aus der konkreten Erfahrung erweitert werden. Andererseits ist auch das selbstgesteuerte und eigenständige Lernen des VP ein wichtiger Bestandteil seines Bildungs- und Entwicklungsprozesses im Vorpraktikum.
5.5 Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?
- In einer Situation, in der ein Lernprozess ins Stocken geraten ist, obwohl alles Bisherige reibungslos verlief, erscheint es mir besonders wichtig, dass ich dem VP empathisch gegenübertrete anstatt ihn zu konfrontieren oder zu kritisieren. Ausserdem sind Fähigkeiten wie Nichtwissen, Zuhören, Schweigen sowie das Finden einer gemeinsamen Sprache hilfreich, um ein Gespräch lösungsorientiert zu gestalten. Hinzu kommt das beherrschen lösungsorientierter Fragetechniken, sowie die die Fähigkeit, meine eigenen Fragen und Antworten klar zu kommunizieren, ständig zu hinterfragen und zu prüfen, ob diese vom VP auch verstanden, für sinnvoll befunden und angenommen wurden (vgl. Bircher 2014: 10).
Im Weiteren ist es wichtig, dass ich ein Bewusstsein über non-verbale Kommunikation entwick- le. Da in jeder Nachricht explizite (ausdrücklich formulierte) und / oder implizite (indirekte, ver- steckte) Anteile stecken, muss ich die nonverbalen Mittel meines Gegenübers, wie Mimik, Ges tik und Klang der Stimme, besonders beachten, denn diese „Mittel“ bringen zum Ausdruck, wie eine Nachricht gemeint sein kann (vgl. Schulz von Thun 1998: 26).
Unter Einbezug des Leitbilds der Institution habe ich mich zudem darum zu bemühen, ein ver- trauensvolles Gesprächsklima zu schaffen, was durch Rückversichern und Nachfragen sowie authentisches und transparentes kommunizieren erreicht werden kann. Auch muss ich bereit sein, die Integrität meines Gegenübers jederzeit zu respektieren.
Bezogen auf den Lernprozess im Allgemeinen, muss ich als PA eine Situation auch als soge nannte Leistungssituation gestalten können. Ich muss dem VP eine Aufgabe oder Situation an bieten, die auf seinen Leistungsstand abgestimmt ist, das heisst, für ihn umsetzbar und bewäl- tigbar ist, aber von ihm dennoch als herausfordernd wahrgenommen wird. Es ist besonders frustrierend, wenn eine Anforderung unser Können schlichtweg übersteigt, aber auch nicht motivierend, wenn eine Aufgabe oder Anforderung keine Herausforderung darstellt und als langweilig empfunden wird (vgl. Euler/Hahn 2004: 321).
5.6 Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?
- Der Rahmen der Praxisausbildung wird gesetzt durch die Institution anhand von Leitbildern
und Konzepten, Qualitätssicherungsmassnahmen usw. In diesem internen Rahmen bewege ich mich mit meiner Aufgabe als Praxisausbildnerin. Dies bietet mir die Möglichkeit, Gespräche mit dem VP zu vereinbaren und diese unter Einbezug der benannten Wissensbestände und Fähig- keiten zu gestalten. Zudem kann ich den VP unterstützen, indem ich beispielsweise mit ihm zusammen den ersten Schritt in die interdisziplinäre Zusammenarbeit initiiere und mit ihm gem- einsam den Kontakt mit den Arbeitsagogen aufnehme.
Im Weiteren kann ich unterschiedliche Methoden aus der Praxisausbildung beiziehen, um den ins Stocken geratenen Lernprozess des VP mit ihm zusammen wieder „in Gang“ zu bringen und, um diesen Prozess kontinuierlich zu unterstützen und zu fördern. Diese Methoden bieten mir ausserdem die Möglichkeit, die Begleitung des VP abwechslungsreich und im Sinne des „ganzheitlichen Lernens“ zu gestalten.
5.7 Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?
- Mein Handeln richte ich primär nach dem Leitbild der Organisation und den darin enthaltenen Wertvorstellungen aus. Zu berücksichtigen sind ist insbesondere der respekt- und verantwortungsvolle Umgang miteinander, gegenseitige Achtung und Unterstützung, konstruktive Suche nach umsetzbaren Lösungen, angemessenes vortragen von Kritik sowie der Aufbau eines Vertrauensvollen Gesprächsklimas.
Unter Einbezug des Berufskodex habe ich zudem darauf zu achten, dass ich die Bedürfnisse und Interessen der Menschen, mit denen ich zusammenarbeite oder meine Dienste nutzen, nicht meinen eigenen Bedürfnissen und Interessen unterordne. Ich muss bereit sein, die Gründe für meine Entscheidungen darzulegen und Verantwortung für meine Entscheidungen und mein Handeln zu übernehmen (vgl. Avenir Social 2006: 3f.)
Besonders zu beachten bei einem Lernprozess ist auch, dass eine Aufgabe beziehungsweise Lernhandlung nicht nur durchgeführt wird, damit positive Folgen herbeigeführt beziehungsweise negative Folgen vermieden werden. Es sollen nicht bloss externe Anstösse wie die Kontrolle der Umsetzung durch die PA sein, welche den VP schliesslich dazu motivieren, das Vereinbarte umzusetzen, sondern er soll, soweit möglich, selbstbestimmt und aus eigenem Interesse Handeln können und dürfen. Das Anstreben eines möglichst hohen Grades an Selbstbestimmung ist generell ein wichtiges Bildungsziel und ein Lernprozess kann somit erst als erfolgreich bezeichnet werden, wenn das Lerngeschehen nicht ausschliesslich fremdbestimmt, sondern auch durch den Lernenden selbstgesteuert organisiert wird (vgl. Abplanalp o.J.: 123).