Wie gewohnt, 30 Min vor Ladenschluss, macht
sich K17 an die Arbeit, um aufzuräumen, allerdings an die Aufgabe, die sie zuvor
K26 im bilateralen Gespräch zugesprochen hat. K26 erkennt die nun andere
Aufgabenverteilung und reagiert entgegenkommend. Sie orientiert sich und
übernimmt dann die Aufgabe, die eigentlich K17 zuvor hatte machen wollen. Die
PSA ist im Laden an ihrer Arbeit und beobachtet die zwei K.
Reflection-in-Action:
Emotion K17
Ich bin zuversichtlich und unbesorgt, weil
wir es immer schaffen, die Aufgaben und den Abschluss zu erledigen. Darum habe
ich kein Bedürfnis konkret, mit der PSA zu planen. Ich teile ihre Sorge nicht. –
Ich fühle mich angeregt, weil ich von der PSA zum Aufteilen der Aufgaben
aufgefordert werde, ohne Vorschlag von ihrer Seite. Um die PSA ruhigzustellen,
mache ich dann einfach, unbesorgt aus dem Bauch heraus einen Vorschlag. Ich
erlebe mich sehr aktiv, da ich mich am Entscheidungsprozess beteiligt fühle,
und treffe jetzt mal die Entscheidung darüber, wer was tut, weil die anderen
sich offensichtlich nicht darum bemühen. – Ich habe wenig Geduld für einen
längeren Prozess mit den anderen, weil der eigentlich nicht nötig ist. Ich bin
zuversichtlich in der Beziehung mit K26, weil ich weiss, dass es mit K26 zusammen
funktioniert. Darum habe ich auch keine Hemmungen, einfach zu bestimmen; – so
geht es auch schneller vorwärts.
Emotion K26:
Ich bin aufmerksam, weil Ladenschluss ist.
Ich will kein Drama vor dem Feierabend. Ich fühle mich besänftigt, weil es
ruhig ist und alle vorwärtsmachen. Ich fühle mich freundlich, freundschaftlich,
wohlgemut und harmoniebedürftig. – Ich
will lieber keine Diskussion, möchte lieber die Arbeit zu Ende bringen, denn
das Wochenende ist in Aussicht. Dennoch bin ich etwas unsicher und bedrückt,
wenn ich K17 so sehe. Diese benimmt sich wie ein Trampel und arbeitet chaotisch.
Emotion PSA:
Ich fühle mich unsicher, weil nicht klar
ist, ob der Abschluss auf diese Art reibungslos vonstattengehen kann, unsicher,
wie es K26 in dieser Situation unter derart Druck ergeht, weil es der
Tagesabschluss ist und der Laden ordentlich aufgeräumt sein muss.
Kognition PSA:
So, jetzt machen wir einen guten Abschluss
heute Abend! – Aber alles geht ja auch nicht! Es muss eine Struktur haben. Wenn
K17 später im Ersten Arbeitsmarkt tätig ist, dann geht so ein Chaos nicht und
kann zur Unruhe im Team führen. – Aber beide K arbeiten wie ein geschmiertes
Team, ergänzen sich.
Inwieweit ist K17 gegenüber K26 übergriffig? Ich weiss, K26 kann sich gegen K17
wehren, wenn sie will. Aber wann ist es meine Aufgabe zu intervenieren, wenn
ich sehe, dass K26 der Willkür von K17 ausgesetzt ist? Inwiefern ist es Aufgabe
von K26, diese Zumutung zu managen? Wann muss ich intervenieren? Soll ich
machen lassen oder intervenieren? Soll ich auf strukturierte Vorgehensweise wie
im Ersten Arbeitsmarkt pochen oder eigene Erfahrungen ermöglichen? – Priorität
hat heute ein guter Tagesabschluss! Aber was ist ein «guter» Abschluss für die
K? – Wie kann ich unter den gegebenen Umständen, da K17 in einer sehr belasteten
Lebenssituation steckt, positive Erfahrung ermöglichen?
Während die PSA den Kassenabschluss macht,
wägt sie ab, ob Intervenieren in diesem Ablauf nötig und sinnvoll ist. Sie
beobachtet, dass beide K sich mit dem Ziel möglichst bald Feierabend zu haben bemühen,
den Laden zielführend aufzuräumen, die Arbeiten möglichst gut und zügig zu
erledigen. Das Wissen um die private situative Belastung von K17, aber zugleich
die Beobachtung, dass K17 sich trotzdem um gute Arbeit bemüht, macht, dass die
PSA zu intervenieren differenziert abwägt. Es ist der PSA wichtiger für K17 einen
guten Tagesabschluss, ihr ein ‘Erfolgserlebnis’ zu ermöglichen. Aus Erfahrung
weiss sie, dass ein Eingreifen in K17 s Organisation des Aufräumablaufes zur
Eskalation führen würde. Am Ende des Arbeitstags, unter den situativen
Voraussetzungen von K17, erscheint eine Intervention der PSA also nicht
angemessen. Denn: Solange die Arbeiten ordentlich erledigt werden und die
beiden K sich «einvernehmlich» mit den Arbeiten organisieren, bleibt für die
PSA Priorität beim «positiven» Tagesabschluss und sie beobachtet aktiv
unablässig weiter und schätzt die Situation fortlaufend ein.
Reflection-in-Action
Emotion K17:
Ich spüre einen Adrenalinstoss: Meine
Energie steigt an, bin angetrieben, da Endspurt, fühle mich wie nach dem Motto:
“Achtung, fertig, los!”, je schneller, desto eher können wir gehen!
-Jetzt ist endlich die Zeit gekommen, aufzuräumen und den Tag abzuschliessen! –
Bin ruhelos, in der Hetze, möglichst schnell alles zu erledigen. Ich fühle mich
selbstbestimmt und verantwortlich, dass der Laden am Schluss ordentlich
aufgeräumt ist! ... Für mich sind K26 und die PSA zu passiv. Deshalb
drehe ich noch mehr auf, werde eifriger und räume heftiger auf, – kompensiere
so deren Passivität. Ich fühle mich frei, zu tun und zu lassen, was ich will.
K26 und die PSA ziehen sowieso nach. – Aus Zuneigung zu K26 und aus Widerstand
zur PSA fange ich bei den Aufgaben von K26 an. – Zu zweit eine Arbeit erledigen ist ohnehin
besser, sinnvoller und schneller als eine individuelle Arbeitsaufteilung! – Ich
werde es der PSA zeigen und beweisen, dass ich recht habe! – Ohne fremde
Arbeitsaufteilung kann ich, falls die beiden mir zu langsam sind, bei der
Arbeit der anderen mitwirken und den Tagesabschluss besser kontrollieren. – Ich möchte am liebsten die Aufgaben mit K26
ganz unkompliziert erledigen. Ich will
mich nicht so in der Arbeit aufteilen müssen, wie es die PSA fordert. Ich komme
doch gut mit K26 aus, fühle mich mit ihr solidarisch!
Emotion K26:
Ich bin gleichgültig und gebe nach. – K17
soll doch machen, was sie will. Ich bin sowieso bald weg! – Es lohnt sich nicht
mehr, mit ihr zu diskutieren. – Und: Ich fühle mich von der PSA nicht ernst
genommen, vernachlässigt, weil sie die Bedürfnisse von K17 über meine stellt. –
Ich bin zudem gleichgültig, weil ich als Erwachsene eingestuft werde, der sowas
zugemutet wird. – Es ist 30′ Minuten vor Schluss, was soll ich da noch
anzetteln! – Es ist doch wie im Kindergarten mit K17! – Ich beobachte heute
lieber, packe an und verhalte mich bei der Arbeit zielgerichtet. – K17 empfinde
ich manipulativ. – Sie hat die PSA in der Hand!
Emotion PSA:
Ich empfinde für K17 grosses Verständnis.
Sie kann in ihrer aktuell belasteten Lebenssituation bis zum Schluss
durcharbeiten. Sie tut es zwar ziemlich chaotisch, aber sie bleibt dran! – Sie
packt an und ihr Wille, die Arbeit gut zu machen ist spürbar
Ich fühle mich jedoch unsicher bei der Einschätzung, wie sinnvoll diese
Situation für K26 ist, unsicher auch, ob meine Entscheidung, nicht einzugreifen
zu positivem Erleben sowohl für K17 als auch für K26 führt, unsicher also, was
jetzt ‘richtig’ oder ‘falsch’ ist. – Was würden andere PSA in dieser Situation
tun und warum?
Meine Ambivalenz ist: Trotzt Chaos im Ablauf, fühlt sich die Zusammenarbeit der
beiden K wie gute Teamarbeit an und die Arbeit kommt gut voran.
Kognition PSA:
Was unterstützt K17 längerfristig, was
hilft ihr weiter? Ist jetzt Auseinandersetzung mit der Autorität PSA das
Richtige? Oder soll ich einen Kompromiss im Ablauf der Arbeiten eingehen und
später – im gemeinsamen Rückblick mit K17 – die Situation reflektieren? – Soll
ich also intervenieren? – Aber bei der allgemein schwierigen Lebenssituation
von K17 und anstehendem Tagesabschluss gibt es sicher grossen Widerstand, das
weiss ich aus Erfahrung. – Wäre Konfrontation trotzdem hilfreich? – Wie lernt
K17 für ihre Ausbildung und auf ihr übriges Leben bezogen am besten? – Wo ist
in dieser Situation jetzt der Fokus? Liegt er beim positiven Tagesabschluss?
Wie kann ich diesen unterstützen? – Wie ist ihr Verhalten überhaupt einzuordnen?
Ist es nur das, was sie kann? Oder rebelliert sie, grenzt sich ab und stellt
die personelle Hierarchie infrage? –
Ich denke, sie macht, was sie kann. Ich glaube, sie vergisst aus Stress, was
sie gerade eben gesagt oder entschieden hat. Sie tut offensichtlich alles, um den
Tag ordentlich und zufriedenstellend abzuschliessen!
Soll ich nun also geschehen lassen und unterstütze so ihr Gefühl von
Selbstermächtigung? Fördert das ihre Selbstwirksamkeit? Oder gibt ihr das viel
mehr das Gefühl, dass sie das Sagen hat und der anderen K auftragen kann, was
zu tun ist? – Verstärkt Geschehen-Lassen in diesem Fall ein Machtgefühl für sich
oder eher das Gefühl, Macht über andere zu haben? –
Habe ich als PSA noch die Macht durch Kontrolle über die Situation? Und: Wie
muss ich diese Macht und in welchem Mass durchsetzen? – Bleibe ich meiner
professionellen Rolle treu, auch wenn ich nicht interveniere und K26 dieser
Situation aussetzte?
10 Minuten vor Abschluss der Tages-Arbeiten
bittet die PSA K17 und K26 noch um konkretes Erledigen kleiner Aufgabenanteile,
die von ihnen übersehen wurden. K17 brummt: “Das müssen wir bei der anderen
PSA nie machen!”. K26 übernimmt wortlos eine der Arbeiten, K17 erledigt
die andere Arbeit hinter dem Haus und fährt mit Murren fort. Die PSA
interveniert nicht weiter. Sie ist froh, werden die Arbeiten ausgeführt. Die beiden
K sind bestrebt, möglichst schnell Feierabend zu haben.
Reflection-in-Action
Emotion K17:
Ich erwarte, dass wir jetzt endlich nach
Hause gehen können! Wir haben unseren Job erledigt. Nun ist Feierabend! – Ich
bin gespannt, was die PSA zum Abschluss sagen wird; denn wir sind auf das OK
der PSA angewiesen, um gehen zu können. – Jetzt bin ich aber perplex, weil
Zusatzaufgaben kommen! Aus Verlegenheit sage ich: «Das müssen wir bei der anderen
PSA nie machen!» – und schiebe damit die Kritik von mir ab. – Ich hatte erwartet,
dass wir den Tagesabschluss jetzt schon geschafft hätten! – Die PSA stellt sich
immer quer zu mir! –
Emotion K26
Ich erwarte, dass die PSA interveniert. Ich
bin genervt, weil sie K17 nicht in Schranken weist. – Ich fühle mich nicht
ernst genommen, allein gelassen. Die PSA übergeht mich einfach! – So gebe ich mich
halt gleichgültig! Es ist schon fast Feierabend. Und bald ist K17 weg. Dann habe
ich meine Ruhe. –
Allgemein fühle ich mich unsicher und überfordert. Aber zugleich ist es nicht
so schlimm. Nur: K17 kommt mit ihrem Verhalten durch! Das ärgert mich. – Aber
egal! Wir sind bald fertig. Ich empfinde
keine echte Freundschaft zu K17. Ich gebe ihrem Willen nur einfach nach. – Ich
suche zwar Freundschaft. Aber ich weiss, dass Beziehungen für mich schwierig
sind. – So nehme ich halt, was möglich ist.
Emotion PSA:
Ich bin zufrieden, dass es gelingt, die
Arbeiten zum Tagesabschluss ordentlich zu erledigen. Ich bin zuversichtlich,
dass auch die ergänzenden Aufträge umgesetzt und schliesslich alle Arbeiten
sauber erledigt werden. Ich bin erleichtert und sicher, dass die Zusammenarbeit
funktioniert und K17 meine Rolle akzeptiert hat.
Kognition PSA:
Gut zu wissen, dass kleine Interventionen
ankommen und von K17 trotz persönlich belasteter Situation und trotz
Unverständnis umgesetzt werden können. So habe ich, was ohne Eskalation möglich
war, eingefordert und einen erfolgreichen Tagesabschluss ermöglicht. Ich kann
K17 und K26 mit gutem Gewissen ins Wochenende entlassen. Sie haben die Arbeiten
zwar chaotisch verteilt, aber ordentlich erledigt. Ich werde am nächsten
gemeinsamen Arbeitstag die Situation mit K17 nachbesprechen und ihr die guten,
wie auch die schwierigen Situationen rückmelden. Ich werde ansprechen, welches
Verhalten für die EBA Ausbildung angebracht wäre.
Nachdem alle Arbeiten erledigt sind, fragen
K17 und K26 die PSA, ob sie nun gehen dürfen. Auf sie zugehend, sagt diese: «Ja,
ihr könnt gehen. – Es ist zwar etwas chaotisch abgelaufen, trotzdem habt ihr
die Arbeiten gut erledigt.» Die PSA bedankt sich und wünscht ein schönes
Wochenende. Plaudernd ziehen sich die zwei K in der Umkleide um und gehen
schwatzend aus dem Laden nach Hause.
Reflection-in-Action
Emotion K17:
Ich bin froh und zufrieden, dass jetzt
alles fertig und abgeschlossen ist. Ich fühle mich entlastet. Jetzt kann ich
endlich ins Wochenende.
Emotion K26:
Ich fühle mich verletzt, allein gelassen
und ohnmächtig. K17 ist so dominant! Wenn sie so gestresst ist, soll sie doch
zu Hause bleiben und erst wieder arbeiten kommen, wenn sie belastbar und
teamfähig ist! – Ich bin aber froh, die Situation gemeistert zu haben, und kann
endlich ins Wochenende nach Hause!
Emotion PSA:
Ich bin froh und entlastet, weil die
Situation zu managen war und dass der Samstag ohne Eskalation gut abgelaufen
ist.
Kognition PSA:
So kann ich den Abschluss der Tagesarbeit
verantworten und die beiden K nach Hause entlassen. Mit K17 werde ich die
Situation am nächsten gemeinsamen Arbeitstag nachbesprechen. Die beiden K
scheinen guter Dinge und sich auf die gemeinsame Heimfahrt zu freuen. Ich werde
diese Situation mit meiner Kollegin reflektieren und mache mir jetzt dazu
Notizen.
1.2.1.1
Selbstwirksamkeit
Welches Erklärungswissen hilft zu
verstehen, wieso K17 beim Aufräumen entgegen den Abmachungen handelt?
Schwarzer u. Jerusalem (zit. in Frey 2016: 209) definieren Selbstwirksamkeit als:
(…) die subjektive Gewissheit einer Person
(…), neue oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenzen
bewältigen zu können, also eine andauernde Überzeugung, zukünftige
Herausforderungen aus eigener Kraft heraus meistern zu können. Zudem
beeinflusst die Ausprägung der Selbstwirksamkeit einer Person die
Handlungsinitiierung positiv, also die Wahl von Handlungsalternativen, sowie
die Anstrengung und Aufrechterhaltung der Handlung gegenüber Widerständen.
Das Konzept der «Selbstwirksamkeit» ist
Teil der sozial-kognitiven Lerntheorie von Bandura (1997). Und weil das Konzept
der Selbstwirksamkeit vorwiegend stärkenorientiert ist, wird es der positiven
Psychologie zugeordnet (vgl. ebd.: 202,205).
Selbstwirksamkeit ist also die subjektive
Überzeugung einer Person, schwierige Anforderungen, die keine Routine sind, mit
den eigenen Kompetenzen erfolgreich bewältigen zu können (vgl. ebd.: 204).
Dabei ausschlaggebend ist die persönliche Beurteilung der eigenen Kompetenzen,
nicht das tatsächliche Vorhandensein von Kompetenzen. Diese Beurteilung kann aber
durch das Umfeld beeinflusst werden. Positives Feedback, Erfolgserlebnisse,
Ermutigungen, Zutrauen und emotionale Erregungen fördern die Entwicklung von
Selbstwirksamkeit (vgl. ebd.).
Förderung von Selbstwirksamkeit kann durch Anpassung
der Ziele unterstützt werden.
Dabei hilft die Akkommodation von Zielen das Gefühl der Selbstwirksamkeit aufrechtzuerhalten,
weil unerreichbare Ziele reduziert werden oder deren Gewichtung nach Relevanz
reduziert wird. So beschreibt es Brandtstädter (vgl. 2015: 90) im
Zwei-Prozess-Modell für positive Entwicklung und gelingende Lebensgestaltung
für die akkommodativen, aber auch die assimilativen Prozesse.
Assimilation meint Anpassen der eigenen Aktivität, um vom Ist-Zustand in
den Soll-Zustand zu gelangen. Akkommodation meint, dass der Soll-Zustand
dem Ist-Zustand angenähert wird, um persönliche Ziele den eigenen Möglichkeiten
anzupassen. Der akkommodative Modus ist besonders relevant, wenn der
assimilative Modus nicht mehr ausreicht, für die Bewältigung der anstehenden
Herausforderung, um das Ziel zu erreichen.
Assimilation und Akkommodation werden als
Grundprozesse der Entwicklung, bei deren Regulation und Bewältigung verstanden (vgl. ebd.).
Brandtstädter (ebd.) schreibt in Bezug zur Theorie Piagets:
Anders als bei Piaget liegt der Fokus hier
jedoch nicht auf der Anwendung und Anpassung kognitiver Schemata und
Strukturen, sondern auf Aktivitäten und Prozessen, die dazu beitragen, drohende
oder bestehende Divergenzen zwischen gegebenen und erwünschten Lebensumständen oder
auch zwischen einem „realen“ und „gewünschten“ Selbst aufzuheben.
Kritische Ereignisse werden mit
persönlicher Einschätzung und durch Interpretation, auf Basis des persönlichen
Stils bewältigt. Ein «optimistischer Attributionsstil» hilft beispielsweise,
mit höherer Motivation Ziele zu verfolgen.
Buchanan und Seligmann (vgl. Frey 2016: 207) schreiben, dass mit dem optimistischen Attributionsstil negative
Ereignisse externalisiert werden können. Personen mit optimistischem
Attributionsstil beurteilen negative Erlebnisse nicht, durch eigene Fehler
verursacht. Das Problem wird als nur momentan bestehend abgetan und nicht als
langfristig persönliches. Pessimistische Personen hingegen interpretieren
negative Ereignisse als persönlich globalen Fehler und schreiben Erfolge
äusseren Umständen zu.
Bierhoff (zit. in ebd.) bezeichnet den «(…) optimistischen Attributionsstil als einen
Mechanismus, der durch die Erzeugung positiver Illusionen zum psychischen und
physischen Wohlbefinden einer Person beiträgt und die Stärken und Ressourcen
des Menschen betont, auf die er unter Stress zurückgreifen kann». Ein
optimistischer Attributionsstil kann die Selbstwirksamkeit in Gang halten und
erhöht die Motivation, Ziele mit hohen Anforderungen zu bewältigen (vgl. ebd.).
Aronson et al.(zit. in ebd.: 206) beschreibt den Erfolg durch Selbstwirksamkeit als eine Art
Aufwärtsspirale:
Zahlreiche Studien belegen, dass
Selbstwirksamkeit Einfluss auf Ausdauer und Anstrengung bei der Bewältigung
einer Aufgabe hat und Personen mit einer niedrig ausgeprägten Selbstwirksamkeit
bei Misserfolgen schneller aufgeben als solche mit einer hoch ausgeprägten
Selbstwirksamkeit. Diese stecken sich höhere Ziele, strengen sich mehr an und
lassen sich auch von Misserfolgen nicht so schnell entmutigen. Damit vergrössert
sich auch gleichzeitig ihre Chance auf Erfolg, was wiederum ihre
Selbstwirksamkeitserwartung positiv beeinflusst.
Hurrelmann/Bauer (2020: 67) schreibt: «Selbstwirksamkeit ist eine wichtige Bedingung für jede
Form der Verhaltensänderung, weil sie Einfluss darauf hat, wie viel Anstrengung
in ein bestimmtes Vorhaben investiert und inwieweit das gewünschte Ziel
erreicht wird».
Relationierung
Eine erhöhte Selbstwirksamkeit unterstützt
die Überzeugung, neue und schwierige Herausforderungen bewältigen zu können.
Diese subjektive Gewissheit und der Glaube daran, schwierige Anforderungen
meistern zu können, unabhängig von den vorhandenen Kompetenzen oder objektiv
feststellbaren Ressourcen, führen an sich bereits zu positiven Erfahrungen.
Wird das Ziel nicht erreicht, haben Menschen mit erhöhter Selbstwirksamkeit
weniger Frusterfahrung, da sie sich von Misserfolgen weniger schnell entmutigen
lassen. Positive Erfahrungen und Erfolgserlebnisse fördern die Entwicklung von
Selbstwirksamkeit, d.h., wenn das Umfeld positive Erfahrungen ermöglicht, hat
die Person die Chance Selbstwirksamkeit aufzubauen. Selbstwirksamkeit kann
wiederum zu positiven Erfahrungen führen. Idealerweise entsteht eine
Aufwärtsspirale von Selbstwirksamkeit und positiven Erfahrungen.
PSA können bei bewusster Anwendung des «Zwei-Prozess-Modells
für positive Entwicklung und gelingender Lebensgestaltung» nach Brandtstädter
die Selbstwirksamkeit der K durch akkommodative und assimilative Prozesse
konkret fördern. PSA begleiten die K dahingehend, ihre Aktivitäten zur
Zielerreichung den vorhandenen Fähigkeiten anzupassen (Akkommodation). Die PSA
können sie auch ermutigen, herausfordernde Situationen zu nutzen, um vorhandene
Fähigkeiten weiterzuentwickeln und so positive Erfahrungen zu bewirken, um
andere Vorgehensweisen zu erproben, welche die geforderten Ziele erreichen
(Assimilation).
Diese Möglichkeiten ausschöpfen und dazwischen pendeln kann situativ und
individuell für eine positive Gestaltung von herausfordernden Situationen mit K
genutzt werden.
Ich als PSA kann nun mit dem
Erklärungswissen der Selbstwirksamkeit das Verhalten von K17 wie folgt
erklären:
K17 hat ein hohes Selbstwirksamkeitsgefühl
und geht die bevorstehende Arbeit trotz Uneinigkeit im Vorgehen, die PSA
verlangt ein Vereinbaren der Aufgabenverteilung, und den bestehenden hohen
persönlichen Belastungen, zielstrebig an.
Indem K17 die empfundene Kritik durch das Einfordern von noch ausstehender
Arbeit externalisiert und widerspricht: «Das müssen wir bei der anderen PSA nie
machen», zeigt sie einen optimistischen Attributionsstil, der ihre
Selbstwirksamkeit stärkt.
Indem die PSA nach Möglichkeiten sucht, den Tagesabschluss für K17 als Erfolgserleben
zu ermöglichen und wahrnimmt, dass sie bereits ihre zur Verfügung stehenden
assimilativen Möglichkeiten voll ausschöpft, will die PSA nicht auch noch auf
dem Ziel beharren, die Aufgaben in
vorbesprochener Abfolge zu erledigen. So akkommodiert die PSA die Ziele für K17.
K17 wiederum hat in der Situation ihre Assimilationsfähigkeit ausgeschöpft. Und
sie hat für sich selbst -bewusst oder unbewusst- die Zielsetzung durch
Regelmissachtung akkommodiert: «Hauptsache alle Aufgaben sind erledigt, – egal
wie!». So erzeugte sie für sich selbst Selbstwirksamkeit.
1.2.1.2
Konzept
der Ambivalenz
Welches Erklärungswissen hilft zu
verstehen, wieso die PSA ambivalent bleibt? Wie erklärt sich das ambivalente
Empfinden und Verhalten der PSA?
Begriff und Geschichte der Ambivalenz
Der Psychiater E. Bleuler (vgl. Lüscher,/Studer 2020: 1) hat den Begriff der Ambivalenz 1910 in den wissenschaftlichen
Diskurs eingeführt.
Bleuler unterscheidet drei Formen der
Ambivalenz:
- «Affektive Ambivalenz» (Gefühle): Gleichzeitiges Vorhandensein
von positiven und negativen Gefühlen. - «Voluntäre Ambivalenz», «Ambitendenz» (Wünsche): Etwas
gleichzeitig zu wollen und gerade nicht zu wollen. - «Intellektuelle Ambivalenz» (Beurteilung): etwas gleichzeitig
negativ und positiv zu deuten
Bleuler ging davon aus, dass diese drei
Formen nicht zu trennen sind, ineinander übergehen und sich kombinieren
(vgl. http://www.kurtluescher.de/ambivalenz.html).
Der Begriff der Ambivalenz wurde nach 1910
von Sigmund Freud in die Psychoanalyse aufgenommen und weiterentwickelt. So kam
der Begriff aus der Psychiatrie in die Psychologie, später in die
Sozialpsychologie und wurde in der Psychotherapie verwendet.
In den 1960er-Jahren fand der Begriff der Ambivalenz Eingang in die Soziologie.
Zunächst im Kontext der Analyse von (Berufs-)rollen, später in jener der
Generationenbeziehungen und der Zeitdiagnose (vgl. http://www.kurtluescher.de/ambivalenz.html).
Etwa gleichzeitig setzte die Rezeption in den Literaturwissenschaften ein,
ebenso in den Kunst- und Musikwissenschaften.
Parallel mit der Rezeption in den Wissenschaften fand der Begriff auch Eingang
in die Umgangssprache. Allerdings dort eher negativ besetzt.
Das Konzept der Ambivalenz kann heute in
einer allgemeinen Form, als Deutungsmuster oder aber in einer prägnanten Weise,
als Forschungskonstrukt, angewendet werden, ausgehend davon, wie viele der
nachfolgend benannten Aspekte und Bedingungen vorhanden und beobachtbar sind (vgl. http://www.kurtluescher.de/ambivalenz.html):
- Ausgeprägte Gegensätze, Polaritäten
- Gleichzeitiges Vorhandensein von Gegensätzen und Polaritäten.
Die Betroffenen schwanken, pendeln hin und her, oszillieren dabei im
Fühlen, Denken und Wollen gleichzeitig hin und her. - Dieses Oszillieren dauert kürzere oder längere Zeit in einer
bestimmten Situation, bei der Erfüllung einer Aufgabe oder vor einer
Entscheidung.
Dabei besteht implizit oder explizit die
Annahme, dass dieses Oszillieren, diese Spannungsfelder für das Selbstbild und
die Identität der betroffenen Person von Belang ist (vgl. http://www.kurtluescher.de/ambivalenz.html).
Der Schweizer Soziologe Kurt Lüscher
erkundete das Konzept der Ambivalenz über viele Jahre in verschiedenen
Lebensbereichen und Disziplinen (vgl. Lüscher,/Studer 2020: 1).
Lüscher (
http://www.kurtluescher.de/ambivalenz.html) definiert Ambivalenz so:
Von Ambivalenzen kann man sprechen, wenn
Menschen auf der Suche nach der Bedeutung von Personen, sozialen Beziehungen
und Tatsachen, die für Facetten ihrer Identität und dementsprechend für ihre
Handlungsbefähigung wichtig sind, zwischen polaren Widersprüchen des Fühlens,
Denkens, Wollens oder sozialer Strukturen oszillieren, die zeitweilig oder
dauernd unlösbar scheinen. Dabei können persönliche Beeinflussung, Macht und
Herrschaft von Belang sein.
Umgang mit Ambivalenzen
Menschen werden mit Ambivalenzen
konfrontiert und kreieren diese im Alltag auch selbst (vgl. Lüscher/Fischer o.J.: 85). Ambivalenz ist identitätsrelevant. Aber nicht alle Menschen sind
gleichermassen im Umgang mit Ambivalenzen agil oder talentiert, Ambivalenzen
wahrzunehmen und damit umzugehen. Die Ambivalenz-Sensibilität ist individuell
ausgeprägt (vgl. Lüscher,/Studer 2020: 5f.). Ambivalenzen nicht zu akzeptieren, diese zu verdrängen oder ein
fehlender konstruktiver Umgang mit Ambivalenzen zu haben, wurde von Bleuler (zit. in Lüscher/Fischer o.J.: 85) auch als ‘krank machend’ bewertet. In Lüschers Verständnis ist
Ambivalenz nicht primär negativ oder krankhaft. Er versteht Ambivalenz positiv,
wenn durch Ambivalenz Kreativität und neue Erkenntnisse angestossen werden.
Dies hängt jedoch davon ab, wie mit Ambivalenzen umgegangen wird. Ambivalenz
als Chance, als dynamische Offenheit kann Mehrwert erzeugen. Oder die
Ambivalenz wird verdrängt und wirkt trotzdem weiter und schadet. Zulassen und
Anerkennen von Ambivalenzen kann also als voraussetzenden Prozess zur
Identitätsentwicklung, Reflexionsentwicklung aufgefasst werden (vgl. Lüscher/Fischer o.J.).
Ambivalenz beschreibt den Modus
menschlichen Erlebens und Erfahrens, z.B. als Erleben, Verstehen und Gestalten
von sozialen Beziehungen in den Gegensätzen von Nähe und Distanz, Abhängigkeit
und Eigenständigkeit, Sympathie und Antipathie, dies im Alltag oder in
kritischen Lebenssituationen. Das Ambivalenz-Erleben ist kein ‘Entweder –
Oder’, kein ‘Sich für das eine oder andere’ ganz entscheiden müssen. Es ist ein
‘Sowohl-Als-Auch’, das über unterschiedliche Zeiträume hinweg dauert (vgl. Lüscher,/Studer 2020: 3).
Ambivalenz-Erfahrungen zeigen sich als ein
Hin und Her, Zaudern und Zögern, Innehalten, Zweifeln, ein nach Alternativen
suchen über einen Zeitraum hinweg. Lüscher schlägt dafür den Begriff «Vaszillieren»
vor, abgeleitet vom lateinischen «vacillare», was ’wackeln, zittern’ meint.
Nicht jede alltägliche triviale Unentschiedenheit ist eine Ambivalenz, sondern
nur, was für den Menschen bedeutsam ist und seine persönliche
Identität deutlich betont (vgl. ebd.).
Um den Umgang mit Ambivalenzen zu stärken,
also eine Ambivalenz-Sensibilität zu bewirken, kann darauf geachtet werden,
wann und wie der Begriff der Ambivalenz benutzt wird. Wann erlebt sich jemand
ambivalent, hin- und hergerissen, zögerlich, bedachtsam abwägend? Ist dies für
die Identität der betroffenen Person ein akzentuiertes Erleben? Welche
Strategien entwickelt sie? Zeigen sich neue Facetten der Identität? Gewinnt die
betroffene Person Impulse für Neues? All das verlangt in der Reflexion und in
der Beobachtung, im privaten wie im beruflichen Leben, auf Ambivalenzen zu
achten (vgl. ebd.).
Ambivalenz in sozialen Rollen und in der
Sozialen Arbeit
Lüscher (vgl. Dietrich/Lüscher/Müller 2009: 29ff.) beschreibt, dass Ambivalenzen eine Form des Umganges mit hohen
Spannungsfeldern in sozialen (Berufs-) Rollen durch divergierende
Rollenerwartungen an die Rollenträger*innen sind. Da die Erwartungen an soziale
(Berufs-) Rollenträger*innen in diversen Bereichen diffuser und komplexer
geworden sind und widersprüchlichen Erwartungen an die Rollenträger*innen
herangetragen werden, wird auch deren mögliche Ambivalenz-Erfahrung erhöht (vgl. ebd.: 31). Sie müssen mehr Spannungsfelder aushalten und damit kreativ
umgehen.
Folgende Spannungsfelder und
widersprüchliche Erwartungen im Rahmen Sozialer Arbeit werden von Kleve (vgl. Kleve 2007: 20,33,36) wie folgt aufgelistet:
- Hilfe- und Kontrollfunktion, doppeltes Mandat, doppelte
Loyalität - Fördern und Fordern
- Hilfe und Nicht-Hilfe
- Integration und Desintegration
- Lebensweltorientierung und Ökonomisierung
Der Ansatz «Schlüsselsituationen» nimmt
Bezug zu den von Kleve beschriebenen Spannungsfeldern und legt dar, dass sich
das Verständnis von Professionalität in der Sozialen Arbeit sich am Wesen
derselben orientiert. Diese ist von Widersprüchen, Ambivalenzen und Paradoxien geprägt
(vgl. Tov et al. 2016: 29). Ergänzend zu Kleve führt der Ansatz «Schlüsselsituationen» die Spannungsfelder
von Macht und Respekt sowie Kontrolle und Akzeptanz ein.
Kleve
(vgl. Kleve 2007: 43) beschreibt die Ambivalenz-Lastigkeit der Sozialen
Arbeit:
Derartige Ambivalenzen lassen sich als
widersprüchliche soziale Handlungsstrukturen bzw. als gegensätzliche soziale
Erwartungen, als Dilemmata beobachten und lösen bei den praktizierenden
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern oft ambivalente Unentscheidbarkeiten,
Gefühle des Hin- und Hergerissenseins aus.
Es
geht um die Frage, wie PSA Ambivalenzen konstruktiv managen können. Kleve warnt
davor, Ambivalenzen zu Eindeutigkeiten um zu biegen. Denn sozial Arbeitende
suchen nach eindeutiger Identität. Das ist aber mit Omnipräsenz von
Ambivalenzen nicht erstellbar. Es ist wichtig, Ambivalenzen und Uneindeutigkeit
zu akzeptieren, damit zu leben und sie «(…) als Motoren von Prozessen der
Kreativitäts- und Möglichkeitserzeugung zu nutzen» (ebd.:
44).
Da das Wesen der Sozialen Arbeit geprägt und
gestaltet ist von Ambivalenzen und Widersprüchen und diese Ambivalenzen nicht
geglättet werden sollen, sondern vielmehr reflektiert, aushaltbar gemacht und
kreativ genutzt werden soll, ist es wichtig, eine Ambivalenz-Sensibilität zu
entwickeln.
Das gleichzeitige Vorhandensein von Hilfe
und Kontrolle aus dem ersten Mandat, das so genannte «Doppelmandat» durch Gesellschaft,
Institution, Zuweiser der sozialen Arbeit ist eine durchweg präsente Ambivalenz in der Sozialen
Arbeit (vgl. Schweizerischer
Berufsverband Soziale Arbeit 2010: 8). Die PSA haben demnach sowohl Hilfs- als auch Kontrollfunktion. Sie
stehen also zwischen dem individuellen Anspruch und Bedürfnis der K und den
Anforderungen durch Gesellschaft, Institution und deren Zuweiser, welche
ökonomischen Anspruch auf Effizienz in der Hinführung auf das Ziel stellen.
Relationierung
Diese Ambivalenz der PSA zwischen Förderung
und Fürsorge für die K sowie Fordern der K bedeutet für sie, einerseits die
Fähigkeit der K in deren Lebenswelt zu unterstützen und sie zugleich im Rahmen
des Institutions- und Gesellschaftsauftrags zu kontrollieren. Es geht als PSA
darum, mit Respekt und Akzeptanz dem Individuellen der K und deren Recht auf
Eigensinn und Autonomie begegnen zu können sowie gleichzeitig ihnen gegenüber
in einer Kontroll- und Machtrolle aufzutreten. Diese Ambivalenz fordert die PSA
zu bewusster Auseinandersetzung. Kann sie durch Reflexion der empfundenen
Ambivalenzen den Spannungsfeldern offen begegnen und sie als Chance nutzen, so
kann für sie Kreativität und Mehrwert in ihrer Arbeit entstehen. Die PSA kann
vorhandene Widersprüche von Hilfs- und Kontrollanforderungen, Macht- und
Respekt-Ansprüchen, individueller Förderung und Anforderung der Ökonomisierung
wahrnehmen und darin flexibel oszilliert. Sie bleibt möglichst im
Sowohl-als-Auch, um beiden Polen angemessen gerecht zu werden.
In der Schlüsselsituation bin ich/PSA hin-
und hergerissen, denn einerseits sehe, respektiere und anerkenne ich die persönliche
Belastung von K17 sowie deren Bemühen, einen guten Abschluss zu schaffen, K17
wirkt auf mich zwar chaotisch und unstrukturiert, aber sie erledigt ihre
Arbeiten angemessen. Andererseits realisiere ich, dass, wenn K17 so chaotisch
arbeitet und einfach über die Kompetenzen ihrer Arbeitskollegin hinweggeht, sie
im Ersten Arbeitsmarkt Probleme bekommen wird. Die Bedürfnisse von K26 und die
Bedingungen im Ersten Arbeitsmarkt werden im Verhalten von K17 nicht genügend
berücksichtigt. Also interveniere ich, und zwar so, wie dies für K17 im Moment
umsetzbar ist. Ich will vor allem positive Erfahrung ermöglichen. Einerseits
lasse ich geschehen, weil ich beobachte, dass das Aufräumen vorangeht, obwohl
nicht wie abgemacht. Andererseits interveniere ich durch zusätzliche,
bewältigbare Teilaufgaben. Damit sorge ich sowohl für die Selbstwirksamkeit von
K17 als auch für den Auftrag aus dem Ersten Arbeitsmarkt.
Ein weiteres Sowohl-als-Auch ist mein
Entscheid, an jenem Abend zwar vor allem die Fähigkeiten und Ressourcen von K17
zu unterstützen, aber ihr übergriffiges Verhalten im Auge zu behalten, und ich plane
ein reflexives Gespräch über die möglichen Schwierigkeiten durch das gezielte
Verhalten im Ersten Arbeitsmarkt auf einen kommenden Tag. Denn ich denke, dass
K17 an einem anderen Tag mehr Ressourcen zur kritischen Reflexion haben wird.
Ich als PSA empfinde in dieser Situation
Ambivalenz als persönlich tangierend. Denn mit meinen Werten der Ressourcenorientierung,
Recht auf Eigensinn, so dass K17 in ihrer Eigenheit vorwiegend zu unterstützen
wäre, und zugleich der Achtung der empfundenen hierarchischen Anforderung aus
dem Auftrag des Ersten Arbeitsmarkts, K17 wegen eben dieser Eigenheiten zurechtzuweisen
wäre, werde ich herausfordernd konfrontiert.
Das Gefühl, beiden Polen nicht angemessen
am selben Tag gerecht zu werden, bewirkt bei mir ein angestrengtes und
frustrierendes Ambivalenz-Gefühl. Die daraus resultierende Unsicherheit wird
von meiner Wahrnehmung verstärkt, dass in dieser konkreten Situation nicht noch
mehr Druck zu managen ist. Mir fehlt noch der bewusste, geübte Umgang mit
meinen Ambivalenzen und eine geeignete Methode ihrer Reflexion, um sie sicherer
reflektieren, nutzen und entspannter aushalten zu können.
1.2.2.1
Das Werte-
und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun als Modell des Handelns für die
PSA
Wie kann die PSA zu einem bewussten, aktiven, adäquaten und
kreativen Umgang mit Ambivalenzen gelangen?
Das Werte- und Entwicklungsquadrat von Schulz von Thun ist
ein gedankliches Werkzeug, um mit verschiedenen, sich polarisierenden Werten
einen dynamischen und entwicklungsorientierten Umgang zu erlangen (vgl. Schulz von Thun 2021: 38).
Das Wertequadrat
Jeder Wert hat nur dann eine konstruktive Wirkung, wenn dieser
in einer ausgehaltenen Spannung zu einem positiven Gegenwert, seinem «Schwesternwert»
gesehen wird. Ohne diese Spannung verfällt der Wert in seine «entwertende
Übertreibung». Diese Spannung zwischen den Polen ist nicht fix gedacht, sondern
als dynamische Balance, ein Pendeln zwischen den Polen. Die Pole durchdringen
und enthalten sich auch gegenseitig (vgl. ebd.: 38ff.).

Abb.1: Das Wertequadrat nach Schulz von
Thun, eigene Darstellung
Anhand des Wertequadrates können die
eigenen Wertvorstellungen reflektiert werden, um zu erkennen, in welchem
Spannungsfeld sich jemand gerade befindet, und in welche entwertenden
Übertreibungen die Person geraten könnte. Am Wertequadrat ist ablesbar, in
welche Richtung die eigne Entwicklung gehen soll, um in dynamischer Balance der
positiven Werte und ihrer Schwesternwerte gegenüber den jeweils entwertenden
Übertreibungen zu bleiben.
Wird das Wertequadrat als Denkfigur und
Instrument zur Reflexion des eigenen Handelns eingesetzt, um Wertehaltungen zu
reflektieren und weiterzuentwickeln, so wird es zum Entwicklungsquadrat.
Das Wertequadrat zeigt die
Entwicklungsrichtung von der entwertenden Übertreibung von Wert A (3) hin zum
positiven Schwesternwert 2) mit Erhaltung des Wertes A (1) (vgl. ebd.: 44).:

Abb. 2: Das Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun, eigene
Darstellung
Es ist kein Entweder-Oder anzustreben,
sondern eine Art Synthese von positivem Wert und Schwesternwert, ohne in
entwertenden Übertreibungen zu geraten (vgl. ebd.). So kann die
eigene Wahrnehmung geschärft und kann vor Augen gehalten werden, dass in einer
unangenehm erlebten Ambivalenz oder in einem Wertekonflikt positive Werte und
Schwesternwerte schlummern, die es zu entdecken gilt und mit welchen kreativ gearbeitet
werden kann. Je nach gegebener Situation ist ein anderes Mass an Gewichtung des
einen oder anderen Wertes hilfreich. Es ist wertvoll zu wissen, dass beide
Werte oder Haltungen zur Verfügung stehen. – Werte, Schwesternwerte und deren
Übertreibungen erkennen, um eine dynamische Balance auszubilden und dies alles
zu schulen, hilft, sich im Umgang mit Ambivalenzen polarisierender Werte zu
entwickeln (vgl. ebd.).
Relationierung
In der Sozialen Arbeit ist die Ambivalenz von
Hilfe und Kontrolle, widersprüchliche Handlungslogiken, im «Doppelmandat» als
Strukturmerkmal verankert (vgl. Hochuli-Freund/Stotz 2017:
49f.).
«Diese Widersprüche immer wieder fallbezogen neu zu reflektieren, ist
eine Anforderung an Professionelle der Sozialen Arbeit und zugleich ein
Qualitätsmerkmal von Professionalität.» (ebd.: 52)
Dafür eignet sich das Werte- und Entwicklungsquadrat
als vielseitig anwendbares Werkzeug der (Selbst-) Reflexion, wenn jemand mit
eben solchen Dilemmas, gegensätzlichen Werten, Widersprüchen und Ambivalenzen
zu tun hat. Es hilft diese zu klären und sich darin zu entwickeln und so die
eigene Ambivalenz-Sensibilität zu stärken.
Hinsichtlich der Schlüsselsituation im Folgenden
ein erstes Werte- und Entwicklungsquadrat:

Abb.3: Entwicklungsquadrat mit den Werten der
Akzeptanz und Konfrontation, eigene Darstellung
Im ersten Entwicklungsquadrat zu den Werten Akzeptanz/Autonomie und
Konfrontation/Macht mit den entsprechenden entwertenden Übertreibungen bedeutet
die Entwicklungsrichtung angewandt auf die Schlüsselsituation folgendes:
Ich/PSA habe mich anfangs besonders am positiven
Wert der Akzeptanz für die und Autonomie der Klientin orientiert und K17 unter
Beobachtung gewähren lassen. Ich intervenierte nicht, als sie eigenmächtig
gegen Abmachungen verstiess. Es bestand aber die Gefahr des Laisser-Faire. Mit
meiner Intervention gegen Ende der Sequenz, Aufgaben verbessern zu lassen, habe
ich, in Abwägung der eingeschätzten vorhandenen Ressourcen von K17, dann mehr
auf Konfrontation gesetzt.
Nach Friedemann Schulz von Thun ist es Ziel, Wert und Schwesternwert zu
verbinden und sich in dynamischer Balance zu verhalten.
Mein Ziel als PSA ist, zwischen Akzeptanz/Autonomie der K und deren
Konfrontation/Macht mit Fehlverhalten dynamisch zu bleiben, nicht in
Laisser-Faire (Schonhaltung) oder in Kampf und Streit zu verfallen.
Mit weiteren Werten fokussiert das zweite
Entwicklungsquadrat:
