Verhalten direkt beeinflussen / Sozialpädagogische Arbeit in Alters- und Pflegeeinrichtungen

Stichwörter:

Bei Dienstbeginn im Pflegeheim wurde die PSA von der Pflegerin A informiert, dass die Klientin draußen vor der Tür mit der Pflegerin B steht und sich weigert, wieder ins Haus zu kommen. Auf Nachfrage erfährt die PSA von der Pflegerin A, dass die Klientin „nach Hause“ möchte.

Die PSA geht hinaus und findet die Klientin und die Pflegerin B abseits des Weges auf einer Erhöhung, wobei die Pflegerin B versucht, auf die Klientin einzureden und sie festzuhalten, um sie an einem Weitergehen zu hindern. Die Pflegerin B erscheint der PSA nervös und überfordert und ist sichtlich erleichtert, Unterstützung zu bekommen.

Die PSA spricht die Klientin namentlich an, da sie diese bereits von anderen Unternehmungen und ähnlichen Situationen kennt. Bei der namentlichen Ansprache bleibt die Klientin stehen und die Pflegerin B tritt zurück. Die PSA nähert sich der Klientin und ergreift ihre Hand. Sie schlägt einen kleinen Spaziergang vor und ver­spricht, die Klientin danach nach Hause zu bringen. Die Klientin willigt ein. Die PSA spürt, dass die Klientin ihr Vertrauen entgegenbringt, sorgt sich aber gleichzeitig darum, ob sie die Klientin nach einem Spaziergang überzeugt bekommt, das Haus zu betreten.

Die PSA hilft der Klientin von dem Hügel herunter. Auch nach dem Abstieg hält sich die Klientin weiterhin an dem Arm fest. Nach einen kurzem Stück äußert die Klientin, dass sie müde sei und ins Bett möchte. Die PSA steuert auf das Pflegeheim zu, in das sich die Klientin widerstandslos führen lässt, auch wenn sie ihre Umgebung scheinbar nicht erkennt. Die PSA wartet mit der Klientin auf dem Fahrstuhl und begleitet sie bis zu ihrem Zimmer, wobei sie die Klientin auf die vertraute Einrichtung (Aufenthaltsbereich, Bilder etc.) aufmerksam macht. An der Zimmertür angekommen, erklärt die PSAin, dass die Klientin zuhause sei und lenkt ihre Aufmerksamkeit auf die Besitztümer der Klientin. Die Klientin bedankt sich und zieht sich in ihrem Zimmer zurück.

Erste Sequenz: Inkenntnissetzen über den Sachverhalt/ an die Klientin herantreten

Reflection in Action

  • Kognitiv PSA: Die PSA (in diesem Fall die PSAin) hört sich die Schilderung des Problems an und ruft zudem Hintergrundinformationen zur Klientin und zum Krank­heitsbild Demenz ab. Sie vergewissert sich, dass sie ihr Handy (um im Ernstfall Hilfe holen zu können) und Geld (für z.B. Fahrtickets, sollte sie die Klientin z.B. in die Stadt begleiten müssen) bei sich hat.
  • Emotional PSA: Die PSA möchte sowohl der ratlosen Kollegin als auch der Pflegerin A helfen und geht zu gleichen Teilen hoffnungsvoll und ängstlich an die Situation heran. Dadurch, dass sie von Pflegerin A gezielt angesprochen wurde, fühlt sie sich ermuntert und optimistisch. Zugleich fühlt sie sich auch ein wenig ängstlich und überfordert, als die Pflegerin A ihr mitteilt, dass sie selbst schon mal mit einer (anderen) Klientin mit­gelaufen sei und diese nicht zum Umkehren bewegen konnte.
  • Vermutete Empfindung Klientin: Die Klientin ist überzeugt, einen Termin wahrnehmen zu müssen und fühlt sich zu Unrecht von der Pflegerin B aufgehalten. Sie ist uneinsichtig und verharrt auf ihren Standpunkt. Zudem fürchtet sie sich vermutlich auch ein wenig vor der Pflegerin B, die sie festhält und ihr den Weg versperrt. Sie ist mit der Gesamtsituation überfordert und zu keiner Einsicht fähig.

 

Zweite Sequenz: Erster Kontakt zur Klientin

Reflection in Action

  • Kognitiv PSA: Bei Herantreten an die Klientin spricht die PSA die Klientin ruhig mit deren Namen an, um ein Gefühl der Vertrautheit aufzubauen. Die PSA weiß, dass Nähe gerade im Umgang mit Demenzerkrankten einen Zugang schaffen kann und reicht der Klientin dementsprechend die Hand. Die Klientin ergreift diese freiwillig.
  • Emotional PSA: Die PSA hofft auf ein Wiedererkennen oder zumindest auf ein „aus-der-Situation-herausholen“ der Klientin und bemüht sich, eine ruhige äußere Fassade aufrecht zu erhalten, damit die Klientin ihre Unruhe nicht spürt. Gerade Menschen mit Demenz weisen ein sehr feines Gespür für die Gefühle ihres Gegenübers auf. Nachdem die Klientin die Hand der PSA ergreift, fühlt sich die PSA zuversichtlicher.
  • Vermutete Empfindungen Klientin: Für die Klientin gerät nun eine neue Person in den Fokus, eine Person, die ruhig an sie herantritt und die ihr wage vertraut erscheint. Sie scheint froh zu sein, sich von der Pflegerin B, die sie ängstigte, abzuwenden und sich auf die neue Person einzulassen. Ihr Bedürfnis nach Schutz äußert sich in der Geste, dass sie die ihr dargebotene Hand ergreift und nicht mehr loslässt.

 

Dritte Sequenz: Gespräch und Spaziergang mit Klientin

Reflection in Action

  • Kognitiv PSA: Während des Spaziergangs überlegt die PSA, wie sie reagieren soll, wenn die Klientin sich nicht nach Hause führen lässt. Sie bekam zu Beginn des Praktikums den Ratschlag, „einfach mitzulaufen und abzulenken“ und ist somit bemüht, Ablenkungen zu finden. Sie ist weiterhin bemüht, ihren Zweifel und ihre Sorge nicht in ihrer Mimik und Gestik auszudrücken, sondern weiterhin sicher und vertrauensvoll auf­zutreten.
  • Emotional PSA: Die PSA ist innerlich angespannt, da sie nun die Verantwortung für die Klientin übernommen hat und sich alleine fühlt. Sie ist besorgt, da sie nicht weiß, wie sie sich verhalten soll, wenn sich die Klientin nach wie vor weigert, das Haus zu betreten. Zugleich deutet sie das ununterbrochene Halten ihrer Hand als positives Zeichen, das die Klientin ihr vertraut. Als die Klientin auf das Gespräch reagiert, stimmt das die PSA hoffnungsfroh.
  • Vermutete Empfindungen Klientin: Die Klientin fühlt sich vermutlich sicher und wohl in der Gegenwart der PSA, da sie ihren Widerstand (zunächst) aufgegeben hat. Die Auf­regung fällt von ihr ab und sie beruhigt sich.

 

Vierte Sequenz: Klientin nach Hause bringen

Reflection in Action

  • Kognitiv PSA: Nach der überraschenden Äußerung der Klientin, müde zu sein und ins Bett zu wollen, führt die PSA die Klientin in das Gebäude und zu ihrem Zimmer. Dabei macht die PSA die Klientin auf vertraute Gegenstände aufmerksam, um der Klientin Sicherheit und Orientierung zu bieten.
  • Emotional PSA: Beim Betreten des Eingangsbereich befürchtet die PSA, das die Klientin es sich jederzeit wieder anders überlegt und ihre Weigerung wieder aufnimmt. Als dieses ausbleibt, entspannt sich die PSA und ist froh darüber, die Situation unter Kontrolle zu haben. Die PSA freut sich über die Zugänglichkeit der Klientin und zeigt ihr geduldig die vertrauten Räumlichkeiten. Als die Klientin sich an ihrer Tür bedankt und verabschiedet, empfindet die PSA Erleichterung und Stolz, diese Situation ohne fremde Hilfe überstanden zu haben.
  • Vermutete Empfindungen Klientin: Die Klientin ist von der Aufregung müde geworden und vertraut sich der PSA an. Vermutlich erinnert sie sich an den Auslöser der Situation bereits nicht mehr, sondern fühlt sich erschöpft und ist froh, ihr Zimmer und ihre persönlichen Gegenstände wiedergefunden zu haben.

5.1      Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?

Diagnostik Demenz

Nach dem ICD 10 beinhaltet die Demenz eine Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeit­gedächtnisses sowie des abstrakten Denkens. Die kognitiven Störungen werden meist von einer Verminderung der Affektkontrolle und einer Störung des Antriebs und des Sozial­verhaltens begleitet (vgl. Radenbach 2011, S.16).

Für die erste Sequenz der geschilderte Schlüsselsituation sind folgende Informationen ausschlaggebend: Zum Einen treten bei der Demenz kognitive Symptome auf wie die Störung des Gedächtnisses, die Einschränkung von Urteilsvermögen und Problemlösung und die Orientierungsstörung, zum Anderen psychische Störungen wie Angst, Misstrauen, Frustration und eine Verkennung der Situation. Des Weiteren zeigt sich eine Verhaltensänderung, hier in Form von Unruhezuständen und dem Hinlaufen.

Die Gefahren des Hinlaufens sind unter anderen darin zu sehen, dass der Klient sich verirrt oder verletzt, private Besitztümer verliert oder in Konflikte mit anderen Personen gerät. Ursachen für das Hinlaufen finden sich u.a. im Umgebungsmillieu (.z.B. aktuelle Ereignisse, Verhalten der Mitbewohner, Verwirrtheit aufgrund mangelnder Alltags­struktur), in den eigenen Bedürfnissen des Klienten (Umgang mit Erkrankung, Frustration über den Verlust alltäglicher Fähigkeiten, Einsamkeit) oder auch in inner­psychische Konflikten (unverarbeitete Konflikte aus der Vergangenheit, Hintergrund­wissen zur Biografie notwendig). Des Weiteren können inadäquate Sorgen (z.B. Kinder, die aus der Schule kommen) und situative Desorientiertheit (Suchen von Familienmit­gliedern) zu Hinlaufverhalten führen. Nur wenn die Ursachen des Hinlaufverhaltens erkannt werden, können Maßnahmen zur Linderung ergriffen werden (vgl. Kastner, Löbach 2011, S. 16ff).

 

Lebensweltorientierter Ansatz nach Hans Thiersch

Hans Thiersch vertritt in seinem lebensweltorientierten Ansatz die Meinung, dass sich das professionelle Handeln nach der Lebenswelt der Klienten ausrichten soll. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, nicht mit der Realität auf den Klienten einzuschlagen, sondern sich auf Augenhöhe mit dem Sachverhalt und dem damit verbundenen Problem zu beschäftigen. Insbesondere lassen sich folgende Prin­zipien des lebensweltorientierten Ansatzes auf die Schlüsselsituation übertragen:

Das Prinzip der Partizipation: Die Basis hierfür bildet der Anspruch der Gleichheit. Die Menschen, die Unterstützung benötigen und jene, die sie gewähren, sollen auf „Augen­höhe“ kommunizieren und agieren. Gemeinsames Verhandeln und Mitbestimmung spielen für die Praxis der Lebensweltorientierter Sozialen Arbeit eine große Rolle. Dieses Prinzip findet war allem in der zweiten Sequenz seine Anwendung, wenn der Erstkontakt zur Klientin vorgestellt wird.

Eine ausgeprägte Alltagsorientierung/ Alltagsnähe: Die Unterstützungsform der PSA gestaltet sich sehr alltagsnah. Um das Unterstützungsangebot möglichst individuell und umfänglich gestalten zu können, ist ein ganzheitlicher Blick auf die Problemlagen der Klienten notwendig. In der vorliegenden Schlüsselsituation findet sich die Anwendung der Alltagsnähe  sowohl in Sequenz 3 und 4, da diese Abschnitte alltägliche Wirkungs­weisen (Spaziergang, auf vertraute Umgebung aufmerksam machen). Der ganzheitliche Blick auf die Probleme der Klienten findet jedoch schon in der ersten Sequenz (Vorbe­trachtung/ Hintergrundwissen) statt.

Das Prinzip der Integration: Ziel hierbei ist es, eine Welt ohne Ausgrenzung, ohne Unter­drückung und Gleichgültigkeit zu schaffen. Beim Prinzip der Integration findet die Anerkennung des Rechts eines jeden Menschen, auf Verschiedenheit seine rechtmäßige Beachtung. Dieser Anspruch setzt die Abkehr von defizitorientierten Tendenzen in der sozialen Arbeit voraus (vgl. Thiersch 2002, S.135ff).

Im konkreten Fall bedeutet dies die Abkehr von der Methode, die die Pflegerin B ver­sucht hat (1. Sequenz: festhalten und hineinzerren, immerhin ist die Klientin „krank“), hin zu einer lösungsorientierten Tendenz. Die Klientin soll nicht bevormundet werden, sondern freiwillig ihre Entscheidung treffen (4. Sequenz). Es soll nicht über ihren Kopf hinweg entschieden werden, vielmehr ist es wichtig, die Person als Ganzen wahr- und ernstzunehmen und ihr wertschätzend gegenüber zu treten (2. Sequenz).

 

5.2      Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?

Grundsätzlich sollte mit Demenzkranken ein wertschätzender, einfühlsamer und authentischer Umgang gepflegt werden; zudem besitzen Humor, Herzlichkeit, Toleranz und Gelassenheit eine nicht zu unterschätzende Bedeutung: Humor kann Spannungen und Unsicherheiten lösen; Herzlichkeit öffnet Türen, wo sich bereits Tendenzen zu Misstrauen und Rückzug gebildet haben; Toleranz hilft der PSA, trotz wechselnder Situationen Ruhe und Geduld auszustrahlen und Gelassenheit wird benötigt, um tolerieren zu können, das trotz engagiertes Bemühen die Krankheit weiter fortschreitet (vgl. Schwarz 2009, S.59).

Validation

Die Validation ist ein wichtiger Handlungsansatz im Umgang mit Demenzkranken Personen. Wörtlich bedeutet Validieren „für gültig erklären“ und meint somit, die Sicht­weisen der Demenzkranken zu bestätigen, ohne sie an der Wirklichkeit zu überprüfen oder zu korrigieren. So wird dem gefühlsmäßigen Inhalt der Aussagen Demenz­erkrankter mehr Bedeutung beigemessen als deren Wahrheitsgehalt.

Das Konzept stützt sich auf die Annahme, dass auch bei einer fortgeschrittenen Demenz emotionale und soziale Fähigkeiten vorhanden sind, sodass Begegnungen und Kommunikation, die auf diese Kompetenzen und Ressourcen aufbauen, eine große Bedeutung erhalten.

Ressourcen haben immer einen lebensgeschichtlichen Bezug und stehen Menschen zur Bewältigung ihrer Lebenssituation zur Verfügung. Zwei wichtige Ressourcen sind der Antrieb und die Gefühle. Als Antrieb sind verinnerlichte Normen, Werthaltungen und Lebensprinzipien zu verstehen, die auch in der Demenz noch wegweisende Leitlinien für das Handeln darstellen. Gefühle erhalten mit abnehmenden kognitiven Fähigkeiten eine große Bedeutung: Sie treten unmittelbar und echt als Ausdruck der momentanen Befind­lichkeit auf. Eine positive Bestätigung verbal oder nonverbal gezeigter Gefühle bestätigt die Identität des Demenzkranken und vermittelt ihm das Gefühl, wahr­genommen und verstanden zu werden (vgl. Schwarz 2009, S. 71 ff).

Einige Handlungsprinzipien für die Validation lauten: Vertrauen schaffen durch Wert­schätzung; Anerkennung der Gefühlswelt der Klientin; Akzeptieren der Rückkehr in die Vergangenheit; die eigene Perspektive ändern; Anerkennung geben; Spiegeln von Bewegungen/ Gefühlen; Einsetzen von Musik/ Fotos (vgl. Messer 2012, S.5 ff).

Der vorliegenden Fall ist ein Paradebeispiel für die Validation: In der 1. Sequenz werden wichtige Antriebe (Lebensprinzipien: Klientin war immer selbständig, hat viel gearbeitet; dieses Gebrauchtwerden ist für sie nach wie vor wegweisend) und Gefühle (selbstbestimmend, selbstbewusst, aber auch ängstlich und verwirrt) der Klientin her­ausgearbeitet. An der 2. Sequenz geht die PSA in das Geschehen herein und bestätigt die Sicht­weisen der Demenzkranken, ohne sie an der Wirklichkeit zu überprüfen oder zu korrigieren. Vielmehr versucht die PSA, die auslösenden Gefühle der Klientin für diese Situation zu entdecken (3. Sequenz). Ganz wichtig ist, dass emotionale Nähe durch Körperkontakt geschaffen wird (2. Sequenz). In der 4. Sequenz wird die Klientin in ihrem Verhalten und ihrer Gefühlswelt positiv bestätigt. Dies ist sehr wichtig, da sie sich dadurch wahrgenommen und verstanden fühlt.

 

Die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers

Ausschlaggebend für die klientenzentrierte Gesprächsführung ist das humanistische Menschenbild. Das besagt, dass die Natur des Menschen weder böse noch neutral, sondern grundsätzlich gut ist. Zudem muss der Mensch als ein Wesen gesehen werden, das ständig nach Selbstverwirklichung strebt. Laut Rogers soll in jeder Situation das Gute in einem Menschen gesucht und gefördert werden. Hierfür muss die PSA die drei Basisvariablen vereinen: Empathie, unbedingte Wertschätzung und Kongruenz (vgl. Weinberger 2008, S. 23).

Unter Empathie versteht man das einfühlende Verstehen und das nichtwertende Einge­hen auf eine Person. Die PSA sieht die Welt mit den Augen der Klienten und versteht dadurch ihr Erleben und die damit verbundenen Werthal­tungen, Motive, Wünsche und Ängste. Dies führt dazu, dass sich der Klient umfassend und tiefgreifend verstanden fühlt und ermöglicht den Aufbau von Vertrauen (vgl. ebd., S. 37ff).

Dem Klienten mit unbedingter Wertschätzung zu begegnen heißt, den Klienten mit all seinen Eigenschaften zu akzeptieren und ihm ohne Vorurteile zu begegnen. Diese Wert­schätzung kann auch nonverbal durch Blickkontakt, Nicken und Lächeln ausgedrückt werden (vgl. ebd., S. 55).

Kongruenz oder auch Echtheit bedeutet, dass der PSA keine professionelle Maske zur Schau trägt, sondern seine eigenen emotionalen Reaktionen auf das Gehörte nutzt, um den Klienten besser zu verstehen. Da­bei darf er sich selbst als Person nicht verleugnen, darf keine Ab­wehrhaltungen ein­nehmen und vor allem muss er sich als Helfer seines Gegen­übers verstehen, der aus dieser Beziehung ebenfalls gestärkt und mit neuen Lern­er­fahrungen hervorgehen kann. Diese Transparenz ermöglicht das Vertrauen des Kli­enten, der sich so sei­nem Ge­genüber öffnen kann, um sich so mit dessen Unterstützung und Hilfe zu erfor­schen (vgl. ebd., S. 62).

 

Der person-zentrierte Ansatz nach Tom Kitwood

Nach Tom Kitwood sind der Erhalt und die Stärkung des Personseins das oberste Ziel in der Betreuung von Menschen mit Demenz. Kitwood stellt die Hypothese auf, dass eine person-zentrierte Pflege den Prozess einer Demenzerkrankung positiv beeinflussen kann. Die PSA sollte die Wiederherstellung personaler Funktionen unterstützen und dabei grundlegende Bedürfnisse wie Trost, Beziehung/ Bindung, Beschäftigung, Identität, Ein­beziehung berücksichtigen. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse ermöglicht es dem dementen Menschen, sich als Person wahrzunehmen und sich wert­voll und geschätzt zu fühlen.

Die Umsetzung kann nur durch die grundlegenden Einstellung und Haltung der PSA gelingen. Voraussetzungen für einen person-zentrierten Umgang mit Demenzkranken sind: Innere Ruhe, Empathie, Flexibilität, Stabilität, Ungezwungenheit in der Kontakt­aufnahme und Belastbarkeit. Hierbei bedeutet die Fähigkeit zur Empathie für Kitwood nicht die Fähigkeit, das zu fühlen, was eine andere Person fühlt. Vielmehr soll sich ein Verständnis für das Erleben und Leben eines Demenzkranken entwickeln. Das Bewusst­sein von eigenen demenzartigen Erfahrungen, wie z.B. das Gefühl des Verlassen seins oder der Machtlosigkeit, erleichtern es der PSA, die Gefühle der Betroffenen zu verstehen (vgl. Kitwood 2005, S. 27ff).

 

 

5.3      Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?

Die Klientin in der vorgestellten Situation war mir bereits bekannt, sodass ich auf biografisches Wissen zurückgreifen konnte. Sie ist gebürtige Indonesierin, die eine andere Einstellung zur Familie und Familienmitgliedern hat. So werden beispielsweise auch befreundete Kinder als „Bruder/ Sohn“ bzw. „Schwester/ Tochter“ angesprochen. Die Familienbande hat einen anderen Stellenwert als bei uns üblich.

Die Klientin lebt für Musik und hat Indonesien in jungen Jahren verlassen, um in Paris Musik zu studieren. Sie ist eine bekannte und anerkannte Pianistin und trat weltweit auf. Sie hat zwei Jungen adoptiert (dies kam erst in einem Biografiegespräch mit einem der Jungen heraus), die ihr Ehemann versorgte. Die Klientin war die Alleinverdienerin in ihrem Haushalt. Aufgrund ihres Berufs als Pianistin war sie viel unterwegs und hatte zeitweise mehrere Beschäftigungsverhältnisse gleichzeitig. Heute beschäftigt sie am meisten die Ausbildung von Ballettschülerinnen, welche sie unterrichtete. Aktuell spielt sie einmal in der Woche Klavier zur Begleitung von Ballettschülerinnen. Sie weist starke Hinlauf­tendenzen auf und hat bereits öfter das Gelände der SBK und z.T. die Stadt alleine verlassen, sodass die Polizei entsprechend informiert werden musste.

Aufgrund der fortgeschrittenen dementiellen Erkrankung befindet sie sich in einer anderen Zeit und ist davon überzeugt, zur Arbeit zu gehen, die Kinder von der Schule abzuholen oder wichtige Termine einhalten zu müssen. Gefangen in diesen Gedanken­karussell ist es schwierig, die Klientin am Weggehen zu hindern. Die Pflegekräfte haben oft Probleme, sie zu beruhigen. Ihr Sohn sagte in einem Gespräch, dass sie nicht mit Gewalt aufgehalten werden soll.

 

 

5.4      Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?

Das Konzept des Hauses sieht vor, dass das gemeinsame Leben und die Alltags­gestaltung unter Einbeziehung der Angehörigen (soweit möglich) im Vordergrund der Betreuung und Pflege der Bewohner stehen. Ziel ist es, den Tagesablauf flexibel und individuell zu gestalten, um ein möglichst „normales“, den bisherigen Gewohnheiten entsprechendes Leben im Pflegeheim zu ermöglichen. Dafür geht die Soziale Betreuung auf individuelle Bedürfnisse und Wünsche ein und verfolgt das Ziel, die Identität des Einzelnen so lange wie möglich zu erhalten.

Im Hinblick auf Hinlauftendenzen öffnet sich eine Kluft zwischen den „normalen“ Gewohnheiten der Klienten und den rechtlichen und Sicherheitsgrundlagen der Einrich­tung. Kein Klient darf mit Gewalt am Gehen gehindert werden. Dennoch können recht­liche Folgen entstehen, wenn ein Klient nicht mehr auffindbar ist. Ein weiteres Problem ist, dass die Betreuung eines Klienten mit Hinlauftendenzen sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, die dann für die Betreuung anderer Klienten fehlt.

 

 

5.5      Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?

Die PSA sollte Fähigkeiten wie Ruhe, Empathie, Stabilität, Belastbarkeit und Ungezwungenheit in der Kontakt­aufnahme besitzen. Auch an Geduld, Humor, Herz­lichkeit, Toleranz und Gelassenheit darf es nicht mangeln. Zudem sollte die PSA nicht an festgefahrene Lösungen festhalten, sondern muss flexibel genug bleiben um sich an die Demenzkranken anzupassen – denn die Demenzkranken können es nicht mehr. Hierfür ist ein fortlaufender Reflexionsprozess notwendig, um sich einen frischen Blick auf die jeweilige Situation zu bewahren.

 

 

5.6      Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?

Die PSA muss sich genügend Zeit nehmen, um die Klientin in ihrer individuellen Situation betreuen zu können. Die Qualität der Betreuung darf nicht unter Zeitdruck leiden. Zudem muss die PSA erkennen, welche Ursachen und Bedürfnisse sich hinter dem gezeigtem Verhalten verstecken und sich darüber klar werden, welche Bedürfnisse sie erfüllen kann und wo andere Fachpersonen mit einbezogen werden müssen. Ziele sollten in Kooperation zwischen beiden Parteien entwickelt werden, was die Fähigkeit, ruhig zu handeln und Angebote aufzuzeigen, beinhaltet. Zudem muss die PSA schnell und flexibel auf den Klienten (und dessen Widerstand) reagieren und ihre Angebote ggf. anpassen. Die Ziele der PSA sollten immer auf den Aufbau von Wertschätzung, Vertrauen und Respekt gerichtet sein.

Teamsitzungen eignen sich, um solche Situationen, beispielweise in Form einer Fall­besprechung, aufzuarbeiten. Hier kann die PSA eine Rückmeldung ihrer Kollegen erhalten, die ihr individuelles Handeln und andere Handlungsmöglichkeiten mitein­schließen. Zudem können die Kollegen von eigenen Erfahrungen berichten und eventuell auch biografische Daten der Klientin nachreichen.

 

 

5.7      Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?

  • Berufsethos der Sozialen Arbeit

    Das Berufsethos legt fest, welche Werte in der Sozialen Arbeit grundsätzlich vertreten werden. Aus diesen Werten lassen sich Normen ableiten, die sozialarbeiterisches Handeln aufzeigen. Zu den zentralen Werten in der Sozialen Arbeit zählen nach Lob- Hüdepohl (2007) Menschenwürde, Autonomie und Gerechtigkeit sowie Solidarität. Zusätzlich formuliert er professionsmoralische Grundhaltungen wie aufmerkendes, achtsames, assistierendes, anwaltliches Arbeiten als handlungsleitend.

    Der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. nennt zwei zentrale Prinzipien für die Grundlagen der Sozialen Arbeit: Die Achtung der Menschenrechte/ Menschenwürde und die Wahrung der sozialen Gerechtigkeit. Die Selbstbestimmung der Klienten muss geachtet werden, indem dem Klienten zugestanden wird, eigene Entscheidungen zu treffen, sofern dadurch nicht andere Rechte gefährdet werden.  Klienten sollen in Handlungen mit einbezogen werden und nach einen ganzheitlichen Ansatz betreut werden. Einer negativen Diskriminierung aufgrund von Alter, Erkrankung etc. ist ent­gegenzuwirken, indem die Verschiedenheit der Klienten anerkannt und respektiert wird (vgl. DBSH 1997, S. 3).
  • Leitbild der Einrichtung (aus Datenschutzgründen nicht näher erläutert)

Innerhalb der ersten Sequenz wird ersichtlich, dass die PSA über Vorkenntnisse hinsichtlich des Krankheitsbildes Demenz und der Klientin (1) verfügt. Dieses Wissen entstand durch frühere Kontakte mit der Klientin ebenso wie durch Teamsitzungen und Anleitergespräche. Es half der PSA enorm, da sie dadurch die Klientin bzw. ihr Verhalten einschätzen konnte und zudem erste Handlungsmöglichkeiten anhand der bekannten Vorlieben und Abneigungen der Klientin ersann.

In der zweiten Sequenz nimmt die PSA Kontakt zur Klientin auf. Sie tritt ihr wertschätzend und ohne Vorurteile gegenüber (2). So ist die PSA nicht hektisch oder verärgert aufgrund dieses außerplanmäßigen Spaziergangs, sondern nähert sich der Klientin einfühlend und ohne das Verhalten der Klientin zu bewerten. Sie baut Vertrauen auf, indem sie die Klientin namentlich anspricht und ihr Aufmerksamkeit und körperliche Nähe entgegenbringt (4)

In der dritten Sequenz entsteht ein Gespräch, indem die Klientin der PSA ihre Sorgen berichtet. Die PSA hört der Klientin aktiv zu, lässt sie ihren Standpunkt vertreten und nimmt ihre Sorgen und Ängste ernst (3). Im weiteren Verlauf bestätigt die PSA die Sichtweisen der Klientin, ohne sie zu korrigieren (5). Nur so wird dem gefühlsmäßigen Inhalt der Aussagen der Klientin mehr Bedeutung beigemessen als deren Wahrheitsgehalt. Außerdem würde eine Richtigstellung die Klientin zutiefst verunsichern und das Vertrauen zwischen PSA und Klientin zerstören.

Aufgrund des vorhandenen Vorwissens und der Schilderung der Klientin erkennt die PSA in dem Verhalten der Klientin deren verinnerlichte Lebensprinzipien, die sich um Arbeit, Pflichtbewusstsein und -erfüllung drehen (Antrieb). Zugleich erkennt sie die wechselnden Gefühle der Klientin, die zwischen selbstbestimmend, ängstlich und verwirrt schwanken (6). Dieses Wissen schafft Verständnis für die Situation der Klientin, gleichzeitig ergeben sich daraus Handlungsoptionen und Gesprächsthemen, die passend für die Bewältigung der Situation sind.

In der vierten Sequenz äußert die Klientin, nach Hause zu wollen, da sie müde sei. Dem Wunsch entsprechend (7) begleitet die PSA die Klientin in das Gebäude, führt sie durch die Räumlichkeiten und bringt sie letztendlich zu ihrem Zimmer. Durch die Erfüllung des Wunsches wird die Selbstwirksamkeit der Klientin gestärkt (8), da sie aus freien Willen formulierte, nach Hause zu wollen (statt von der Pflegerin „gezwungen“ zu werden). So wurden die Bedürfnisse und die Mitbestimmung der Klientin unterstützt und ihre Individualität sowie ihr Wille respektiert.

Durch die gesamte Situation zieht sich der 4. Qualitätsstandard („Durch Aufmerksamkeit, Empathie und körperliche Nähe wird das Vertrauen der Klientin gefestigt“). Ohne dieses erworbene Vertrauen sinken die Chancen auf eine erfolgreiche Rückführung der Klientin beträchtlich. In der vorgestellten Schlüsselsituation werden alle Qualitätsstandards erfüllt, was sich auch durch das positive Ergebnis bestätigen lässt.

Die vorgestellte Schlüsselsituation läuft ohne Komplikationen geradlinig auf die Lösung des Problems hin und konnte innerhalb kürzester Zeit abgehandelt werden. Die Praxis zeigt jedoch, dass andere Hinlauf-Situationen nicht so einfach zu bewältigen sind.

So erschwert es der PSA ihre Interaktion, wenn sie einem unvertrauten Klienten gegenübersteht, da sie dann nicht mithilfe biografischer Informationen auf sein Verhalten eingehen kann. Zudem wird ein aufgebrachter Klient einer fremden Person nicht das Vertrauen entgegenbringen, dass meine Klientin mir im genannten Beispiel entgegenbrachte. Die Qualitätsstandards (außer (1)) sind aber dennoch handlungsleitend: So ist auch einem fremden Klienten gegenüber ein wertschätzendes (2) und empathisches Verhalten (4) gefragt, das von aufmerksamen Zuhören (3) und dem Bestätigen seiner Sichtweisen (5) begleitet wird. Es wird der PSA jedoch schwerer fallen, die Antriebe und Gefühle (6) hinter dem gezeigten Verhalten zu erkennen. Auch bei einer fremden Person sollten die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt und eine Selbstverwirklichung ermöglicht werden.

Das Kennenlernen in einer solchen Situation erschwert den Aufbau von Vertrauen, der Klient fühlt sich ängstlich, wütend und gehetzt und wurde in den meisten Fällen bereits von Anderen aufgehalten. Mit ganz viel Ruhe und der Zeit, auf ihn und seine Bedürfnisse einzugehen (7), gelingt es häufig, ihn aus dieser angespannten Situation herausholen. Es empfiehlt sich, das Gespräch an einen ruhigen Ort zu verlegen, verbunden mit einem Spaziergang dorthin, der gleichzeitig die Selbstwirksamkeit des Klienten stärkt (8).

Ferner ist es wichtig, den Klienten nicht noch mehr in seine (Wahn-)Vorstellung zu treiben, vielmehr meint die Bestärkung der Sichtweisen der Klienten (5), den gefühlsmäßigen Inhalt der Aussagen des Klients mehr Bedeutung entgegenzubringen als deren Wahrheitsgehalt. Fragt der Klient beispielsweise nach seinem verstorbenen Sohn, erzählt man ihm keine langen Lügengeschichten, sondern sucht das Gefühl, das in dieser Frage mitschwingt. Gefühle treten in der Demenz stets unmittelbar und echt als Ausdruck der momentanen Befind­lichkeit auf. Oft verlangt es den Klienten nur nach der Bestätigung ((5)=Sicherheit), dass alles in Ordnung ist. Hilfreich kann auch sein, seine Aufmerksamkeit auf frühere Erinnerungen mit seinem Sohn zu lenken. Dies bietet häufig die Chance, ganz vom auslösenden Thema wegzukommen, indem der Klient beispielsweise von einem Urlaub mit seinem Sohn erzählt und sich dann in die Richtung Länderkunde/ Reisen lenken lässt.

Dann gibt es sicher auch Situationen, in denen jegliche Interaktionen  scheitern. Hat die PSA beispielsweise hektisch, ungeduldig oder abwertend auf den Klienten reagiert, wird sie ihn nur schwer erreichen können. Demenzkranke sind sehr feinfühlig, was Gefühle angeht. Manchmal hilft es, komplett aus der Situation herauszugehen und es anschließend noch einmal zu versuchen, beispielsweise, indem man den Klienten auf seinem Weg wie zufällig entgegentritt und somit eine zweite Chance erhält, die Qualitätsstandards richtig anzuwenden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, aus der Situation herauszugehen und eine Kollegin/ einen Kollegen (vielleicht jemand, der sich gut mit dem Klienten versteht) hinter dem Klienten herzuschicken. Diese Kollegin/ dieser Kollege sollte bis dahin unbeteiligt an der Situation gewesen sein. Durch sein neutrales Auftreten kann er die Situation nun unvoreingenommen und anhand der Standards gestalten.

  • BDSH (1997): Grundlagen für die Arbeit des DBSH e.V. – Ethik in der Sozialen Arbeit. Göttingen. Einzusehen unter: http://www.dbsh.de/fileadmin/downloads/Ethik.Vorstellung-klein.pdf [letzter Zugriff: 08.02.2015]
  • Kastner, Ulrich; Löbach, Rita (2010): Handbuch Demenz. München: Elsevier / Urban & Fischer
  • Kitwood, Tom (2005): Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Bern: Huber
  • Lob-Hüdepohl, Andreas (2007). Berufliche Soziale Arbeit und die ethische Reflexion ihrer Be-ziehungs- und Organisationsformen. Paderborn: Ferdinand Schöningh
  • Messer, Barbara (2012): 100 Tipps für die Validation. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
  • Radenbach, Johanna (2011): Aktiv trotz Demenz – Handbuch für die Aktivierung und Betreuung von Demenzerkrankten. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
  • Schwarz, (2009): Basiswissen: Umgang mit demenzkranken Menschen. Bonn: Psychiatrie- Verlag
  • Thiersch, Hans (2002): Positionsbestimmung der Sozialen Arbeit. Weinheim: Beltz Juventa
  • Weinberger, Sabine (2011): Klientenzentrierte Gesprächsführung: Lern- und Praxisanleitung für psychosoziale Berufe. Weinheim: Beltz Juventa

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