Telefonisch beraten / Krisenintervention mit selbstgefährdeten Klient*innen

Stichwörter:

Kontext / Ausgangslage

Bei der Sozialhilfe führen Sozialarbeitende die Erstgespräche mit den antragstellenden Personen. In diesen Gesprächen geht es darum die persönliche und finanzielle Situation der Person/en zu erfassen, Unklarheiten zu klären und darauf basierend über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Zur Abstützung dieses Entscheides kann auf weitere Teammitglieder, Teamleitung (TL), Abteilungsleitung (AL), Rechtsdienst (RD) und Sozialversicherungsspezialist*innen (FGS) zurückgegriffen werden, um bei Unsicherheiten eine Zweitmeinung bzw. fachspezifische Expertise hinzuzuziehen.

Es gilt jeweils abzuklären, ob weitere Sozialversicherungen geltend gemacht werden können und somit eine kurzfristige Ablösung von der Sozialhilfe ermöglicht werden kann. Dabei gilt immer das Subsidiaritätsprinzip, welches besagt, dass Ansprüche aus anderen Sozialversicherungen oder allfällige andere Ansprüche der Sozialhilfe vorzuziehen sind. Als zuständiger PSA wird unter Berücksichtigung der oben genannten Zweitmeinungen abgewogen, ob die Geltendmachung dieser subsidiären Ansprüche aktuell zumutbar scheinen oder nicht. Wenn die Geltendmachung zumutbar scheint, ist die Person dahingehend zu aktivieren (Mittels: Begleitung, Beratung und Aufforderung bis hin zu Androhung der Unterstützungseinstellung) alternativ kann vorerst oder ganz darauf verzichtet werden (dies muss aus sozialen Gründen gut und breit abgestützt sein). In diesem Fall oder wenn keine Sozialversicherungen ein bedarfsdeckendes Einkommen zukommen lässt, wird die Person mit einer Empfehlung für eine zukünftige Fallstrategie (psychosoziales Assessment) in die Sozialberatung (SB I und SB II) weitergereicht. Weiter gehört zum Auftrag den Entscheid über die finanzielle Unterstützung und deren Höhe zu Fällen und zu Begründen und im Rahmen der Persönlichen Hilfe die antragsstellenden Personen zu beraten.

Bevor ein Erstgespräch zwischen antragsstellenden Personen und den PSA stattfindet, reichen die antragsstellenden Personen das Unterstützungsgesuch (UG) mit sämtlichen bedürftigkeitsrelevanten Unterlagen ein. Diese Unterlagen werden von einem Team von kaufmännischen Mitarbeitenden (KSB) unter der Leitung eines Sozialarbeiters gesammelt, in Absprache und mit Unterstützung der antragsstellenden Personen ergänzt und zu einem möglichst aussagekräftigen Antrag angereichert. Wenn das “Dossier” möglichst vollständig ist, wird dieses einem Sozialarbeiter des “Intakes” zugeteilt.

Sozialarbeitende haben die Möglichkeit, die Unterlagen vor dem Gespräch zu studieren, vorzubereiten und bereits erste (oder alte) Akteneinträge (Einträge im Hauptprotokoll) über die bisherige Interaktion zu lesen.

Ausgangslage

Der zugeteilte Antrag ist vollständig und aus den Unterlagen können bereits viele Schlüsse zur Situation in Bezug auf subsidiäre Leistungen gezogen werden. Im HP wurde darauf hingewiesen, dass geforderte Unterlagen «überraschend schnell» eingereicht wurden vom Eingang des Unterstützungsgesuchs bis zur Zuteilung des Dossiers an den PSA sind 3 Tage vergangen in denen die Person “P” noch fehlende Unterlagen nachgereicht hat. Die Unterlagen zeigen die Situation eines alleine wohnenden, geschiedenen Vaters. Die minderjährige Tochter wohnt bei der Mutter, laut Zivilgericht muss “P” monatlich Alimente zahlen. Laut Unterlagen der Unfalltaggeldversicherung wurde “P” vor über einem Jahr durch einen Autounfall aus dem Berufsalltag gerissen. Die Unfallversicherung hat kürzlich die Zahlungen eingestellt mit der Begründung die Arbeitsunfähigkeit sei nun krankheitsbedingt. Anspruch auf Krankentaggelder würden theoretisch bestehen, der Arbeitgeber hat jedoch nach dem Unfall eine Kündigung ausgesprochen gegen welche mit Unterstützung eines Anwalts von “P” nun gerichtlich vorgegangen wird. “P” braucht nun bis zum Gerichtsentscheid finanzielle Unterstützung durch die Sozialhilfe.

Aufgrund der C19 Pandemie, wird das Erstgespräch via Telefon geführt. Nach einer kurzen Auftrags- und Rollenbesprechung werden die eingereichten Unterlagen besprochen, die Situation aus Sicht von “P” abgefragt und offene Fragen von Seite von “P” beantwortet. Bevor das weitere Vorgehen und eine mögliche Fallstrategie besprochen werden, teilt der PSA “P” den Unterstützungsentscheid mit und erklärt anhand der Berechnung, welche auf Grundlage der eingereichten Unterlagen und der Situationserklärung der Person basiert, wann welche Zahlungen von der Sozialhilfe an “P” erfolgen können. Es wird vereinbart dass die besprochene Berechnung per Post an “P” versendet wird. Das Erstgespräch wird mit dem Hinweis beendet, dass “P” sich bei Fragen und Unklarheiten beim PSA melden kann und bei Bedarf auch ein Gespräch vor Ort vereinbart werden könnte.

Am Tag nach dem Erstgespräch meldet sich “P” telefonisch beim PSA, da “P” auffällt dass auf der Berechnung die zu zahlenden Alimente nicht berücksichtigt werden. Um ganz sicher zu gehen dass dies so richtig ist klärt der PSA die Situation mit dem Rechtsdienst der Sozialhilfe nochmal ab. Das Vorgehen des PSA, die Alimente nicht in der Sozialhilfeberechnung zu berücksichtigen, wird vom Rechtsdienst der Sozialhilfe als richtig bestätigt. Der PSA meldet sich anschliessend mit dem Ergebnis bei “P” wieder.

 

Situation

Der PSA meldet sich telefonisch bei “P” und erklärt dass und wieso die Alimente in der Berechnung nicht berücksichtigt werden und wie vorzugehen ist, damit künftig keine

Alimenten-Zahlungen mehr geschuldet sind. (Vorgehen: Kontaktaufnahme mit Zivilgericht und neue Berechnung der Alimenten Zahlungen. Bei Personen welche von der Sozialhilfe unterstützt werden, fällt die Berechnung immer auf CHF 0.00 aus, da von der Sozialhilfe unterstützte Personen für sich selber ungenügend Einkommen haben und so nicht noch für andere Personen aufkommen können. Falls das Kind oder der Erziehungsberechtigte

Elternteil durch die fehlenden Alimenten zu wenig Einkommen für den Lebensbedarf hat, muss sich das Kind und ggfs. der Erziehungsberechtigte Elternteil bei der Sozialhilfe anmelden.)

”P” versteht das Vorgehen, äussert jedoch dass es für ihn sehr belastend sei, dass er nicht mehr für sein Kind da sein könne.Da “P” auf den PSA niedergeschlagen wirkt, fragt der PSA nach dem Psychischen Wohlbefinden von “P”.

“P” äussert darauf, er wisse nicht was er in fünf Minuten mache, seine Vorstellung sei jedoch mit einem Nervenbruch vergleichbar. Weiter äussert “P” Suizid sei sein Menschenrecht. “P” habe bereits öfter den Gedanken „mit der Gegenfahrbahn“ gehabt. Auf Nachfrage des PSA antwortet “P” er habe schon Kollegen an die er sich wenden könne, darum gehe es jedoch nicht. “P” äussert, er verspreche nicht dass er sich nichts antue. Zum Schluss des Telefongesprächs wird noch ein Thema besprochen, welches eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung von “P” beinhaltet.

Begrüssung und Anrufgrund

Der PSA meldet sich telefonisch bei “P” und erklärt dem Klienten, aus welchem Grund er sich meldet und nimmt dabei Bezug auf das letzte Gespräch und die Abklärungen, welcher er in diesem Zusammenhang getätigt hat.

Reflection in Action

 

Emotion Klient/in: Hoffnungsvoll; ich hoffe es kommt alles gut. Dankbarkeit; ich bin froh dass der PSA sich schon meldet. Angespannt; ich weiss nicht was mich erwartet.

Emotion Professionelle/r: Erleichtert; ich habe alles richtig gemacht. Unangenehm, ich muss eine schlechte Botschaft überbringen. Sicher; ich habe mich rückversichert.

Kognition Professionelle/r: Ich fühle mich sicher weil ich mich über den internen Rechtsdienst rückversichert habe, dass ich richtig handle im Rahmen meines gesetzlichen Auftrags. Durch die Abklärungen konnte ich zudem ein vertieftes Verständnis für die Situation aufbauen.

 

Information PSA über Leistungen der SozG sowie weiteres Vorgehen

Der PSA erklärt, dass und wieso die in der Berechnung nicht berücksichtigte Alimente nicht berücksichtigt werden und wie vorzugehen ist, damit künftig keine Alimenten-Zahlungen mehr geschuldet sind (Vorgehen: Kontaktaufnahme mit Zivilgericht und neue Berechnung der Alimenten Zahlungen). Bei Personen welche von der Sozialhilfe unterstützt werden, fällt die Berechnung immer auf CHF 0.00 aus, da von der Sozialhilfe unterstützte Personen für sich selber ungenügend Einkommen haben und so nicht noch für andere Personen aufkommen können. Falls das Kind oder der Erziehungsberechtigte Elternteil durch die fehlenden Alimenten zu wenig Einkommen für den Lebensbedarf hat, muss sich das Kind und ggfs. der Erziehungsberechtigte Elternteil bei der Sozialhilfe anmelden.)

Reflection in Action

 

Emotion Klient/in: Enttäuschung, Ernüchterung; ich habe mir etwas anderes erhofft. Hilflosigkeit; ich bin abhängig von anderen. Verzweiflung; ich lasse mein Kind im Stich. Sorgenvoll; wie geht es für meinen Sohn weiter nun? Angst; ich kann vielleicht mein Kind nicht mehr sehen.

Emotion Professionelle/r: Mitgefühl; das ist sicher nicht einfach für den KL. Sicherheit; ich handle richtig. Erwartungsvoll; wie nimmt der KL die Nachricht auf?

Kognition Professionelle/r: Ich habe versucht dem Kl nachvollziehbar zu erklären, aus welchem Grund keine Alimente bezahlt werden. Mir war es wichtig, dem beraterischen Auftrag nachzukommen und somit die persönliche Hilfe zu gewährleisten. Es war mir wichtig, dass der KL weiss, welche Möglichkeiten er hat in der Situation.

 

Erste Reaktion Klient

Nach den Ausführungen des PSA äussert sich “P” das er das Vorgehen verstehe. Seine Stimme wird dabei jedoch spürbar leiser und ruhig. P äussert, dass es für ihn sehr belastend sei, dass er nicht mehr für sein Kind da sein könne.

Reflection in Action

 

Emotion Klient/in: Bedrückt; fühle mich der Situation ausgeliefert. Traurig; kann meinem eigenen Anspruch an meine Rolle als Vater nicht gerecht werden. Auswegslos; wie kann es weitergehen?

Emotion Professionelle/r: Alarmiert; die Stimmung kippt. Schuldig; hätte ich es anders sagen können. Bedrückt, betroffen; welchen Anteil habe ich? Verständnisvoll; ich kann das gut verstehen. Unsicher, nervös; ich bin noch unerfahren mit solchen Situationen.

Kognition Professionelle/r: Ich weiss mein Auftrag als PSA ist es, die Äusserungen des KL aufzunehmen / ernstzunehmen.

 

Selbst- und Fremdgefährdung Klient

Der PSA gibt P die Rückmeldung, dass er den Eindruck hat dass sich seine Stimmung verändert hat aufgrund seiner Stimmlage uns Äusserungen. “P” äussert darauf, er wisse nicht was er in fünf Minuten mache, seine Vorstellung sei jedoch mit einem Nervenbruch vergleichbar. Weiter äussert “P” rechtfertigend, Suizid sei sein Menschenrecht. “P” habe bereits öfter den Gedanken „mit der Gegenfahrbahn“ gehabt.

Reflection in Action

Emotion Klient/in: Dunkel, Auswegslos; ich kann nicht mehr klar denken. Entmutigt, Verzweifelt; was soll ich tun? Hilflos, verloren; was soll ich tun? gefühlsgeladen; wohnin mit meinen Emotionen?

Emotion Professionelle/r: Angespannt; Alarmiert; meine Befürchtungen sind wahr geworden. Niedergeschlagen; Verzweiflung; ich kann dir nicht helfen, ich kann dir keine Ausweg anbieten.

Kognition Professionelle/r:Ich fasse die Situation und meine Eindrücke kurz zusammen um die Situation zu erfassen und damit der KL sich abgeholt fühlt. Zusammenfassen signalisiert aktives Zuhören und gibt mir Zeit, mir Handlungsoptionen zu überlegen. Ich versuche in der Situation die richtigen Fragen zu stellen um die Situation zu deeskalieren.

 

Situationserfassung

Der PSA fragt nach, wie der Klient sich im Moment fühlt und ob er, falls Suizidgedanken auftreten würden, er sich an jemanden wenden könne. Auf Nachfrage des PSA antwortet “P”, er habe schon Kollegen an die er sich wenden könne, darum gehe es jedoch nicht. “P” äussert, er verspreche nicht dass er sich nichts antue.

Reflection in Action

 

Emotion Klient/in: Wütend; SozH / der PSA ist Schuld an meiner Situation. Kontrollverlust; Resignation; was passiert nun? Sachlich, nüchtern; es gibt keinen anderen Ausweg. Kontrollierend; ich bestimme über mich.

 

Emotion Professionelle/r: Überforderung; was soll ich tun? Handlungsunfähigkeit; ich kann nichts tun. Hilflosigkeit, da P auf das angesprochene soziale Hilfenetz nicht eingehen wollte.

Kognition Professionelle/r: Ich frage aktiv nach einem Auffangnetz um mich abzusichern und auch um den KL Alternativen / Möglichkeiten im Umgang mit der Situation aufzuzeigen. Ich mache mir Sorgen und versuche mich abzusichern um auch mit meiner eigenem Gefühl der Machtlosigkeit einen Umgang zu finden.

 

Verabschiedung/Abschluss

Zum Schluss des Telefongesprächs spricht “P” noch ein Thema an, welches eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung von “P” beinhaltet. Danach wurde das Telefonat nach einer kurzen Verabschiedung beendet.

Reflection in Action

 

Emotion Klient/in: Bewegt, dass mindestens an einem Ort eine Tür aufgeht. Kleiner Lichtblick in der aktuellen negativen Stimmung. Aufgewühlt vom soeben geführten Telefongespräch. Insgesamt resigniert, ernüchtert (die Hoffnungen haben sich zerschlagen). Muss alles erst setzen lassen, Gefühle ordnen.

Emotion Professionelle/r: Bedrückt und besorgt von den Aussagen von “P”, bekümmerte und zugewandte Gefühle zum Klienten. Beunruhigte Emotionen: mir ist unklar, ob tatsächliche eine Selbstgefährdung besteht und ich darauf reagieren muss.

 

Kognition Professionelle/r: Ich versuche “P” eine positive Mitteilung auf dem Weg zu geben und das Telefonat mit einer positiven Rückmeldung zu beenden. Ich hoffe, dass die Mitteilung den Gemütszustand von “P” begünstigt und seine selbstgefährdeten Gedanken vermindern.

1.1               Erklärungswissen Warum handeln die Personen in der Situation so?

Warum fühlt sich der PSA verantwortlich/schuldig für die Gefühle von P trotz korrekter Vorgehensweise und Aufzeigen einer Lösung?

Nähe und Distanz

Das Thema Nähe und Distanz ist ein Kernelement in der Sozialen Arbeit und im Umgang mit Adressaten und Adressatinnen, aber auch mit den Kollegen und Kolleginnen. Dabei besteht die Kunst darin, ein Gleichgewicht aus den beiden Gegenpolen zu finden und gehört zu einer der Fähigkeiten, welche für professionelles Handeln von zentraler Bedeutung sind. Dieses Gleichgewicht wird jedoch nicht nur aus dem Alltagsbewusstsein erreicht, sondern muss (auch) aus Theoriewissen entstehen (vgl. Thiersch 2019:42).

,,Verschiedene Theorie- und Professionskonzepte in der Sozialen Arbeit thematisieren Fragen nach Nähe und Distanz, also z.B. die Systemtheorie, die Dienstleistungstheorie, die psychoanalytische (Sozial-)Pädagogik oder die hermeneutisch-pragmatische

Sozialpädagogik. Ich beziehe mich im Folgenden auf das Konzept einer lebensweltorientierten Sozialen Arbeit.’’ (Thiersch 2019:43.)

Nähe und Distanz kommt auch in verschiedenen Beziehungsmustern in unserem Alltag vor, damit kommt auch der Begriff ,,Gemengenlagen’’ auf. Damit wird die Verflechtung von verschiedenen Schichten oder in diesem Zusammenhang Rollen der Personen je nach

Beziehung verstanden.

,,Unterschiedliche Gemengelagen von Nähe und Distanz bestimmen das Profil unterschiedlicher Rollen, z.B. der Eltern – also der Mutter und des Vaters –, der Großeltern, der Verwandten, der Freunde, der Mitschüler und Arbeitskollegen, aber auch der besten Freunde und Bekannten. Unterschiedliche Gemengelagen von Nähe und Distanz bestimmen aber nicht nur das Profil der Rollen neben und gegeneinander, sondern auch das Gefüge einer Rolle in sich: Eltern, Freund oder Freundin und Bekannte repräsentieren unterschiedliche Bereiche, in denen man vertraut, gegeneinander offen und aufeinander angewiesen ist und Bereiche, die in der Beziehung unwichtig, irrelevant sind, ja ausgespart werden.’’ (Thiersch 2019:44).

 

Dabei sind die Gemengenlagen von Nähe und Distanz innerhalb der Rollen nicht festgelegt, sondern verändern sich je nach Entwicklung der Beziehungen und den jeweiligen Lebensphasen immer wieder. Nähe und Distanz ist allgegenwärtig, wenn auch uns nicht immer bewusst auch im Bezug zu Zeit und Raum (vgl. Thiersch 2019:44).

,,Selbstverständlichkeiten der Nähe gehen einher mit Erfahrungen des Anderen, Neuen, nicht Vertrauten. In diesem Geflecht erfahren Menschen Nähe als Geborgenheit und Verlässlichkeit und zugleich Distanz als Abstand zum Nahen, als Freiraum, der Chancen zur Erweiterung der Nähe und damit zur Eigensinnigkeit von Lebensbewältigung öffnet. So ist Nähe auf Distanz verwiesen und Distanz auf Nähe. Nähe gelingt, wo auch Distanz gegeben ist, und Distanz, wo sie sich auf Nähe beziehen kann,, (Thiersch 2019:45).

Pädagogische Nähe und Distanz

Das pädagogische Wesen hat Konsequenzen für die Entwicklung des pädagogischen Umgangs im Verhältnis von Nähe und Distanz. In der Zusammenarbeit zwischen dem Professionellen der Sozialhilfe und dem Klient oder der Klientin benötigt es gegenseitiges Vertrauen und die Zumutung zur Selbständigkeit (von Professionellen an Klienten und Klientinnen) (vgl. Thiersch 2019:48).

Diese enge Zusammenarbeit benötigt eine besondere Ausprägung von Nähe und Distanz. Einerseits ist die Aufgabe vom Professionellen, den Klienten oder die Klientin zu unterstützen (Nähe), andererseits ist der Klient darauf angewiesen, seinen Freiraum zur Gestaltung und Entfaltung seines Lebens zu bekommen (Distanz) und wird seitens des Professionellen ermutigt, seine Selbstfindung zu erfahren. Für diesen Prozess benötigt es Offenheit für Versuche, Zutrauen ins Werden und Neugier auf seine Entfaltung. Dieses Beispiel veranschaulicht das ständige Gegenspiel zwischen Nähe und Distanz (vgl. Thiersch 2019:42).

Triple Mandat

Die drei Mandate setzen sich folgendermassen zusammen:

Gesellschaft: Der gesellschaftliche und politische Kontext beeinflusst und definiert die Rahmenbedingungen, unter welchen das Sozialwesen seine Leistungen für die AdressatInnen erbringt

 

Klientel: Soziale Probleme entstehen in den konkreten Lebensverhältnissen von Individuen oder Personengruppen. Diese erwarten von der Sozialen Arbeit Unterstützung in der Lösung oder Bewältigung ihrer konkreten, praktischen Probleme.

Profession: Das Mandat der Profession beinhaltet den Anspruch an die wissenschaftliche Fundierung von Theorie und Praxis und die Berufsethik als normativer Kompass zur

Begründung professionellen Handelns (vgl. Sozialinfo 2021).

 

 

Relationierung Erklärungswissen

Warum fühlt sich der PSA verantwortlich/schuldig für die Gefühle von P trotz korrekter Vorgehensweise und Aufzeigen einer Lösung?

Nähe und Distanz

Das Gefühl vom PSA, P im Bezug zu seiner Suizidäusserung am Telefon nicht gut genug unterstützt oder abgeholt zu haben, kann mit der Erwartungshaltung und Einstellung vom PSA an sich selbst erklärt werden. Der Ursprung liegt nicht am mangelndem Nähe-Distanz- Verhalten vom PSA zu seiner Klientenarbeit, sondern vielmehr dabei, stets hohe Erwartungen an sich selbst zu haben und daher das Gefühl zu verspüren, etwas nicht (gut) genug zu tun.

Eventuell fühlt sich der PSA auch schuldig für die Gefühle von P, da er sich fragt, ob er durch vorherige Gespräche etwas hätte anders tun sollen, damit sich die Situation von P nicht so weit zugespitzt hätte. Vorstellbar wäre in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass der PSA sich fragt, ob die Gefühlslage von P anders ausgesehen hätte, wäre die Information der höheren Auszahlung (positiv und wichtig für P) bereits früher gekommen wäre und allgemein, ob sein Handeln (PSA) in der Vergangenheit die Gefühlslage von P geändert haben könnte.

Wie der Theorie zufolge von Thiersch aufgeführt, ist ein Teil vom professionellen Handeln bzw. eine Aufgabe vom PSA, den Klienten oder die Klientin (P) in seiner oder ihrer Integration zu unterstützen, welche der Nähe entspricht, andererseits muss dem Klient oder der Klientin den nötigen Freiraum gegeben werden, sich entfalten zu können und sein oder ihr Leben frei gestalten zu können, was der Distanz entspricht.

Für diesen Prozess des ständigen Zuspieles der beiden Gegenpole braucht es Zutrauen in den Klient oder die Klientin und eine gewisse Offenheit, loszulassen und zu vertrauen.

Der PSA fühlt sich in seinem Fall trotz korrekter Vorgehensweise und Aufzeigen einer Lösung schlecht und schuldig für die Gefühlslage von P, da er sich in der Mitte vom Nähe-Distanz- Verhalten befindet und zudem durch die Suizidäusserung vor einen Härtefall gestellt wurde.

Dies benötigt eine neue Form von Vertrauen in den Klienten oder die Klientin, welches der PSA noch nicht geben kann und sich nicht sicher ist, wie viel Nähe bzw. Distanz in diesem Fall vom Klienten oder der Klientin erwünscht oder benötigt wird.

Triple Mandat

 

Gesellschaft: In unserem Fall der Schlüsselsituation wird dieser Punkt mit der Sozialhilfe Basel-Stadt definiert. Die SozH BS gibt Regeln und Rahmenbedingungen vor, die den

Professionellen/die Professionelle der Sozialen Arbeit (PSA) und den Klienten/die Klientin

(P) bindet und in ihrer Zusammenarbeit oder Berufsbeziehung stets begleiten. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen und das Konzept wird dabei von der Politik definiert und von der Sozialhilfe ausgeführt.

Klientel: Hier bezieht sich die zweite Ebene auf den Klienten/die Klientin (P).

 

In unserem Fallbeispiel möchte P eine Auszahlung, die die Sozialhilfe BS nicht geben kann.

Der PSA muss ihm telefonisch Bescheid geben, dass der Betrag nicht ausgezahlt werden kann, was sich negativ auf die Stimmung von P auswirkt und Angst sowie Unsicherheit in ihm auslöst. Wichtig für ihn ist die Unterhaltszahlung von ihm für seine Tochter, welche durch den negativen Bescheid der Sozialhilfe BS gefährdet ist.

Profession: Bei der dritten Ebene geht es darum, wie der Professionelle/die Professionelle der Sozialen Arbeit (PSA) aufgrund seinem/ihrem Fachwissen reagiert und handelt bzw. Gespräche führt und steuert und Konfliktsituationen am besten handelt (professionelles Handeln).

Der PSA geht auf die Reaktion und Gefühle des P ein und nimmt nach dem Telefonat Rücksprache mit seinem Vorgesetzten, woraufhin er die Polizei avisiert. Durch diesen Schritt wurde die Berufsbeziehung vom PSE und P gefährdet (Vertrauensbruch).

 

 

5.1               Erklärungswissen Warum handeln die Personen in der Situation so?

Warum definiert KL seine Vaterrolle so stark über die Unterhaltszahlungen seinerseits?

ROLLENTHEORIE nach Dahrendorf (und Goffmann)

Jeder Mensch ist als soziales Wesen eingebunden in die Gesellschaft und damit automatisch in Interaktion mit bzw. abhängig von dieser. Die Gesellschaft ist also eine Tatsache, der sich niemand entziehen kann. Jede Person in der Gesellschaft hat wiederum soziale Rollen. Diese können als Zwang oder als Halt erlebt werden, der Sicherheit vermittelt. Mit sozialen Rollen eng verbunden sind Rollenerwartungen. Diese werden von der Gesellschaft bewertet und positiv oder negativ sanktioniert. Obwohl der Begriff “Sanktion” oft negativ behaftet ist, ist er als neutraler Begriff zu verstehen. Wer seine Rolle «spielt» wird belohnt, wer sie nicht spielt, bestraft. Sanktionen können im Positiven also eine Bestätigung/ Anerkennung oder im negativen Kontext Formen der Missbilligung/Bestrafung sein. Die Gesellschaft prägt die Rollen vor und entscheidet, welches Verhalten konform ist und welches nicht. Es ist die Gesellschaft, die Prestige verleiht oder Verachtung zuteilt (vgl. Dahrendorf 2010: 38). Der kanadische Soziologe Erving Goffmann beschreibt es in seinem Buch ‘Wir alle spielen Theater’ so: «die Rolle, die ein Einzelner spielt, ist auf die Rollen abgestimmt, die andere spielen; aber diese anderen bilden zugleich das Publikum.» (Goffmann 2014: 3)

Er vergleicht das Zusammentreffen von Menschen also mit einer Theaterbühne, wo jedes Individuum eine Rolle spielt, zusammen mit anderen Schauspielern. Bewertet wird das Individuum (der Rollenträger) einerseits von den Schauspielkollegen, andererseits vom Publikum. Wenn beim Individuum ein Ereignis eintritt, dass mit der angestrebten Rolle nicht vereinbar ist, machen sich auf drei Ebenen Folgen bemerkbar: Erstens im Dialog zwischen dem Schauspieler (Rollenträger) mit den anderen Schauspielern (Rollenträgern), denn das ‘einstudierte’ Ensemble gerät ins Wanken. Zweitens in der Beurteilung des Publikums (Gesellschaft), weil die definierte Ordnung nicht mehr organisiert ist und sich das nicht normative Verhalten eines Einzelnen auf den Ruf der gesamten ‘Theatergruppe’ auswirkt. Und drittens sieht das Individuum (der Rollenträger) sich selbst in einem Konflikt, weil er im Widerspruch mit der Identifikation seiner Rolle steht, und die soziale Interaktion mit den anderen Einheiten nicht stören/gefährden will (vgl. ebd.: 221/222).

Das Wirken von Sanktionen über die Gesellschaft erklärt sich im Zusammenhang mit Rollenerwartungen. Man unterscheidet drei Arten: Kann-, Soll- und Muss-Erwartungen. Die Nichterfüllung von Soll- und Muss-Erwartungen führt in der Regel zu negativen, die Erfüllung von Kann-Erwartungen meist zu positiven Sanktionen.

Muss-Erwartungen: das Nichteinhalten wird mit rechtlichen Sanktionen gebüsst (z.B. ist der Elternteil laut Gesetz verpflichtet, für den Unterhalt des Kindes mitaufzukommen, für das er/sie das Sorgerecht nicht hat). Diese Muss-Vorschriften sind einzuhalten. Das Gesetz ist jedoch nicht die einzige Instanz, die Rollenerwartungen formuliert und bei Nichteinhalten sanktioniert. Auch Erwartungen und Verhaltensvorschriften einer Gruppe wie z.B. eines Vereins oder einer Firma oder unausgesprochene Verhaltenskniggen gehören zu stillschweigenden Muss-Erwartungen, obwohl sie gerichtlich nicht sanktioniert werden (z.B. kann ein dauernd negativ auffälliges Verhalten in einer Firma zu einer Entlassung führen, obwohl kein rechtlicher Verstoss erfolgt ist). Diese nicht-rechtlichen Sanktionen können für Rollenträger schwerwiegender wirken als eine milde, rechtliche Strafe.

Soll-Erwartungen: das Nichteinhalten führt in der Regel ebenfalls zu negativen Sanktionen. Soll-Erwartungen können sein: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, kollegiales Verhalten etc. Von der Gesellschaft oder einer Gruppe wird erwartet, dass man diese Regeln befolgt.

Kann-Erwartungen: Diese Gruppe der Rollenerwartungen ist meist mit positiven Sanktionen verbunden. Wenn ein liebevoller Vater sich besonders oft um sein/e Kind/er kümmert und mit ihnen viel Spannendes unternimmt, erwirbt er sich Achtung und Lob seiner Mitmenschen.

Kann-Erwartungen sind nicht minder zu bewerten als Muss- und Soll-Erwartungen. Sie tragen zu einem grossen Teil zur Anerkennung (oder Geringschätzung) einer Person in der Gesellschaft bei und helfen vielfach, sich innerhalb eines Unternehmens oder in einem Verein voranzukommen (vgl. Dahrendorf 2010: 39/40.)

In dem eine Person sich an die Rollenerwartungen hält, nimmt sie an der normativen Struktur der Gesellschaft teil. Sanktionen machen die Erwartungen an eine Rolle fassbar, kontrollier-und kategorisierbar. So gesehen ist jeder Mensch «gefangen» in der Macht der Gesellschaft, die die Erwartungen und Sanktionen festlegt und anwendet, ohne dieser Macht entweichen zu können. Der Macht nicht entweichen können, heisst, ohnmächtig gegenüber der normativen Erwartungen der Gesellschaft zu sein. Dies wiederum kann Personen in persönliche Krisensituationen bringen und erheblichen psychischen Druck auslösen, der sich im Einzelfall auch durch Suizidgedanken äussern kann (vgl. ebd.: 42/43).

Robert K. Merton, US-Amerikanischer Soziologe, hat laut Dahrendorf aus den im zweiten Weltkrieg gesammelten Daten 1957 die Kategorie der «Bezugsgruppe» (reference group) entwickelt: Ein Einzelner orientiert sein Verhalten an der Zustimmung oder Ablehnung einer oder mehreren Gruppen, denen er selbst nicht zugehört. Bezugsgruppen sind damit Fremdgruppen, die als Wertskalen für ein individuelles Verhalten fungieren; sie bilden das Bezugssystem, innerhalb dessen der Einzelne sein und anderer Verhalten bewerten kann (vgl. ebd.: 46).

Die verschiedenen Bezugsgruppen können unterschiedliche Erwartungen an einen Rolleninhaber haben. Da die Erwartungen auch konträr sein können, kann es für den Rollenträger zum Intrarollenkonflikt kommen: verschiedene Erwartungen an dieselbe Rolle, z.B. an die Rolle eines Vaters (eine Ehefrau stellt Erwartungen an ihren Mann als Vater des Kindes, das Kind hat Erwartungen an seinen Vater, die Lehrer haben Erwartungen an den Vater des Kindes).

Neben dem Intrarollenkonflikt gibt es aber auch den Interrollenkonflikt. Dieser tritt dann ein, wenn die Erwartungen an verschiedene Rollen des Rollenträgers nicht mehr vereinbart werden können. Z.B. die Familie, die Erwartungen an die Präsenz des Vaters hat vs. die Firma, die hohe Anforderungen an die Präsenz des Mitarbeitenden als Führungskraft stellt und der Verein, der Anforderungen und Erwartungen an das Vereinsmitglied hat (vgl. ebd.: 75).

 

 

RELATIONIERUNG Erklärungswissen

 

Warum definiert KL seine Vaterrolle so stark über die Unterhaltszahlungen seinerseits?

Der Klient steht möglicherweise in einem Interrollenkonflikt. Er möchte seine Rolle als liebender, unterstützender und fürsorglicher Vater wahrnehmen, der seine Unterhaltszahlungen leistet. Er kann das aber nicht, weil ihm der finanzielle «Hahn» vom Sozialdienst abgedreht wird. Auch die Information, dass die Kindsmutter das Geld geltend machen muss, kann er nicht akzeptieren, da er in seiner Rolle als Vater finanziell für das Kind aufkommen will und sich eventuell auch als “Ernährer” sieht. Hinzu kommt möglicherweise, dass die Mutter ausdrückliche finanzielle Erwartungen an ihn als Kindsvater stellt und er ihrer Ansicht nach für das Geld aufzukommen hat.

Seinen möglicherweise so auferlegten Verpflichtungen nicht nachkommen zu können, könnten Sanktionen seitens der Kindsmutter mit sich bringen wie z.B. das Unterbinden des Besuchsrechts oder eine negative Beeinflussung des Kindes in Bezug auf den Vater durch die Kindsmutter.

P sieht sich also möglicherweise mit zu vielen Soll-Erwartungen ihm nahestehender Personen, der normativen Vorstellungen der Gesellschaft und seinen Ansprüchen an sich selbst konfrontiert, die er in seiner Rolle als Vater nicht (mehr) zu erfüllen vermag. Dies könnte ihn in einen erheblichen, inneren Konflikt und gar in einen Ohnmachtszustand bringen, welcher einen so starken psychischen Druck auslöst, dass sich P in einer akuten Krisensituation befindet und ihm eine Selbstgefährdung als einzig möglicher Ausweg erscheint.

 

5.2               Interventionswissen Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?

Wie gelingt es dem PSA, die Suizidäusserungen des Klienten am Telefon einzuschätzen / einzuordnen und auf dieser Grundlage weitere Interventionen vornehmen zu können

Suizid wird in vielen Kulturen und Gesellschaften bis zum heutigen Tag tabuisiert. In der Schweiz gilt Suizid als unheimlich, bedrohlich und wird oft verschwiegen. Blickend auf die spezifischen Todesursachen des Bundesamtes für Statistik (BFS) im Jahr 2019 wird deutlich, wie verbreitet Suizide in unserer Gesellschaft sind. Suizid ist im jüngeren Alter im Vergleich zu den krankheitsbedingten Todesfällen eine relativ häufige Ursache und die Suizidrate nimmt im Alter weiter zu. Bei 15 von 1000 Todesfällen in der Schweiz ist Suizid die Ursache[1] (vgl. Bundesamt für Statistik (BFS) 2019). Aufgrund dessen ist die gesellschaftliche Diskussion und die Sensibilisierung bezüglich Suizidpräventionen von grosser Wichtigkeit.

Eink und Haltenhof (2017: 22) definieren den Terminus „Suizid“ wie folgt:

Unter dem Begriff „Suizidalität“ werden alle Gefühle, Gedanken, Impulse und Handlungen zusammengefasst, die selbstzerstörerischen Charakter haben und das eigene Versterben aktiv oder durch Unterlassung anstreben bzw. direkt oder indirekt in Kauf nehmen. Suizidalität umfasst einen breiten Bereich menschlichen Erlebens und Verhaltens, der sich vom Bedürfnis nach Ruhe oder einer Pause im Leben über den Wunsch, (ohne eigenes Zutun) tot zu sein, Gedanken und Pläne für die Selbsttötung bis hin zu konkreten suizidalen Handlungen erstreckt.

Folglich können suizidale Gefühle, Gedanken, Impulse und Handlung bei jedem Menschen unterschiedlichen Ausmass haben und auch unterschiedlich in Erscheinung treten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Suizid als Reaktion auf ein belastendes Lebensereignis erwidert werden kann. Auch Psychosen, Depressionen oder andere Krankheiten können Ursache von suizidalen Handlungen sein, die innerhalb von wenigen Minuten entstehen. Aus Statistiken lässt sich feststellen, dass psychisch beeinträchtigte Personen Suizidhandlungen nicht auf dem Höhepunkt einer psychischen, depressiven oder psychotischen Krise ausführen, sondern zu Beginn dieser Erkrankung oder wenn es Betroffenen wieder besser geht. Häufiger ist die Entwicklung suizidaler Gedanken, die allmählich öfter auftreten und sich schließlich verfestigen. Dabei kann eine Ambivalenz von widersprüchlichen Gefühlen mit suizidalen Gedanken und den Gedanken am Leben bleiben zu wollen, vorkommen (vgl. Eink/Haltenhof 2017: 22).

Ebenso Signifikant ist der professionelle Umgang von Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen mit suizidgefährdeten Klienten. Die gesellschaftliche Tabuisierung des Themas Suizid ist auch in psychosozialen Einrichtungen deutlich. In psychiatrischen Einrichtungen wird häufig der Mythos vertreten, dass diejenigen, die über ihre Suizidgedanken sprechen, dies nie in Handeln umsetzen. Umgekehrt könnte dies bedeuten, dass diejenigen, die Suizid begehen, dies ohne Ankündigung tun. Tatsächlich kündigen die meisten selbstgefährdeten Menschen ihren Suizid vorher an, sodass eine solche Äußerung durchaus ernst genommen werden muss (vgl. Eink/Haltenhof 2017: 11). Der zweite Mythos ist, Klientinnen und Klienten besser nicht nach Suizidgedanken zu fragen, da dadurch suizidales Handeln hervorgerufen werden kann. In Wahrheit reagieren Klienten entweder abwehrend oder fühlen sich erleichtert darüber, endlich mit jemanden über dieses Thema sprechen zu können (vgl. ebd.: 12).

Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass nach Eink und Haltendorf im Rahmen der Klientinnen- und Klientenbeziehung die Begriffe „Selbstmord“ oder „Selbstmordgedanken“ nicht verwendet werden sollten. Der Termini „Mord“ impliziert eine abwertend-feindselige Haltung und wird im allgemeinen Sprachgebrauch als brutales Handeln verstanden. Auch der Begriff „Freitod“ wird von Eink und Haltendorf kritisch hinterfragt. Dieser Begriff verknüpft „Freiheit“ und „Tod“ und enthält die Assoziation, dass der Suizid eine positive Komponente enthält. Als neutraler und nicht wertender Begriff wird „Suizid“ oder „Selbsttötung“ empfohlen (vgl. ebd.: 10 f.). Aus diesem Grund werden nachstehend diese neutralen, wertfreien Termini verwendet.

Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter haben eine wichtige Rolle als Bezugsperson zu Klientinnen und Klienten, die sich in einer suizidalen Krise befinden. Fachpersonen sind dazu verpflichtet, bei akuter Selbstgefährdung Hilfe zu leisten (vgl. Rupp 2017: 127). Erwähnen Klienten suizidale Äusserungen, stellt dies ein Hilferuf dar, der häufig Ausdruck von Beziehung- und Sinnkrisen ist.

Im Folgenden wird erläutert, welches Handeln eine professionelle Fachperson der Sozialen Arbeit mit suizidalen Klienten am Telefon anwenden kann. Am Telefon wird zunächst vernommen, ob es sich um eine „Krise“ oder um einen „Notfall“ handelt. Nach Rupp wird „Krise“ folgendermassen definiert: „Von einer ‚Krise‘ im engeren Sinn wird (…) dann gesprochen, wenn kein psychischer bzw. psychosozialer Gleichgewichtsverlust eintritt und mit dem Patienten und seinen Angehörigen Vereinbarungen getroffen werden können.“ (2017: 14) Dementsprechend ist es Klienten, die sich in einer Krise befinden, möglich ihre Ressourcen einzubinden und verlässliche Vereinbarungen zu treffen. Die Definition zum Begriff „Notfall“ wird wie folgt beschrieben: „Der Notfall – sofortiger Handlungsbedarf wegen akuter Selbst- oder Fremdgefährdung – wird als Spezialfall einer Krise verstanden.“ (ebd. 2017: 15) Sind Klienten in einem seelischen Notfall, besteht drohende Selbst- oder Fremdgefährdung und eine akute Soforthilfe ist notwendig. Die Entscheidungs- und Vertragsfähigkeit sind eingeschränkt und auch die Urteils- und Handlungsfähigkeit sind beeinträchtigt. Es ist nicht möglich dem Notfallklienten Anweisungen zur Behebung der akuten Lage zu geben, da dieser sie nicht ausüben kann. Die eigenen Ressourcen des Klienten können nicht hinzugezogen werden und es bedarf einem professionellen Helfer, der die akute Gefahr für psychische Integrität, Leib, Leben und soziale Vernetzung abwendet (vgl. ebd.).

Die Notfallintervention ist ein interdisziplinäres Aufgabenfeld vieler Fachpersonen wie z.B. Pflegerinnen und Pfleger, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Medizinerinnen und Mediziner sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Alle Fachpersonen arbeiten nutzbringend zusammen und ergänzen sich in ihrer methodischen Zusammenarbeit (vgl. ebd: 18). Als bewährtes methodisches Vorgehen in einer Krise wird bei Prior bzw. bei de Shazer und Dolan (vgl. 2008) eine lösungsorientierte Vorgehensweise beschrieben, in der die Aufmerksamkeit auf bisher Gelingendes und Positives gerichtet wird. Ausserdem stellen sich kognitiv-verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen und systemische Methoden hilfreich für ein methodisches Werkzeug dar. Ebenso werden sozialpsychiatrische Ansätze für die Behandlung von Krisen angewendet (vgl. Rupp 2017: 18).

Rupp umschreibt in acht Schritten die telefonische Vorgehensweise einer Fachperson gegenüber einem suizidalen Klienten und die weiteren Interventionsmassnahmen vor Ort (vgl. 2017: 127 – 140). Bezogen auf die Fragestellung nach einer Einordnung und Interventionsmöglichkeit am Telefon, wird im Folgenden nur der telefonische Teil bis zum Eintreffen eines Notfallhelfers oder Psychotherapeuten beschrieben. Schritt 1: Triage Die Massnahme, die eine Fachperson anwenden sollte, richtet sich immer nach der Einstufung der Dringlichkeit. Je nach Dringlichkeit, kann die Fachperson anhand folgender Tabelle einschätzen, welche Massnahme angemessen ist.

 


 

 Tab. 1: Dringlichkeit (in: Rupp 2017: 128)

Schritt 2: Vorbereitung

Empfehlungen für den Fall, dass der Patient allein ist Ist die anrufende Person allein, ist es empfohlen über das Telefon Handlungsaufträge zu geben. Falls die Person im Bett liegt, könnten die Handlungsaufträge folgendermassen geäussert werden: „Bitte stehen Sie auf, ziehen sich an. Bis ich komme [oder ein Notfallhelfer], machen Sie bitte einen Tee. Rufen Sie anschließend einen Freund oder eine Freundin an, damit diese zum Gespräch kommen!“ (vgl. ebd.: 127). Wesentliches Begleitgefühl bei suizidalen Personen ist Verzweiflung. Der Fokus auf die Verzweiflung und Anspannung soll durch Handlung und Aktivität durchbrochen werden. Trotz der banalen Handlung wird dem Drängen eines selbstgefährdeten Handlungsimpulses oder einer Suizidhandlung entgegengewirkt. Es wird zudem eine Beziehung zwischen dem Helfer und der selbstgefährdeten Person und ihrer Umgebung aufgebaut. Diese Intervention gibt bereits einen wichtigen Hinweis dafür, inwieweit die selbstgefährdete Person aktuell in der Lage ist sich mit einer anderen Handlung zu beschäftigen oder wie stark die Regressionstendenz vorhanden ist. Im Telefongespräch wird vom Helfer auch gebeten, dass die selbstgefährdende Person einen Freund oder eine Freundin anruft. Dieser Handlungsauftrag hat den Hintergrund, dass selbstgefährdende Personen in ihrer schwierigen Situation die wichtigsten vertrauten Bezugspersonen brauchen. Es soll dabei bezweckt werden, dass vertraute Bezugspersonen in die sofortige und intensive Hilfe einbezogen werden. Letzte Instanz in der suizidalen Krise sollte nicht die Notfallhelferin oder der Notfallhelfer sein. Bei einer akuten Notfallsituation sollte die angerufene Fachperson die selbstgefährdete Person darüber informieren, wann der voraussichtliche späteste Zeitpunkt ist wann die Notfallhelfer eintreffen werden. Auch auf Verzögerungen sollte hingewiesen werden, da verzweifelte Personen bei akuter seelischer Not ein anderes Zeitempfinden erleben. Der Notfalleinsatz dauert bei suizidgefährdeten Meldungen in der Regel 1-1,5 Stunden (vgl. ebd.: 128).

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Fachperson eine Vereinbarung trifft, dass der Anrufende sich keinen Schaden antut. Als Beispiel könnte dies wie folgt formuliert werden: „Damit ich Ihnen helfen kann, bin ich darauf angewiesen, dass Sie sich ausschließlich auf das konzentrieren, was wir miteinander vereinbart haben, bis ich [oder der Nothelfer] bei Ihnen bin – und dass Sie all das unterlassen, was die Situation verschlimmern könnte. Dazu gehört auch, dass Sie keinen Alkohol trinken.“ (vgl. ebd.).

Falls die anrufende Person nicht allein ist, gibt es die Möglichkeit die Drittperson an das Telefon holen zu lassen und diese über die Abmachungen zu informieren. Die Drittperson soll gebeten werden, bei der suizidalen Person so lange zu bleiben und diese zu betreuen, bis die Notfallhelfer eingetroffen sind. Diese Person kann auch beim Kriseninterventionsgespräch bei Bedarf anwesend sein (vgl. ebd.).

Die weiteren Schritte beziehen sich auf die Begrüssungsintervention vor Ort und werden aus diesem Grund nicht näher umschrieben.

[1] Der assistierte Suizid wird hierbei nicht berücksichtigt.

 

 

Relationierung Interventionswissen

Der PSA handelt in der Situation bezogen auf den humanistischen Ansatz mit Empathie, Akzeptanz und insbesondere dem aktiven Zuhören. Das Vertrauen kann durch das aktive Zuhören, das Wiedergeben des Gesagten und mit der Frage nach der Befindlichkeit des Klienten aufgebaut werden. Dieser Grundsatz ist entscheidend für den weiteren Gesprächsverlauf und fördert, dass der Klient sich öffnen kann. Der PSA fragt nach vertrauten Beziehungspersonen, um dem selbstgefährdeten Klienten Handlungsalternativen aufzuzeigen. Diese Personen könnten Ihn in seiner verzweifelten Situation emotional unterstützen. In welcher Situation sich der Klient befindet wird deutlich, als der PSA die Vereinbarung mit dem Klienten treffen will, dass dieser sich nichts antun soll. Diese Vereinbarung wurde vom Klienten verneint. Aufgrund dieser Antwort ist es naheliegend, die Situation als Notfall einzuschätzen und weitere Vorkehrungen zu treffen. Die im ersten Schritt erwähnte Dringlichkeit kann mithilfe der Tabelle Tab. 1: Dringlichkeit (in: Rupp 2017: 128) eingeordnet werden. Es kann vom PSA eine hohe Dringlichkeit eingeschätzt werden, da es sich beim Klienten um eine alleinstehende suizidale Person handelt, welche Multiproblemsituationen aufweist. Die Massnahme am Telefon ist dementsprechend ein sofortiger Notfalleinsatz. Der Klient lenkt das Gespräch in eine andere Richtung und informiert sich über die Erhöhung der finanziellen Unterstützung durch die Sozialhilfe. Hierbei ist die Ambivalenz deutlich, in der sich der Klient befindet. Die zuvor erwähnte Suizidalität wird schliesslich zu einem positiven Thema hin gelenkt. Dieser Wechsel des Gesprächsverlaufs kann darauf zurückzuführen sein, dass sich der Klient mit vermutlich widersprüchlichen Gefühlen auseinandersetzen muss.

 

 

5.3               Erfahrungswissen Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?

Der PSA hat schon des Öfteren erlebt, dass Eltern für Ihre Kinder da sein wollen und dafür Verhalten zeigen, welches aus fremder Perspektive nicht sinnvoll erscheint (z.B. das Kaufen teurer Kleider und Geschenke usw.). In dieser Situation zeigte sich dieses Verhalten anhand der starken Fokussierung auf die Alimentenzahlungen, welche P aufgrund seines mangelnden Einkommens nicht zahlen konnte, aber wollte.

Der PSA erlebt immer wieder eigene Unstimmigkeiten im Umgang mit den verschiedenen Rollen und Aufträgen, die er als PSA in der Sozialberatung der Sozialhilfe inne hat (Tripelmandat). In dieser Situation die Unstimmigkeit zwischen dem Auftrag P zu helfen und der Verordnung der Sozialhilfe, Alimentenzahlungen nicht berücksichtigen zu können, da diese über die existenzielle Sicherung der bedürftigen Person hinausgehen.

Der/die PSA macht die Erfahrung, dass es in schwierigen und sehr herausfordernden Gesprächssituationen passieren kann, dass der PSA sich in seine fachliche Kompetenzen zurückzieht, weil keine Handlungsalternativen vorhanden sind (Überforderung). In dieser Situation zeigte sich dies in der Wiedergabe des Fachwissens des PSA über die möglichen/nicht möglichen Zahlungen an P.

Der/die PSA weiss aus Erfahrung, das eine Familie ein System bildet in dem alle Mitglieder bestimmte Rollen einnehmen. Diese Rollenverteilung dient auch dem Aufrechterhalten des Systems, eine Veränderung dieser Struktur könnte viel in Bewegung bringen. Diese Veränderungen können Bewegungen in vielen anderen Bereichen nach sich ziehen, was auf die Systemträger teilweise bedrohlich wirkt und darum abgelehnt wird. Dies könnte eine Erklärung für das Festhalten von P an den Alimentenzahlungen  sein.

Perspektivenwechsel / Verlagerung des Fokus: Der PSA hat die Erfahrung gemacht, dass eine Verlagerung des Fokus eine Veränderung der Gefühlslage bewirken kann. So kann der Fokus auf positive Ereignisse die Stimmung heben, während der Fokus auf negatives die Gefühlslage verschlechtern kann.

 

 

5.4               Organisations- und Kontextwissen Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?

Amtsgeheimnis

Die Sozialhilfe Basel ist grundsätzlich an das Amtsgeheimnis gebunden und hat gegenüber Dritten Verschwiegenheit über die betreuten Klienten zu bewahren (vgl. Grundlagenkonzept Sozialberatung der Sozialhilfe Basel, 30.1.14 und Basler Sozialhilfegesetz, § 28).

Ausgenommen von der Schweigepflicht sind Sozialarbeitende, wenn zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben ein Informationsfluss stattfinden muss an Verwaltungs- und Gerichtsbehörden des Kantons und der Kantonsgemeinden (vgl. Sozialhilfegesetz, § 28).

Im vorliegenden Fall und in Anbetracht des gesetzlichen Auftrags (bedarfsorientierte, professionelle Beratung) ist es rechtens, mit der Polizei (oder auch der KESB) als Verwaltungs- bzw. Gerichtsbehörden in Kontakt zu treten. Die KESB wird seitens Sozialhilfe Basel bei spontanen Suizidäusserungen nicht angegangen, weil die Prozesse dort eher langwierig sind und Zeit fordern, die Hilfe also zu wenig schnell erbracht werden kann.

Deshalb arbeitet die Sozialhilfe Basel mit der lokalen Polizei zusammen (vgl. Aussage Reto Wyler, PSA Sozialhilfe Basel, 19.5.22).

Fürsorgliche Unterbringung (FU)

Für die Anordnung und die Unterbringung bzw. die Entlassung einer Person ist grundsätzlich die Erwachsenenschutzbehörde zuständig. Die Kantone können jedoch bestimmte Ärzte dazu ermächtigen, die fürsorgliche Unterbringungen ebenfalls für eine bestimmte Frist anordnen dürfen (vgl. Mösch Payot/Schleicher/Schwander 2013: 312).

Weder der/die PSA noch die Polizei haben die Kompetenz, eine FU anzuordnen oder die rechtliche Grundlage, eine/n Klientin/Klienten «festzuhalten», bis ein Arzt eine mögliche FU anordnet. Eine FU wird angeordnet bei Selbst- oder Fremdgefährdung. (temporäre Unterbringung in einer geeigneten stationären Einrichtung). Suizidgefahr alleine rechtfertigt keine FU (vgl. Aussage Reto Wyler, PSA Sozialhilfe BS, 19.5.22).

Das öffentliche Interesse am Schutz von Leben steht dem Recht auf Selbstbestimmung / Achtung der Menschenwürde entgegen, in dem jeder Mensch für sich selber entscheiden kann, wann und wie er sein Leben beendigt. Der Staat hat diesen Willen grundsätzlich also zu achten. Massgebend ist jedoch, ob Klienten mit Suizidgedanken oder -absichten uneingeschränkte Urteilsfähigkeit zugeteilt werden kann oder anders gesagt, davon ausgegangen werden kann, dass eine Person sich ihren Handlungen und der Konsequenzen vollumfänglich bewusst ist. Wenn eine ärztliche Beurteilung ergibt, dass sich ein Klient in einer Depression oder instabilen psychischen Verfassung befindet und seine Suizidgedanken oder -absichten auf eine Kurzschluss-Situation oder länger dauernden psychischen Labilität zurückzuführen ist, ist ein polizeiliches Einschreiten sowohl gerechtfertigt wie auch notwendig. Dieses Einschreiten hat zum Ziel, die Person mit Suizidgedanken oder – absichten vor sich selbst zu schützen (vgl. Tschannen/Buchli, 2004).

Die Urteilsfähigkeit wird als natürliches Element eines Menschen betrachtet und ist von verschiedenen Kriterien abhängig. Das Zivilgesetzbuch umschreibt im Art. 16 die Urteilsfähigkeit wie folgt: «Urteilsfähig … ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch- oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftsgemäss zu handeln.» (vgl. Mösch Payot et al. 2013: 117). Dabei wird die Urteilsfähigkeit eines jeden Menschen vermutet. Das Nicht-Vorhandensein der Urteilsfähigkeit muss bewiesen werden. Dabei wird die Urteilsfähigkeit in zwei Elemente unterschieden: Der Fähigkeit, Sinn, Zweckmässigkeit und Wirkung einer Handlung zu erkennen und andererseits dem Willen, nach diesen Erkenntnissen zu handeln. Ein Nachweis zur Urteilsunfähigkeit erfolgt auf eine konkrete Handlung. Eine Person kann also für die eine Handlung als urteilsunfähig beurteilt werden, für eine andere Handlung aber durchaus als urteilsfähig (vgl. ebd: 117).

Relationierung Organisations- und Kontextwissen

Zum gesetzlichen Auftrag des PSA gehört es, bedürftige und von Bedürftigkeit bedrohte Personen professionell zu beraten und Interventionen in Notlagen vorzunehmen (vgl. Grundlagenkonzept Sozialberatung der Sozialhilfe Basel 2014, Kap. 2.2).

Professionelle Beratung und persönliche Hilfe bedeutete im vorliegenden Fall für den PSA, in Handlung zu treten, da mit den spontan und unerwartet geäusserten Suizidäusserungen eine Notlage entstanden ist. Professionelle Beratung inkludiert, zu helfen, wo er als PSA Selber helfen kann (z.B. im Gespräch prüfen, ob ein soziales Netz vorhanden ist, an das sich P wenden kann oder die Weitergabe des Kontakts eines Psychiaters/des Notarztes) und eine Triage zu machen, dort, wo seine Kompetenzen und Möglichkeiten überschritten würden (z.B. Meldung der Suizidgefährdung bei der Polizei) (vgl. Grundlagenkonzept Sozialberatung der Sozialhilfe Basel 2014, Kap. 5.2).

Es gehört zum gesetzlichen Auftrag des PSA, gegenüber seinen Klienten eine professionelle Beratung wahrzunehmen und in Notlagen Interventionen in Bezug auf die persönliche Hilfe vorzunehmen. Wenn die Hilfe die Kompetenzen und/oder Möglichkeiten des PSA überschreitet, ist es richtig und zwingend, dass er sich dabei an weitere (ggf. aussenstehende) professionelle Stellen wendet. In diesem Fall die örtliche Polizei.

 

5.5               Fähigkeiten Was muss ich als professionelle Fachperson können?

Auf Klienten eingehen / Einfühlungsvermögen / Verständnis Klientengerechte Sprache (Transfer Fachsprache)

Nähe/Distanz (Einfühlungsvermögen versus Abgrenzung, professionelle Gestaltung der Arbeitsbeziehungen (Triple Mandat)

Sachlich bleiben und Ruhe bewahren

 

Hilfsbereitschaft – Professionelle Hilfestellung anbieten Mich meinem Auftrag bewusst sein/bleiben

Fähigkeit zur Abgrenzung – Bewusstsein über die eigenen Grenzen

 

Sich abgrenzen können – Professionell agieren, aber die Verantwortung beim Klienten lassen (Bsp. Suizid)

Fähigkeit zur Selbstreflexion – Persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Suizid

 

 

 

5.6               Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?

Weisungen zum Umgang mit Suizidgefährdung von Klientinnen bei der Sozialhilfe:

Stand 24.05.2022 gibt es bei der Sozialhilfe Basel-Stadt kein Leitfaden oder Weisungen im Umgang mit Suizidgefährdung bei KlientInnen.

Ressourcen KollegInnen und Vorgesetzte

Die PSA haben bei der Sozialhilfe jederzeit die Möglichkeit bei ArbeitskollegInnen und Vorgesetzen um Rat zu fragen. Die Kultur des gegenseitigen Austauschs wird rege genutzt. Bei Fragen oder Schwierigkeiten ist es somit jederzeit möglich auf ArbeitskollegInnen und Vorgesetzte zuzugehen.

Einschätzung Notfallpsychiater

Weiter steht es den PSA auch jederzeit offen selber bei den zuständigen NotfallpsychiaterInnen anzurufen um Situationen zu schildern und anschliessend eine Handlungsempfehlung einzuholen.

Freie Zeiteinteilung

Den PSA steht es frei den Arbeitstag selber zu gestalten. So sind nur wenige fixe Termine welche eingehalten werden müssen. Den grössten teil der Arbeitszeit kann von den PSA frei eingeteilt und so der Fokus auf wichtige Pendenzen gesetzt werden. Zeigt sich eine Situation welche mehr Zeit beansprucht, können PSA somit selber entscheiden wieviel Zeit dafür aufgewendet werden soll.

Rechtsdienst

Während die PSA sich in Fragen Sozialer Arbeit an ArbeitskollegInnen und Vorgesetzte wenden können, steht den PSA für rechtliche Fragen ein Team von Juristen und Juristinnen zur Verfügung welche bei Bedarf telefonisch erreicht werden können.

 

5.7               Wertewissen Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson

AvenirSocial ist der Berufsverband der Sozialen Arbeit, der den Berufskodex für Fachpersonen im sozialen Bereich herausgibt. Der Berufskodex hilft Professionellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in ihrer Profession angemessen zu handeln und bietet die ethische Begründung der Arbeit mit Klientinnen und Klienten. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter haben die grundsätzliche Aufgabe, ihr Handeln zu hinterfragen und Selbstreflexionsprozesse anzuregen. In schwierigen Situationen kann der Berufskodex Orientierung bieten und umschreibt, welches ethische Grundwissen professionelle Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verfügen sollen (vgl. AvenirSocial 2010: 4). Grundlegend für Professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit ist das Bewusstsein für moralische Normen, Standards und Werte sowie die Fähigkeit zur ethischen Selbstreflektion. Die Normen erstrecken sich von den Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit bis zu professionsmoralischen Grundtugenden wie Achtsamkeit, Assistenz oder Anwaltschaftlichkeit. Dies hat den Hintergrund, dass Professionelle der Sozialen Arbeit ihr berufliches Handeln bei Nachfragen konkret begründen müssen (vgl. Lob-Hüdepohl 2011: 18f). Der Berufskodex gilt dabei als ethische Richtlinie, die für die Arbeit mit Klienten, die oftmals vulnerabel oder benachteiligt sind, herangezogen werden kann. Die Berufsethik grenzt moralisches von unmoralischem Handeln ab und zielt auf den Erwerb moralischer Kompetenz, wie die Urteils- und Diskussionsfähigkeit. In der Praxis der Sozialen Arbeit bedeutet dies die Achtung und Wahrung der Menschenwürde (vgl. Frost 2012: 14). Aus den Werten der Menschenwürde begründet sich das moralische Prinzip der Autonomie und der persönlichen Freiheit. Blickend auf das Prinzip der Autonomie sind hierbei zwei Rechte verbunden: Es besteht das Recht über das eigene Leben zu bestimmen und es besteht das Recht, Bevormundung abwehren zu dürfen (vgl. Frost 2012: 27). Erschliessend auf die Soziale Arbeit bedeutet das Prinzip der Autonomie, dass Klienten unabhängig von ihrer körperlichen, seelischen oder geistigen Befindlichkeit zu achten sind. Wichtig ist es, Klienten über Interventionen und Massnahmen zu informieren und sie je nach Möglichkeit an den Entscheidungen teilhaben zu lassen. Hierbei ist es notwendig die individuellen Werte und Lebensführungskompetenzen zu erkennen. Eine deutliche Grenze ist dem Prinzip der Autonomie gesetzt, wenn durch bestimmte Handlungen eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit besteht (vgl. Frost 2012: 28). Dieser Grundsatz ist im Zusammenhang mit suizidalen Handlungen zentral.

 

 

Relationierung Wertewissen

Auf die Situation übertragen, hilft der Berufskodex woraufhin das Handeln des PSA ausgerichtet werden soll. Die zentralen Werte in dieser Situation sind Achtung und Wahrung der Menschenwürde. Die Menschenwürde, welche mit der persönlichen Freiheit einhergehen und der Autonomie mit der Bestimmung über das eigene Leben sind zwei grundlegende Werte, welche im Zusammenhang mit einem selbstgefährdeten Klienten genauer betrachtet werden müssen. Es ist in dieser Situation deutlich, dass dem Klienten die eigene Selbstbestimmung, die freie Entscheidung- und Handlungsfähigkeit in grösster Weise fehlt. Dies ist insbesondere wahrnehmbar an der Äusserung des Klienten, dass Suizid ein Menschenrecht sei. Auch die indirekte Äusserung des Klienten sich selbst Schaden zuzufügen sind markante Hilferufe, dass die eigene Lebenssituation nicht mehr erträglich ist. Blickend auf die Lebenswelt des Klienten, ist vorwiegend die Sozialhilfe Entscheidungsträger in vielen finanziellen Aspekten, die zusätzlich an Bedingungen geknüpft sind. Die Ausführung eines Suizids wäre in diesem Zusammenhang die Ausführung einer eigenen Entscheidung, die einzig und allein beim Klienten selbst liegt. Dies gäbe „P“ wieder die Kontrolle über das eigene Leben und über die eigene Entscheidungsmacht. Suizidale Personen handeln aus einer akuten Notsituation heraus und nicht aus einer langen und wohl überlegten Haltung.

Professionelle der Sozialen Arbeit überzeugen durch eine reflektierte Haltung zum Thema Nähe/Distanz und schaffen es in der Situation auch nachhaltig, Themen von Klientinnen und Klienten empathisch begegnen zu können. (Vanessa)

Der PSA nahm die Suizidäusserung von P am Telefon ernst und reagierte empathisch, indem er versuchte, die Lage zu beruhigen und sichergehen wollte, dass P sich nach dem Telefonat nichts antut. Der PSA war jedoch unsicher, inwiefern er P evt. näher hätte befragen sollen, um ihn mehr zu unterstützen. Der PSA war unsicher, wieviel Begleitung der Klient in der Situation braucht und holte sich professionelle Unterstützung.

Professionelle der Sozialen Arbeit arbeiten nach dem gesetzlichen Auftrag und den innerhalb einer Organisation geltenden Rahmenbedingungen, kennen ihren Kompetenz- und Handlungsspielraum.

Der PSA hat sich sowohl an seinen gesetzlichen Auftrag (Sozialhilfegesetz) gehalten wie auch nach dem Grundlagenkonzept der Sozialhilfe Basel gehandelt. Im vorliegenden Fall betrifft dies insbesondere die persönliche Hilfe. Zudem ist es die Aufgabe der Sozialhilfe, ihre Tätigkeit bei Bedarf mit anderen, öffentlichen und privaten Institutionen zu koordinieren, wenn der eigene Handlungs- und Kompetenzspielraum überschritten wird. Der PSA hat dies getan, indem er sich nach dem Telefongespräch mit dem Notfallpsychiater über die Suizidäusserungen von P ausgetauscht/sich Rat geholt hat und indem er sich im Anschluss mit der lokalen Polizei in Verbindung gesetzt hat.

Professionelle der Sozialen Arbeit holen sich persönliche Unterstützung und Hilfe bei Fragen und triagieren an weitere Fachstellen wenn ihr Auftrag überschritten wird.

Der PSA hat am Telefon die indirekten Suizidgedanken von „P“ ernst genommen und hat die Situation kritisch eingestuft, da „P“ sich selbst gefährden könnte. Der PSA hat professionell gehandelt, holte sich Unterstützung und hat seine Wahrnehmung mit dem Vorgesetzen besprochen. Für den PSA wurde deutlich, dass es sich bei „P“ um einen Notfall handelt und schnell interveniert werden muss. Eine Krisenintervention bei selbstgefährdeten Klienten überschreitet die Funktion und den Handlungsauftrag des PSA der Sozialhilfe und er hat aus diesem Grund an eine weitere Fachstelle koordiniert, welche in dieser Situation die Polizei und der Notfallpsychiater war. Dabei hat der PSA seine Rolle und Funktion klar abgegrenzt und überließ die weiteren Kriseninterventionshandlungen der dafür zuständigen Fachperson.

Professionelle der Sozialen Arbeit wissen, wie sie eine selbstgefährdende Äusserung eines Klienten am Telefon einstufen können und welche Schritte vorzunehmen sind.

Betrachten wir das Interventionswissen wird deutlich, dass bei Situationen, in denen Klienten Selbstgefährdungen äussern, zwischen Krise und Notfall unterschieden werden kann. In der Regel ist dies erst im persönlichen Kontakt vor Ort schlüssig zu klären, doch am Telefonkönnen professionelle der Sozialen Arbeit anhand gewisser Fragetechniken Grundannahmen stellen. Der PSA hat die Situation von „P“ korrekter weise als Notfall eingestuft, da die Vereinbarung sich nichts anzutun von „P“ verneint wurde. Die Höhe der Dringlichkeit kann vom PSA im Sinne der Tabelle Tab. 1: Dringlichkeit (in: Rupp 2017: 128) als hohe Dringlichkeit bzw. als höchste Dringlichkeit eingestuft werden. Die Massnahme eines sofortigen Notfalleinsatzes und das hinzuziehen der Polizei wird vom PSA eingeleitet.

 

 

Professionelle der Sozialen Arbeit können die Dringlichkeit einer Situation einschätzen, indem sie empathisch und feinfühlig auf die KlientInnen eingehen und deren persönliche Lebenssituation bewusst in den Entscheidungsprozess einbeziehen.

Der PSA wusste die Situation richtig einzuschätzen bzw. nahm die Äusserung von P ernst und handelte evt., ohne die Auswirkungen auf P detailliert durchdacht zu haben. Was der PSA nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen hat, war die Beziehungsgefährdung zwischen ihm und P, indem er P nicht über den weiteren Schritt, die Polizei zu alarmieren, informiert hat.

 

 

Professionelle der Sozialen Arbeit gestalten die Kommunikation transparent mit dem Klientel, mit dem Ziel des Erhalts einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung.

Der PSA hat P im Gespräch ohne Umschweife transparent und begründet informiert, dass P’s Ansprüche auf Unterhaltszahlungen nicht vom Sozialdienst übernommen werden können. Er hat ihm jedoch die Alternative erläutert, wie die Kindsmutter diese Unterhaltszahlungen geltend machen kann und damit Mutter und Kind dennoch zu ihren Ansprüchen kommen können. Er hat damit nach den gesetzlichen Vorgaben gehandelt und ist dabei seinem Beratungsauftrag nachgekommen. Indem er zum Schluss eine andere, positive Nachricht eingebracht hat, hat der PSA versucht, die vertrauensvolle Arbeitsbeziehung mit P zu erhalten bzw. wiederherzustellen. In der sich zuspitzenden Situation mit den Äusserungen der Suizidgedanken durch P ist der PSA auf P eingegangen, hat nachgefragt, ob P Vertrauenspersonen hat, an die er sich wenden kann, was P bejahte. Der PSA hat P damit vermittelt, dass er P ernst nimmt, ihm dieser wichtig ist und er darum besorgt ist, dass P bei Bedarf ein Auffangnetz hat. Versäumt hat der PSA jedoch, den Klienten transparent über den Handlungsablauf zu informieren; konkret die Absicht, die Polizei einzuschalten, wenn er die Sicherheit nicht gewinnt, dass der Klient seine Suizidäusserungen nicht umsetzen wird. Dieser Aspekt kann sich negativ auf die Arbeitsbeziehung zwischen PSA und P auswirken.

Professionelle der Sozialen Arbeit orientieren sich an dem im Berufskodex festgeschriebenen Wertehaltungen und an den geltenden Menschenrechten.

Der PSA reagiert in dieser Situation dem Berufskodex angemessen und seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend. Er achtet und respektiert die Gefühlslage des Klienten und wahrt die Menschenwürde, indem er sich der Not des Klienten bewusst ist und versucht, ihn vor selbstgefährdenden Handlungen zu schützen. Dies tut er, indem er P ernst nimmt und Rückfragen betreffend einem sozialen Auffangnetz stellt. Auch wenn einerseits das Recht auf Selbstbestimmung beachtet und von der Gesellschaft akzeptiert werden muss, so ist es ebenso richtig, eine Verwaltungs- oder Behördeninstanz einzuschalten, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Urteilsfähigkeit eines Klienten temporär oder dauerhaft eingeschränkt ist. Im vorliegenden Fall musste der PSA davon ausgehen, dass P im Moment der Äusserung von Suizidgedanken unter sehr hohem psychischen Druck stand und seine Aussagen nicht eindeutig einer uneingeschränkten Urteilsfähigkeit zuzuordnen waren. Der PSA hat also richtig und in der Situation notwendig gehandelt, indem er sich der Ernsthaftigkeit der Aussagen von P bewusst war und nach dem Telefongespräch und den ausgesprochenen Suizidgedanken die Polizei eingeschaltet hat. Wie bereits weiter oben erwähnt hat er jedoch versäumt, als Teil des professionellen Handlungsprozesses den Klienten über diesen Schritt zu informieren.

Professionelle verfügen über Kenntnisse zu den verschiedenen Fachstellen im Einzugsgebiet.

Der PSA muss die verschiedenen Fachstellen im Bereich Suizidgefährdung im Einzugsgebiet kennen. Diese sind unter anderem Notfallpsychiater, Ärzte, die KESB oder die Polizei.

Insbesondere ist es wichtig als PSA die Adressen und Telefonnummern der Fachinstitutionen griffbereit zu haben und je nach Situation zu erkennen, ob ein Netzwerk eingeschaltet werden muss.

 

Hinsichtlich der spezifischen Situation am Telefon mit dem Klienten “P” kennt der PSA die verschiedenen Fachstellen. Da die KESB Basel-Stadt bei selbstgefährderten Klienten in Notfällen lange braucht, um vor Ort zu kommen und eine Krisenintervention durchzuführen, arbeitet die Sozialhilfe Basel-Stadt mit der Polizei zusammen. Der PSA hat somit korrekter Weise die Polizei eingeschaltet, die in kürzester Zeit vor Ort war und die Krisenintervention durchführte.

In zukünftigen vergleichbaren Situationen würde der PSA nun aufgrund seiner gemachten Erfahrung und anhand dieser fundierten Theorie-Praxis-Relation dem Klienten bestimmte Fragen stellen, um die Situation einzuschätzen. Beispiele möglicher Fragen wurden bereits vorherig erwähnt und können je nach Situation und je nach Persönlichkeit des PSA angepasst werden. Der PSA würde direkt nachdem der Klient Selbstgefährdungen äussert Anweisungen und Handlungsaufträge geben, um zwischen Krise und Notfall zu unterscheiden. Hierbei könnte der PSA den aktiven Handlungsauftrag geben, eine vertraute Person anzurufen und/oder diese Person bitten vor Ort zu kommen, da es sich um eine akute Situation handelt. Wenn dieser Auftrag zu schwierig für die Klientin oder den Klienten ist, kann der PSA auch einen belanglosen Handlungsauftrag geben, um zu erkennen, ob die Person der Anweisung folgen kann oder nicht. Dieser Handlungsauftrag kann ein Indiz dafür geben, ob der Klient sich in einer Krise oder in einem Notfall befindet. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Triage an eine Fachperson. Wenn die Hilfe die Kompetenzen und/oder Möglichkeiten des PSA überschreitet, ist es richtig und zwingend, dass er sich dabei an weitere (ggf. aussenstehende) professionelle Stellen wendet. In diesem Fall ist es die örtliche Polizei. Möglich wäre auch die Weitergabe einer Notfallnummer eines vom Kanton betrauten Arztes gewesen, der eine Beurteilung über die Urteilsfähigkeit des Klienten hätte vornehmen können. Im vorliegenden Fall lag dieser Entscheid bei der Polizei, die den Klienten zuhause aufgesucht hat.

Wichtig ist es, dass der PSA als Teil des professionellen Handlungsprozesses den Klienten informiert, wenn er eine Aussenstelle wie z.B. den Notfallpsychiater oder die Polizei involviert. Wichtig ist dabei auch, dass der PSA die Auswirkungen seines Handelns auf die Arbeitsbeziehung mit dem Klienten im Blick behält. Eine Nachbesprechung der Situation zusammen mit dem Klienten ist für den weiteren Arbeitsprozess aus diesem Grund von zentraler Bedeutung. Beide Seiten haben bei einer Nachbesprechung und gemeinsamen Evaluation die Möglichkeit, ihre Sichtweisen zu äussern und über einen gegenseitigen Verstehensprozess das Arbeitsbündnis zu festigen.

 Um den Vertrauensbruch zwischen PSE und P zu verhindern und P mehr zu unterstützen hätte der PSE offen mit P kommunizieren sollen, bzw. P offen über das weitere Vorgehen informieren und ihm über seine Lage als PSE zu verdeutlichen, was die Gefühlslage von P auslösen könnte. Eventuell hätte die offene Kommunikation direkt -vorerst -eine Lösung für beide gebracht und die Berufsbeziehung nicht gefährdet.

  • Anonym (2013). Die Rollentheorie nach Ralf Dahrendorf. Welche Rolle spielt Hilfsbereitschaft in Kollegenbeziehungen? München/Ravensburg: Grin Verlag. In: https://www.grin.com/document/437838
  • AvenirSocial (2010). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz. Ein Argumentarium für die Praxis der Professionellen. AvenirSocial. Bern.
  • Basler Sozialhilfegesetz (2000). In: https://www.gesetzessammlung.bs.ch/app/de/texts_of_law/890.100/versions/902
  • Bundesamt für Statistik (2019). Spezifische Todesursachen. URL: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/sterblichkeit- todesursachen/spezifische.html [Zugriffsdatum: 15. Mai 2022].
  • Dahrendorf, Ralf (2010). Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle. 17. Auflage. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • De Shazer, Steve/Dolan, Yvonne (2008). Mehr als ein Wunder: Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie heute. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.
  • Dorrmann, Wolfram/Finzen, Asmus (2016). Suizid: therapeutische Interventionen bei Selbsttötungsabsichten. Achte, aktualisierte Auflage. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Eink, Michael/Haltenhof, Horst (2017). Umgang mit suizidgefährdeten Menschen. 5., erweiterte Auflage. Aufl. Köln: Psychiatrie Verlag.
  • Frost, Angelika (2012). Berufsethik. In der Sozialpädagogik. 1. Auflage. Bildungsverlag EINS. Köln. S. 9-31
  • Goffman, Erving (2014). Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. 14. Auflage. München: Piper Verlag GmbH.
  • Lob-Hüdepohl, Andreas (2011). Nur moralisch oder auch noch ethisch? Ethische Reflexionskompetenz als unabdingbares professionelles Werkzeug der Sozialen Arbeit. In: SozialAktuell. Nr.3. AvenirSocial. Bern. S. 18 21
  • Mösch Payot / Schleicher Johannes / Schwander Marianne (Hrsg.) (2013). Recht für die Soziale Arbeit. Grundlagen und ausgewählte Aspekte. 3. aktualisierte Auflage. Bern: Haupt Verlag.
  • Rupp, Manuel (2017). Notfall Seele: ambulante Notfall- und Krisenintervention in der Psychiatrie und Psychotherapie. 4., aktualisierte Auflage. Aufl. Stuttgart New York: Georg Thieme Verlag.
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  • Tschannen/Buchli (2004). Verfassungs- und Gesetzesgrundlagen des Bundes im Bereich der Suizidprävention, Rechtsgutachten z.Hd. des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).
  • Von Spiegel, Hiltrud (2021). Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. 7. Auflage. Ernst Reinhardt Verlag.

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