Mit Gewalt in der Gruppe umgehen / Jugendwohngruppe

Stichwörter:

Die Situation findet auf einer Jugendwohngruppe, welche weibliche sowie männliche Jugendliche in die Selbständigkeit begleitet, statt. Die Unterstützung in der Persönlichkeitsentwicklung sowie in der Berufsfindung stehen im Fokus, um mit den Jugendlichen einen positiven Lebensentwurf zu gestalten (vgl. Leitbild der Institution). Auf der Wohngruppe, nach einem gemeinsamen Lager, entsteht eine Diskussion zwischen allen sieben Klienten und Klientinnen. Aus einem Jugendzimmer sind fünf Franken entwendet worden. Ein Jugendlicher der Gruppe, Klient F., wird mutmasslich des Diebstahls beschuldigt. Die Diskussion in der Gruppe ist aktiv sowie angeregt, aber nicht aggressiver Stimmung, als die PSA dazu stösst.

Erste Sequenz: Erste aktive Kontaktaufnahme seitens der PSA

Der Jugendliche, Klient D., übernimmt selbständig die Gesprächsführung für die Gruppe. Klient D. beschuldigt Klient F. vehement, das Geld entwendet zu haben. Dies aufgrund der Tatsache, dass Klient F. bereits ausserhalb der Wohngruppe gestohlen hat. Die PSA versucht eine Struktur in die Diskussion zu bringen, um auch dem Beschuldigten Klient F. die Gelegenheit zu ermöglichen, sich zu den Beschuldigungen zu äussern.

Reflection in Action

  • Emotional K (F): Unbeholfen, hilflos, alleingelassen, angegriffen, will selbstsicher wirken, wirkt unnatürlich, nervös, fühlt sich unverstanden, ausgeschlossen, verärgert, entblösst, betroffen, einsam, unbehaglich, unwohl.
  • Emotional K (D): Selbstsicher, dominierend, im Recht/ fordernd, will Situation aufklären, möchte Ehrlichkeit, verärgert über Klient F, gespannt, entschlossen
  • Emotion Professionelle/r: Entspannt, gespannt, abwartend, findet Klient D. verhält sich unfair Klient F. gegenüber. Fühlt sich als Beobachterin der Situation.
  • Kognition Professionelle/r: Findet Diskussion gut, kennt Rollenmuster der beiden Klienten aus ähnlichen Situationen, möchte der Gruppe Raum gewähren, die Situation selbst zu lösen, möchte die Gesprächsführung leiten, um somit Klient D. in seiner Rolle zu dämpfen und um Klient F. Gehör zu verschaffen, Rolle von Klient D. in der Gruppe ist die „Leaderfunktion“, Rolle von Klient F. wird wenig ernst genommen

 

 

Zweite Sequenz: Zuspitzung der Situation

Klient F. wird seitens der Jugendgruppe kein Glauben geschenkt, was ihn dazu veranlasst, die Diskussion zu verlassen. Klient F. steht auf und will gehen. Klient D. läuft ihm hinterher und versucht ihn in der Gruppe zu behalten. Klient D. hält Klient F. am Arm fest und redet weiter auf ihnein, dass er den Diebstahl endlich zugeben solle. Die PSA stellt sich zu den beiden und veranlasst Klient D. den Arm von Klient F. loszulassen. Die PSA kann die Situation soweit entspannen, dass sich Klient F. wieder in die Gruppe begibt. Die PSA versucht nochmals mit einer klaren Haltung und Gesprächsschlichtung/ -strukturierung, die Diskussion zu leiten. Auch hier ist die Stimmung noch nicht aggressiv oder ausfällig. Klient F. versichert stets, dass er das Geld nicht entwendet hat.

Reflection in Action

  • Emotional K (F): Unbeholfen, unverstanden, unsicher, alleingelassen, in die Enge getrieben, gemobbt, unterdrückt, entlarvt?, abwehrend, gequält.
  • Emotional K (F): Fühlt sich als Herr der Situation, bestätigt in Vermutung, da Klient F. „fliehen“ will, fühlt sich bestätigt in „Leaderfunktion“, ungeduldig, überlegen.
  • Emotion Professionelle/r: Angespannt, aufmerksam, gestresst, unsicher, alarmiert, ist besorgt und beunruhigt.
  • Kognition Professionelle/r: PSA weiss, dass Klient D. eine Gewaltproblematik hat, diese hat er auf der Wohngruppe noch nie gegen Personen gerichtet. Der Griff an den Arm war für PSA eine erste Grenzüberschreitung. Gedanke, das Gespräch abzubrechen, Gedanken über Worst Case, die Frage, wie sie die Situation schlimmstenfalls in Griff bekommen kann.

 

 

Dritte Sequenz: Eskalation der Situation, durch Gewaltanwendung

Klient F. verlässt rasch, beinahe fliehend die Diskussion, als ihm weiterhin niemand glaubt. Klient D. geht ihm hinterher und packt Klient F. stark an beiden Armen. Die PSA läuft den beiden hinterher und sieht, wie Klient D. Klient F. an den Hals greift. Dabei schreit Klient D. Klient F. an und will immer noch bezwecken, dass dieser den Diebstahl gesteht. Die PSA greift sofort ein und stellt sich zwischen die beiden. Die PSA muss dazu die Hand von Klient D., vom Hals von Klient F. wegziehen, um Klient F. zu schützen. Durch das laute Geschrei, kommen auch zwei andere PSA zum Geschehen.

Reflection in Action

  • Emotional K (F): Erschrocken, geschockt, unverstanden, traurig, ausgeschlossen, ängstlich, angegriffen, dominiert, hilflos, überrascht, überrumpelt, wütend, bestürzt, perplex, überwältigt.
  • Emotional K (D): Aggressiv, unverstanden, wütend, unbeholfen anders zu reagieren, geladen, streitlustig.
  • Emotion Professionelle/r: Erschrocken, angespannt, wütend über die Reaktion von Klient D., Sinne auf Alarmbereitschaft, Angst dass Klient F. verletzt wird, nervös, besorgt, überwältigt, gespannt.
  • Kognition Professionelle/r: Hat nicht mit einer solch starken Reaktion von Klient D. gerechnet. PSA hat kognitiv nicht viel überlegt, intuitiv zwischen die beiden um Schutz zu gewähren und Situation nicht weiter eskalieren zu lassen.

 

 

Vierte Sequenz: Entspannung der Situation

Der einen PSA gelingt es, Klient D. aus dem Raum zu führen, indem sie ihn an der Schulter wegdreht und aus dem Raum begleitet. Klient D. wehrt sich nicht gegen diesen Körperkontakt und geht ohne Widerreden mit der PSA mit. Klient D. zieht sich zurück und lässt seine Aggression im Fitnessraum der Wohngruppe heraus. In diesem Moment können die PSA gemeinsam mit Klient F. die Situation reflektieren.

Reflection in Action

  • Emotional K (F): Erschrocken, unsicher, erleichtert.
  • Emotional K (D): Wütend, aggressiv, erschrocken über eigene Reaktion?, ratlos (was soll ich jetzt tun?), enttäuscht von sich selber.
  • Emotion Professionelle/r: Unsicher, mitschuldig (wäre Situation vermeidbar gewesen?), geschockt, erleichtert, überfordert mit Emotionen/ Aggression die im Raum waren, Mitleid Klient F. gegenüber, besorgt um Klient D.
  • Kognition Professionelle/r: Der Rückzug des Klienten D. war der PSA eine bekannte Reaktion, dies ist meist eine Möglichkeit für ihn um nachzudenken und überschüssige Energie/Aggression abzulassen. Auch die nachträgliche Reaktion von Klient D. war absehbar. Klient D. war im Gespräch sehr sachlich und konnte seine Emotionen nicht benennen, er hat die Situation heruntergespielt undseine Unsicherheit überspielt.

 

 

Weitere Sequenzen

Fünfte Sequenz: Nachbesprechung mit den Klienten

Klient D. kommt nachträglich selbstständig zu den drei PSA um das Gespräch zu suchen. Schlussendlich wird ein Gespräch zur Auflösung sowie Entspannung der Situation mit beiden Klienten geführt.

Reflection in Action

  • Emotional K (F): Ungeduldig, unangenehme Situation, unsicher, unter Druck nicht unsicher zu wirken, gespannt, Klient D. gegenüberzustehen.
  • Emotional K (D): Reuig, geschockt über eigene Reaktion und Schilderung der Situation der PSA, ängstlich bezüglich möglichen Konsequenzen.
  • Emotion Professionelle/r: Wege besprechen, um solche Situationen zu vermeiden, Handlungsalternativen mit Klient D. besprechen, Situation mit beiden Klienten auflösen, Emotionen herauslocken ist schwierig. Klient D. darin bestärken, dass er nochmals ins Gespräch gekommen ist, aber auch klare Reaktionen und Gefühle, welche bei den Beteiligten aufgekommen sind werden benennt. Die PSA hat Klient D. von einer neuen Seite kennengelernt
  • Kognition Professionelle/r:…

5.1      Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?

  • 1. Das Konzept Lebensweltorientierte Soziale Arbeit nach Thiersch/Grunwald:

    In der Arbeit mit der Klientel soll nach Thiersch ein Bezug zu deren Lebenswelt geschaffen werden, um eine lebensweltorientierte Hilfe zu ermöglichen. Soziale Gerechtigkeit wird angestrebt, was bedeutet, dass Biographien nicht starr vorgegeben sind, sondern individuell gestaltet werden. Das Nachbilden von Biographien unterteilt Thiersch in vier Aspekte. Das beschreibende Konzept, in welchem der Mensch mit seinen Erfahrungen einer Wirklichkeit gesehen wird und das Verstehen dessen Alltag beinhaltet. Die erfahrene Wirklichkeit, welche in Lebensräume und deren Sinnhaftigkeit unterteilt wird. Das Verstehen von Handlungs- und Deutungsmuster, welche dem Individuum Sicherheit und Identität verschafft. Sowie das Verstehen der Menschen im Bewältigen ihres Alltages. Das Konzept der Lebensbewältigung orientiert sich an den Ressourcen der Klientel und bestärkt sie in ihren Fähigkeiten (vgl. Thiersch/Grunwald 2008: 13-16).

    In der beschriebenen Situation kann angenommen werden, dass Klient D. Gewalt als Handlungsmuster verinnerlicht hat sowie Klient F. Situationen der Unterdrückung bereits kennt. Durch das Verstehen der Klienten in ihren Lebensbewältigungsstrategien und durch das Deuten dieser Strategien, können ressourcenorientierte Handlungsalternativen, in Partizipation mit den Klienten, erarbeitet werden, um einen gelingenderen Alltag zu ermöglichen.

 

  • 2. Die Lebensbewältigungstheorie nach Lothar Böhnisch:

    Die Erfahrung des Selbstwertes und dessen Wiedererlangung, ist ein Hauptansatz in Böhnischs Theorie. Durch das Geschlecht werden in der Entwicklung bereits geschlechtsspezifische Erziehungsmassnahmen ergriffen. Diese Typisierung von Geschlechtsmerkmalen ist durch die Gesellschaft erschaffen worden. Die damit einhergehende Sozialisation wirkt sich auf die Betroffenheit der Menschen aus. Männer sind vermehrt nach aussen orientiert. Dies beinhaltet, dass Männer ihre Gefühle eher unterdrücken. Frauen orientieren sich eher nach innen. Die Bewältigungsstrategien mit Krisen oder schwierigen Situationen umzugehen, ist mit dem Geschlecht verknüpft (vgl. Böhnisch/Funk 2002: 55). Das Verhalten von Klient D., zeigt die beschriebene Orientierung nach aussen. Die erworbene Bewältigungsstrategie von Klient D., auf schwierige Situationen mit Gewalt zu reagieren, zeigt, dass Böhnischs Theorie eine stimmige Erklärungsmöglichkeit sein kann.

 

  • 3. Operantes Konditionieren nach Skinner:

    Skinner spricht von positiver und negativer Verstärkung. Positive Verstärkung ist die Belohnung auf ein positives Verhalten mit der Annahme, dass das positive Verhalten dadurch vermehrt auftritt. Negative Verstärkung ist die Entfernung eines negativen Reizes (zum Beispiel die Entfernung von Angst oder von einer unangenehmen Tätigkeit), ebenfalls mit dem Ziel, die Auftretenswahrscheinlichkeit eines positiven Verhaltens zu erhöhen (vgl. Bourne/Ekstrand 2005: 136-139). Das Gewaltverhalten von Klient D. ist in anderen Lebensbereichen ausserhalb der Wohngruppe vermehrt aufgetreten. Nach Skinner könnte eine positive Verstärkung durch Belohnung des gewaltlosen Verhaltens in ähnlichen Situationen, das Anwenden von Gewalt mindern. Dies ist in der beschriebenen Situation nicht aktiv geschehen.

 

  • 4. Zwischenmenschliche Kommunikation nach Schulz von Thun: 

    Im „Vier-Ohren-Modell“
    ermöglicht Schulz von Thun, eine Sicht von vier verschiedenen Aspekten auf die praktische Kommunikation. Besonderer Wert wird dabei auf den Moment des Nachrichtenempfängers gelegt, was sich auch bildlich durch die Visualisierung des Ohrs abzeichnet.
  • Das Sach-Ohr: im Zentrum des Nachrichtenempfängers steht der Sachinhalt der Nachricht.
  • Das Beziehungs-Ohr: im Zentrum steht die persönliche Botschaft der Nachricht und der Empfänger bezieht sie auf sich.
  • Das Selbstoffenbarungs-Ohr: Das Selbstoffenbarungs-Ohr fragt v.a. in Konflikten, was sein Gegenüber dazu veranlasst, so zu reagieren. Zudem ist es für aktives Zuhören und Empathie zentral, da es Distanz zur eigenen und anderen Personen ermöglicht.
  • Das Appell-Ohr: Bei starker Präsenz des Appell-Ohrs hört der Nachrichtenempfänger v.a. auf Aufrufe von anderen, obwohl sie diese nicht direkt äussern (vgl. Schulz von Thun 1998:44-63). In der Situation spielt das „Vier-Ohren Modell“ insofern eine Rolle, als dass die PSA und die Klientel miteinander kommunizieren und verschiedene Botschaften ausgesendet sowie empfangen werden, die vom Nachrichtenempfänger individuell interpretiert werden. Im beschriebenen Beispiel beginnt die PSA das Gespräch vorerst sachlich. Sie übernimmt eine leitende Position, gibt wieder was genau geschehen ist. Ab der 2. Sequenz kann das Eingreifen der PSA ins Geschehen von den Klienten als Appell verstanden werden. Sie stoppt Klient D. und lässt Klient F. zu Wort kommen.
 
 

 

5.2      Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?

  • 1. Struktur- und Handlungsmaxime des professionellen Handelns:

    In der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit nach Thiersch, können Professionelle durch die Struktur- und Handlungsmaximen einen für die Klientel gelingenderen Alltag anstreben. Dafür sind fünf Zugänge beschrieben.- Prävention: Frühzeitige Ermöglichung von infrastrukturellen Angeboten. Erarbeitung von Konzepten der Lebensbewältigung, um diese im Arbeiten mit der Klientel adäquat anzuwenden.
  • Alltagsnähe: Die Angebote müssen für die Klientel erreichbar und niederschwellig sein.
  • Integration: Integration bedingt gegenseitigen Respekt und strebt ein Zusammensein ohne Diskriminierung, Unterdrückung und Gleichgültigkeit aus.
  • Partizipation: Verschiedene Möglichkeiten sollten geschaffen sein, um Partizipation zu ermöglichen und zu fördern. Alle Beteiligten sollen unter dem Aspekt der Gleichheit agieren, dabei ist die offene Kommunikation unabdingbar.
  • Dezentralisierung/ Regionalisierung: Angebote sollten präsent vor Ort sein und bestenfalls

    im Milieu verankert sein (vgl. Thiersch/Grunwald 2008: 13-16) Die PSA initiiert eine Gesprächskultur, welche durch gegenseitigen Respekt geprägt sein soll. Durch die sprachliche Anpassung des Habitus, an jene der Klienten, fördert die PSA die Ermöglichung der Partizipation der Klienten für eine Konfliktlösung und steht für eine offene Kommunikation ein, sie begünstigt mit Interventionen, in der ersten und zweiten Sequenz, die Integration und Partizipation der Klienten.

 

  • 2. Männliches Bewältigungsmodell:

    Im männlichen Bewältigungsmodell geht Böhnisch auf die Schwierigkeit ein, welche männliche Individuen beim Ausdruck von Hilflosigkeit haben. Der Umgang mit der eigenen Gefühlswelt und damit verbundene Unsicherheiten, wird häufig nach aussen getragen. Dies zum Beispiel in Form von Unterdrückung von Schwächeren. Die gesellschaftlichen Erwartungen an das männliche Geschlecht, stark und selbstsicher zu sein, fördern diese Externalisierung. Das Konzept der Externalisierung beschreibt Böhnisch als eine Verlustangst die innere Kontrolle zu verlieren, durch das Zulassen und Hingeben eigener Gefühle. In der Sozialen Arbeit sollten nach Böhnisch Möglichkeiten geschaffen werden, dass männliche Individuen Erfahrungen sammeln können, dass auch „unmännliches“ Verhalten toleriert und wohlwollend aufgenommen werden kann (vgl. Böhnisch/Funk 2002: 114). Durch die Nachbereitung der Eskalation kann Klient D. sein Verhalten und seine Wirkung auf die Beteiligten geschildert werden. Im Gespräch benennt die PSA ihre Gefühle und ermöglicht Klient D. somit, sein Verhalten zu reflektieren und seine Gefühle anzuerkennen.

 

  • 3. Operantes Konditionieren/instrumentelles Lernen nach Skinner:

    Wie oben beschrieben, werden nach Skinner die positiven oder negativen Konsequenzen, die einem Verhalten folgen, als entscheidend für das zukünftige Auftreten dieses Verhaltens gesehen. Skinner glaubt, dass ein stabiles instrumentelles Verhalten erst durch häufig wiederkehrende, gleichförmige Konsequenzen allmählich gelernt wird (vgl. Asanger/Wenninger 1999: 394). Klient D. könnte durch eine visuelle Darstellung seiner gewaltfreien Tage oder Wochen, darin bestärkt und belohnt werden, Konflikte ohne Gewaltanwendung zu bestreiten. In der Situation hätte bereits in der zweiten Sequenz, Klient D. die Aufmerksamkeit entzogen werden können, um seine zentrale sowie machtvolle Position in der Gruppe im Diskussionszusammenhang zu schwächen. Weiter hätte die PSA in der zweiten Sequenz, Klient D. auf sein persönliches Ziel aufmerksam machen können, möglichst gewaltlos Situationen zu meistern.

 

  • 4. Zwischenmenschliche Kommunikation nach Schulz von Thun:

    In der Metakommunikation wird ermöglicht, die Beziehungsebene zu verlassen und emotionalisierte Themen auf der Sachebene zu behandeln. Damit ist „die Kommunikation über die Kommunikation“ (Schulz von Thun 1998: 91) gemeint. Dadurch sollen die unterschwelligen Botschaften entschlüsselt und offen angesprochen werden (vgl. Schulz von Thun 1998: 44-63). In der Situation mit Klient D. und Klient F. hätte der Zugang über die Metakommunikation vor der Eskalation eine Möglichkeit zur Deeskalation sein können. Während des Gesprächs hätte, in der ersten sowie in der zweiten Sequenz, über die Metakommunikation das Gespräch gezielter gesteuert sowie unterschwellige Botschaften entschlüsselt werden können, um somit die Beziehung der beiden Klienten zueinander zu thematisieren.

 

 

5.3     Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?

  • Im Team wird die Rollenverteilung in der Gruppe regelmässig besprochen. Haltungsfragen sowie vorhandene Gruppendynamiken werden dabei vertieft thematisiert.
  • Durch Gruppendiskussionen ist bekannt, dass mit den Klientinnen und Klienten wichtige Themen gut in Begleitung eines PSA besprochen sowie Konflikte aufgelöst werden können.
  • In gruppeninternen Diskussionen zwischen Klientinnen und Klienten wurde die Erfahrung gemacht, dass ein Abbruch der Diskussion durch einen PSA die Gruppendynamik sowie -stimmung negativ beeinflussen kann.
  • Durch Einzelgespräche mit Klientinnen und Klienten wurde die Erfahrung gemacht, dass die Klientel jeweils Einsicht zeigt sowie den Argumentationsgang des PSA nachvollziehen kann, in der Gruppe die Erkenntnisse aus solchen Einzelgesprächen jedoch nicht einbringen kann.
  • Auf der Wohngruppe ist in dieser Gruppenkonstellation bisher von der Klientel keine physische Gewalt gegen Mitglieder des Teams oder andere Klientinnen und Klienten ausgeübt worden.
  • Die Gewaltthematik eines Klienten ist dem Team bekannt. In Gesprächen wurden gewaltbehaftete Situationen, an denen er beteiligt war, besprochen und Handlungsmöglichkeiten besprochen sowie Grenzen aufgezeigt

 

 

5.4      Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?

Auftrag: Die Institution begleitet und unterstützt Jugendliche und junge Erwachsenen in ihrer Entwicklung der Persönlichkeit, der beruflichen Entwicklung sowie der Entwicklung in die Selbständigkeit. Dabei sollen Ressourcen gefördert und Stärken ausgebaut werden, um einen positiven Lebensentwurf zu realisieren (vgl. Leitbild der Institution). Kommunikationsform: In der Institution wird eine transparente und offene Gesprächsphilosophie angestrebt sowie gelebt. Dies soll die Partizipation, Zusammenarbeit, Persönlichkeitsentwicklung und Beziehungsgestaltung mit der Klientel stärken und eine Vertrauensgrundlage ermöglichen (vgl. Leitbild der Institution). Ausbildungskonzept: Im Ausbildungskonzept werden die Aufgaben und zu erwerbenden Kompetenzen einer Sozialpädagogin oder eines Sozialpädagogen in Ausbildung festgehalten. Klare Kompetenz- und Zuständigkeitsbereiche werden eingegliedert, um das Klientel sowie Auszubildende zu schützen (vgl. Handbuch der Institution). Fallthematik kennen: In Situationen wie der beschriebenen Schlüsselsituation ist es von Vorteil, die Vorgeschichte sowie die Fallthematik der jeweiligen Klientinnen und Klienten zu kennen. Dabei können Interventionen seitens des PSA eingeschätzt und Reaktionen der Klientel hergeleitet sowie interpretiert werden. Mit diesem Vorwissen können schwierige Situationen überlegt begleitet und nachbereitet werden. Weiterbildungsmöglichkeiten: Wichtig um Prozesse begleiten und fördern zu können, sind Weiterbildungen, welche Themen, die für die Arbeit sowie die Klientel nützlich sind, aufgreifen. Das Team wird in solchen Vorhaben unterstützt und Weiterentwicklungen angestossen (vgl. Leitbild der Institution).

 

5.5      Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?

  • Die Fähigkeit, der Klientel Autonomie und das Vertrauen zu gewähren, eine Situation selbständig meistern zu können und nicht übereifrig als PSA die Kontrolle zu übernehmen. Der Versuch, Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen (vgl. Hochuli/Stotz 2011: 88).
  • Die Fähigkeit, eine Struktur in das Gesprächsverhalten der Gruppe zu bringen sowie den Ablauf beeinflussen zu können, damit alle zu Wort kommen (vgl. Widulle 2012: 86).
  • Die Fähigkeit, neutral aufzutreten, sich nicht von Äusserungen mitreissen zu lassen sowie unvoreingenommen eine Situation zu analysieren.
  • Emphatisches und wohlwollendes Auftreten, um der Klientel zu ermöglichen, sich verstanden und akzeptiert zu fühlen.
  • Die Fähigkeit, Interventionen begründen zu können und mit vorhandenem Wissen zu verknüpfen.
  • Die Fähigkeit, eine Situation mit einer Klientin oder einem Klienten in einem Gespräch nachzubereiten und Perspektiven sowie verschiedene Blickwinkel aufzuzeigen (vgl. Widulle 2012: 84).
  • Die Fähigkeit unterstützend anwesend zu sein, ohne unbedingt eingreifen zu wollen.
  • Die Fähigkeit, in einer eskalierenden Situation möglichst ruhig zu bleiben.
  • Die Fähigkeit, dem Klientel bereits vor einer Eskalation präventiv Verstärkung zu geben.
  • Die Fähigkeit, nicht nur die Probleme, sondern ebenfalls die Ressourcen eines Klienten wahrzunehmen.
  • Die Fähigkeit, einem Klienten Erfolgschancen zu geben.
  • Die Fähigkeit, ein Verhalten verstehen zu können und nicht als abnormal zu bewerten.
  • Die Fähigkeit, einem Klienten trotz Eskalationssituationen Akzeptanz zu vermitteln.
  • Die Fähigkeit, wach zu sein für die Bedürfnisse der Beteiligten.
  • Das Verfügen über eine klare, einfache Sprache.
  • Die Fähigkeit zuzuhören

 

 

5.6      Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?

Kriseninterventionskonzept: Um in Krisensituationen direkt handeln zu können, ist das Krisenkonzept der Institution ein Qualitätsvorteil. Im Umgang mit solchen Situationen fördert dies rasch, adäquat und im Sinne der Institutionsphilosophie handeln zu können sowie die Zuständigkeit des Personals sowie weiteren externen Fachkräften verinnerlicht zu haben (vgl.Handbuch der Institution). Zeitliche Ressourcen: Das Wissen, als Team frei entscheiden zu können, wie die Situation mit den Klienten nachbesprochen wird, ohne die Stundenansätze der Mitarbeiter im Hinterkopf zu haben, entlastet stark. In dieser Situation war es unabdingbar, dass alle PSA im Gespräch ihre Sichtweisen und Blickwinkel den Klienten darlegen konnten. Personelle Ressourcen: Auszubildende in fordernden Situationen zu begleiten bedingt Zeit sowie den Anspruch, auch mit ihnen die Situation reflektiert nachzubereiten. Dieser Anspruch wird in der Institution angestrebt und konnte nach der beschriebenen Situation umgesetzt werden (vgl. Handbuch der Institution).  

 

 

5.7 Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?

Berufskodex: Ein Grundsatz der Sozialen Arbeit, welcher auch im Berufskodex formuliert wird ist: „Voraussetzungen für das erfüllte Menschsein sind die gegenseitige respektierende Anerkennung des oder der Anderen, die ausgleichend gerechte Kooperation der Menschen untereinander und gerechte Sozialstrukturen (vgl. http://www.avenirsocial.ch/cm_data/Do_Berufskodex_Web_D_ gesch.pdf: 6). In der Sozialen Arbeit sollen Professionelle Beratung und Unterstützung beanspruchen. Der Berufskodex von Avenir Social spricht dabei, „kontinuierlich Intervision, Supervision, Coaching und Fortbildung“ zu nutzen. (http://www.avenirsocial.ch/cm_data/Do_Berufskodex_Web_D_gesch.pdf: 11) Menschenbild im Leitbild der Organisation: Die Grundlage des gegenseitigen Respekts sowie oleranz, prägt die Zusammenarbeit im Team, mit der Klientel sowie das gemeinschaftliche Wohnen. Die pädagogische Erziehung soll eine positive emotionale Beziehungsgestaltung fördern, welche eine klare Haltung, Empathie und Wertschätzung beinhaltet. Durch diese Aspekte kann die Institution Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Die Interessen der Klientel werden dabei gewahrt (vgl. Leitbild der Institution). Humanistisches Menschenbild: Im humanistischen Menschenbild werden Aspekte des Leitbildes der Institution vertiefter behandelt. Die wichtigsten Aussagen von Rogers sind, Autonomie der Individuen anzustreben sowie zu fördern, um Abhängigkeit zu vermindern. Die Bedürfnisse und Wünsche der Individuen sollen dabei respektiert und berücksichtigt werden, um Sinnhaftigkeit sowie Zielorientierung zu erlangen (vgl. Flammer 1996: 101).

In der oben beschriebenen Situation wurde der Gruppe Raum gegeben, den Konflikt in Form eines offenen Gesprächs autonom auszutragen. Die PSA versuchte zwar das Gespräch zu leiten, ein handlungsführender Eingriff der PSA erfolgte jedoch erst an dem Punkt, wo die physische Integrität eines Klienten gefährdet wurde. Das Gespräch nach der Konfliktsituation wurde offen und transparent geführt. Beide Klienten hatten die Möglichkeit, hier noch einmal ihre Standpunkte zu vertreten und die Gefühle mitzuteilen. Die PSA wurde durch die eskalierende Situation verunsichert, es gelang ihr jedoch eigene Emotionen weitgehend zurückzustellen und adäquat zu handeln. In der Nachbesprechung wurde vereinbart, dass Klient D. künftig eine Gesprächstherapie machen wird. Hier war die Konfliktsituation indirekt Anlass zur Einübung neuer Bewältigungsstrategien und konnte erstmals auf der Wohngruppe in dieser Form aufgegriffen werden. Auch mit Klient F. wurde seine Reaktion nachbesprochen und Alternativen im Umgang in der Gruppe aufgezeigt.

Methoden der Gesprächsführung
Mit dem Hintergrundwissen über Gesprächsführungstechniken in der Sozialen Arbeit nach Widulle, hätte die PSA das Gespräch besser strukturieren, die Rollenverteilung unter der Gruppe eher erkennen und eine Eskalation unter Umständen vermeiden können. Bereits in der ersten und zweiten Sequenz, hätte das Wissen über Gesprächsstrukturen in kritisch-konfrontativen Gesprächen und das Bewusstsein über Beziehungsstrukturen in Gesprächen wirkungsvoll verwendet werden können (vgl. Widulle 2012: 70+107). Kommunikationspsychologie Mit dem Hintergrundwissen der Metakommunikation nach Schulz von Thun, wäre es möglich gewesen zu erkennen, um welche Form eines Konflikts es sich handelt. Das Zuordnen der Situation zu einem Sach- oder Beziehungskonflikt, hätte den Verlauf positiv verändern können. Zudem hätte das Ansprechen der beobachteten Gefühle der Klienten, möglicherweise zu einer Klärung vor der Eskalation geführt. In diesem Sinne wäre auch die Metakommunikation, wie sie Schultz von Thun umschreibt, eine mögliche Alternative gewesen, um das Gespräch in der zweiten Sequenz in ruhigere Bahnen zu leiten. Im Vordergrund steht, die gesendeten und empfangenen Botschaften zu entschlüsseln. Dabei soll die Sachinformation von der Beziehungsbotschaft getrennt sowie benennt werden. (vgl. Schulz von Thun 1998: 91-96)

Offene Gesprächskultur
Die PSA hätte in der zweiten Sequenz klar und offen ihre Wahrnehmung der Emotionen der beiden Klienten ansprechen können. Die Transparenz dabei hätte die Diskussion auf die Beziehungsebene der beiden Klienten gelenkt und einen anderen Ausgang der Situation ermöglicht sowie eine Eskalation verhindern können (vgl. Leitbild der Institution).

Aufsplittung der Gruppe
Die Aufsplittung der Gruppe in der zweiten Sequenz und eine Diskussion mit den beiden Hauptbeteiligten, hätte die Situation beruhigen und dazu führen können, dass es zu einer gewaltlosen Lösung der Situation gekommen wäre. Hier ist es nützlich, wenn die PSA ein Hintergrundwissen besitzt über die Rollenverteilung in der Gruppe, mögliche Machtstrategien der Klienten kennt und auf dieses Wissen zurückgreifen kann. Je nach Rollenverteilung in der Gruppe kann es sinnvoller sein, mit den beiden Hauptbeteiligten ein weiteres Gespräch zu führen oder Klient D. von der Gruppe auszugrenzen (vgl. Widulle 2012: 70).

Einbezug einer oder eines weiteren PSA Durch einen frühzeitigen Miteinbezug einer oder eines weiteren PSA wären mehr Ressourcen, Erklärungs- sowie Interventionswissen zur Verfügung gestanden und die Situation hätte möglicherweise entschärft werden können. Zusätzlich kann das Auftreten mehrerer PSA auf die Reaktionen der Klientel wirken.

Positive Verstärkung nach Skinner
Wenn Klient D. im Alltag aktiv positiv bestärkt würde, dann könnte er einen besseren Umgang mit seiner Gewaltbereitschaft erlernen. Durch die regelmässige und wiederkehrende Bearbeitung seiner Gewaltthematik sowie der gleichförmigen positiven Bestärkung in gelungenen Situationen, kann Klient D. andere Handlungsmöglichkeiten ausprobieren (vgl. Asanger/Wenninger 1999: 394). Negative Reaktionen, in dieser Situation Reaktionen welche gewaltbehaftet sind oder werden könnten, werden nicht aktiv mit Konsequenzen bestraft. Es soll versucht werden negative Reize zu entfernen, mit dem Ziel die Auftretenswahrscheinlichkeit eines positiven Verhaltens zu erhöhen. In dieser Situation, wäre die Handlungsalternative Klienten D. aus der Diskussion auszuschliessen, ein Möglichkeit welche die positive Verstärkung nach Skinner unterstützen könnte. Wichtig in der Durchführung dieser beiden Optionen wäre der Hinweis auf den Vorsatz von Klient D., gewaltfreie Tage und Wochen erreichen zu wollen. Da dies sein persönliches Ziel darstellt und er im Begriff ist, dieses aus den Augen zu verlieren (vgl. Bourne/Ekstrand 2005: 136-139).

Anerkennen der Gefühle der Klienten
Wenn Klienten D. sich mit seinem Verhalten auseinandersetzt, kann er seine Schwierigkeit erkennen Hilflosigkeit und Emotionen zu benennen. Dabei kann ihm neben seinen Stärken auch seine Schwächen in Konfliktsituationen bewusst werden. Aufgrund der Reaktionen von anderen Personen, in Situationen in welchen Klienten D. andere Bewältigungsstrategien anwendet, kann er erkennen, dass auch männliche Individuen Schwäche zulassen dürfen. Die PSA kann im Alltag als Unterstützung ihre Wahrnehmungen bezüglich der Emotionen von Klient D. spiegeln, um ihm die Fähigkeit zugänglich zu machen, seine Emotionen zu bennen (vgl. Böhnisch/Funk 2002: 114).

  • AvenirSocial (2010). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz. Ein Argumentatorium für die Praxis der Professionellen. Bern: Professionelle Soziale Arbeit Schweiz.
  • Bourne, Lyle E./Ekstrand, Bruce R. (2005). Einführung in die Psychologie. Frankfurt am Main: Dietmar Klotz.
  • Böhnisch, Lothar/Funk, Heide (2004). Soziale Arbeit und Geschlecht. Theoretische und praktische Orientierungen. Weinheim und München: Juventa Verlag.
  • Hochuli Freund, Ursula/Stotz, Walter (2011). Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit. Ein methodenintegratives Lehrbuch. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH.
  • Flammer, August (1996/ 2004). Entwicklungstheorien. Psychologische Theorien der menschlichen Entwicklung. 3. korrigierte Auflage. Bern: Verlag Hans Hubert.
  • Schulz von Thun, Friedemann (2010). Miteinander reden. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
  • Thiersch, Hans/Grunwald, Klaus (2008). Praxis Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit. Handlungszugänge und Methoden in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Weinheim und München: Juventa Verlag.
  • Widulle, Wolfgang (2012). Gesprächsführung in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Gestaltungshilfen. 2., durchgesehene Aufl. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften/
  • Springer Fachmedien. Lorenz Bader, Nina Hantz, Stefanie Luttringer, Angela Mäder 16

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