Gruppenprozesse begleiten und fördern / Jugendheim

Stichwörter:

Die Situation findet auf einer Wohngruppe für Kinder und Jugendliche statt. Das Sozialpädagogenteam stellt fest, dass unter den Jugendlichen Konflikte vermehrt hinter dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden. Darauf wird eine Gesprächsrunde einberufen, in der die Jugendlichen sich über aktuelle Probleme in der Gruppe äussern. Der Ausgang der Runde wird von den Beteiligten als positiv gewertet. Zwei Wochen später wird das Thema ‘Umgang miteinander’ am gemeinsamen Gruppenabend erneut aufgegriffen. Anwesend sind fünf Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren, nicht anwesend sind zwei weitere Jugendliche der Wohngruppe.

Erste Sequenz: Verweigerung

Der Sozialpädagoge in Ausbildung (SPiA) erklärt den anwesenden Jugendlichen, dass es in diesem Gespräch darum geht, die Gedanken der letzten Gesprächsrunde aufzugreifen und zu schauen, wo die Gruppe aktuell steht. Zwei ältere Jugendliche (J1, J2) ergreifen das Wort und erklären, dass sich die Situation erstens nicht gebessert habe und dass die Runde zweitens keinen Sinn ergebe, weil nicht die ganze Gruppe anwesend sei.

Reflection in Action

Emotion J1, J2: Frustration, weil vorgehendes Gespräch keine subjektive Besserung brachte. Desinteresse am Gespräch in der Gruppe. Hoffnung, durch Verweigerung den Gruppenabend zu beenden.

Emotion SPiA: Frustration, weil nach letztem Gruppengespräch eine positive Fortsetzung erhofft. Ehrgeiz, doch noch etwas aus dem Gepräch zu machen.

Kognition SPiA: Widerstand der Jugendlichen kommt auf. Das Gespräch scheint wichtig, weil aus Sicht des SP-Teams am Gruppengefühl gearbeitet werden soll. Deshalb Beharrung auf die Gesprächsrunde 

 

Zweite Sequenz: Dominanz wortführender Jugendlicher

Der SPiA versucht das Gespräch aufrecht zu erhalten. Er spricht dabei die einzelnen Jugendlichen an und stellt ihnen Fragen zu ihrer Wahrnehmung der Stimmung auf der Wohngruppe. Dabei äussern sich vorwiegend die Jugendlichen J1 und J2. Die restlichen drei Jugendlichen (J3, J4, J5) kommen kaum zu Wort und äussern sich auf Ansprechen des SPiA nur zögernd und knapp über ihre Sichtweisen. Es gelingt deshalb nicht, ein Gespräch zu etablieren, bei dem alle Jugendlichen mitdiskutieren.

Reflection in Action

Emotion J3, J4, J5: Unsicherheit, eigene Meinung zu äussern. Oder Desinteresse am Gruppengespräch. 

Emotion SPiA: Neugier: will die Meinung aller beteiligten Jugendlichen hören. Hoffnung, dass die Meinung von J3/J4/J5 nicht der Verweigerung von J1/J2 folgt. Unsicherheit, weil unklar, warum J3/J4/J5 sich nicht äussern. 

Kognition SPiA: Die Dynamik in der Gruppe verhindert die freie Äusserung. Reaktion des SPiA erzeugt unter Umständen noch mehr Druck, je nachdem, ob J3/J4/J5 sich nicht äussern wollen oder sich nicht getrauen. Die Hemmschwelle zum Mitreden muss gesenkt werden 

 

Dritte Sequenz: Einzelarbeit

Im Gespräch wird von J1 angesprochen, dass im Beruf gemeinsame Ziele eines Teams für die Zusammenarbeit förderlich seien. Der SPiA nimmt dieses Thema auf und will wissen, wie die Ziele denn auf der Wohngruppe aussehen könnten. Dazu sollen sich zuerst alle selbstständig Gedanken machen. Der SPiA verteilt Schreibmaterial und gibt den Jugendlichen dafür fünf Minuten Zeit. J2 weigert sich mit der Begründung, das Ganze sei für sie zu kurzfristig. Der SPiA wünscht sich von ihr, dass sie sich trotzdem Gedanken macht. Die restlichen Jugendlichen beschäftigen sich mit dem Auftrag.

Reflection in Action

Emotion J2: Desinteresse. Verärgerung darüber, dass die Runde entgegen ihrem Bedürfnis fortgesetzt wird. Eventuell Unter- oder Überforderung.

Emotion J3, J4, J5: Bereitschaft, sich Gedanken zu ihren Zielen zu machen. 

Emotion SPiA: Erleichterung darüber, dass Bewegung in die Runde kommt. Erfreut, dass vier der fünf Jugendlichen mitmachen. Ärger darüber, dass J2 noch immer verweigert. Unsicherheit, ob J2 mit mehr Nachdruck aufgefordert werden soll.

Kognition SPiA: Durch die Aufspaltung sollte der Druck gelöst werden, erneuter Druck könnte nun destruktiv sein.

 

Vierte Sequenz: Gemeinsame Besprechung

Die Gruppe kommt wieder zusammen. J1 stellt ihr Ziel als erstes vor. J3 & J4 geben zu erkennen, dass sie die Aufgabe wohl falsch verstanden hätten. J2 äussert ebenfalls ihre Gedanken. Der SPiA fasst die Ziele zusammen und bittet die Jugendlichen, damit Plakate zu gestalten, die auf der Wohnung präsentiert werden können. Alle Jugendlichen beteiligen sich an der Gestaltung.

Reflection in Action

Emotion J1/J2/J5: evtl Stolz, einen Beitrag geleistet zu haben. Teilweise zufrieden damit, dass die Gesprächsrunde beendet ist.

Emotion J3/J4: Gedämpfte Motivation, weil weniger zum Gruppenergebnis beigetragen.

Emotion SPiA: Verärgerung darüber, den Auftag nicht klar erklärt zu haben. Freude darüber, dass die Gruppe ein Ergebnis erzielt hat. Zufriedenheit, weil die Aufteilung der Gruppe einen positiven Effekt erzielte.

Kognition SPiA: Weiteres Gruppengespräch wird als sinnvoll erachtet, muss aber sorgfältig vorbereitet werden.

 Weitere Sequenzen

Reflection in Action

Emotion Klient/in: …

Emotion Professionelle/r: …

Kognition Professionelle/r: …

5.1      Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?

  • Gruppenprozess: Nach dem Modell von Tuckman (1965, vgl. Gollwitzer 2006: 196) durchläuft eine Kleingruppe in ihrer Zusammenarbeit verschiedene Phasen. In der Phase Forming sind das Kennenlernen und die gegenseitige Orientierung die zentralen Themen. Die Storming-Phase dreht sich um das Aushandeln von gemeinsamen Zielen und Normen, von Rollenverteilungen und gegenseitigen Erwartungen. Diese Aushandlungen kommen in der Phase Norming zu einem Abschluss, wobei eine gemeinsame Gruppenidentität entsteht. Auf deren Basis wird in der Phase Performing ein produktives Arbeiten an den gemeinsamen Zielen ermöglicht. Die Phase Adjourning beinhaltet schliesslich die Beendigung der Gruppenstruktur. Die häufigen Wechsel auf der Wohngruppe führen dazu, dass die Aushandlungsprozesse um gemeinsame Normen und Ziele und auch um die Rollenverteilung stets neu geführt werden müssen. Deshalb gestaltet sich die Erreichung der Performingphase als äusserst schwierig. Unklarheit über gegenseitige Erwartungen und die Abwesenheit eines gemeinsamen Zieles wirken auf die Gruppenmitglieder verunsichernd und erschweren die produktive Zusammenarbeit.
  • Unfreiwilligkeit: Die Koproduktion ist ein zentrales Strukturmerkmal der Sozialen Arbeit: „Ohne Zutun des Klienten kann (…) kein befriedigendes Ergebnis erzielt werden.“ (Hochuli Freund/Stotz 2011: 54) Dies setzt Kooperation voraus, die „gemeinsame Ausrichtung des Handelns auf ein Ziel“ (ebd.:54). Insbesondere wenn die Mitwirkung der Klienten nicht auf freiwilliger Basis erfolgt, kann die Kooperationsbereitschaft nicht als gegeben erachtet werden, sondern muss zuerst erarbeitet werden (ebd.: 55). Dabei gibt es keine Garantie auf Erfolg, mit der Verweigerung der Klienten muss gerechnet werden (ebd.:55). Der Eintritt in die Wohngruppe erfolgt nur selten freiwillig, dies trifft auch auf die Jugendlichen der erläuterten Situation zu. Ihre Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an der Gesprächsrunde ist deshalb nicht als gegeben zu sehen. Dazu kommt die Tatsache, dass der Rahmen und der Inhalt des Gesprächs teilweise vorgegeben ist. Das Ziel der Sozialpädagogen entspricht daher nicht unbedingt dem Ziel der Jugendlichen. Die fehlende Kooperationsbereitschaft der Jugendlichen könnten eine Folge dieser Unfreiwilligkeit sein.
  • Sozialer Einfluss Ein Aspekt sozialer Vergleichsprozesse ist die Annahme des Validierungsbedürfnisses, also des Bedürfnisses von Menschen, möglichst korrekte Fähigkeiten und Meinungen zu haben. Die Validierung dieser Korrektheit beruht auf dem Vergleich mit anderen Menschen. Je mehr Personen die eigene Meinung teilen, desto sicherer ist man sich über deren Richtigkeit (vgl. Gollwitzer 2006: 24). Dies kann zu einem Uniformitätsdruck führen, unter welchem Individuen entweder versuchen, die Gruppenmeinung aktiv zu beeinflussen oder aber ihre eigene Meinung der vorherrschenden Gruppenmeinung anpassen (ebd.: 25). Die Einflussstärke eines sozialen Konformitätsdrucks hängt neben situativen Variablen auch von personalen Variablen ab. Asch (1951) führte zu deren Unterscheidung vier Kategorien von Persönlichkeiten ein: selbstsicher-unabhängige, unsicher-unabhängige, wahrnehmungskonforme und urteilskonforme Personen. Während Personen der unabhängigen Kategorien zu ihrer persönlichen Meinung stehen, passen Personen der konformen Kategorien ihre Meinung der Gruppenmeinung an. Von Asch durchgeführte Untersuchungen zeigen die starke Beeinflussbarkeit von Menschen durch die Meinung anderer (vgl. Gollwitzer 2006: 139). Bewertungsangst kann dazu führen, dass bereits die Anwesenheit anderer Personen das eigene Verhalten beeinflusst, was dann je nach Situation sowohl zu sozialer Erleichterung, aber insbesondere auch zu sozialer Hemmung führen kann (vgl. ebd.: 190). Die Schlüsselsituation zeigt deutlich den Einfluss der Gruppe auf das Verhalten der einzelnen Jugendlichen. So ist zum einen eine Hemmung der Jugendlichen J3/J4/J5 zu beobachten, sich innerhalb der Gruppe zu äussern. Dieser Hemmung kann durch die Einzelarbeit entgegen gewirkt werden. Andererseits zeigt sich der Einfluss der Konformität: während die anfänglich negativen Äusserungen die Mitarbeit aller Gruppenmitglieder beeinflussen, lassen sich die Jugendlichen später von einer positiv geprägten Stimmung motivieren.

 

5.2      Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?

  • Gruppenprozess steuern: Je nach Phase, in welcher sich die Gruppe in ihrem Prozess befindet (vgl. Erklärungwissen), verändern sich die Aufgaben der Fachperson massgeblich. Während der Gruppe in der Performing-Phase idealerweise möglichst viel Freiraum gelassen wird, nimmt die Fachperson in den vorherigen Phasen eine aktivere Rolle ein. In der Forming-Phase soll der Gruppe ermöglicht werden, sich gegenseitig kennenlernen zu können. Dies kann durch die Fachperson mit einen geeigneten Rahmen gefördert werden, beispielsweise durch gemeinsame Aktivitäten oder durch Kennenlernspiele. In der Storming-Phase treffen die individuellen Bedürfnisse und Erwartungen der Gruppenmitglieder aufeinander. Aufgabe der Fachperson ist es, diese Konfikte zu ermöglichen, sie aber auch in einen konstruktiven Rahmen zu setzen. Unbeachtete Bedürfnisse können dazu führen, dass unzufriedene Gruppenmitglieder die Performanz der Gruppe später negativ beeinflussen. Es ist also insbesondere darauf zu achten, dass alle Gruppenmitglieder ihre Bedürfnisse einbringen können und dass diese in der Norming-Phase angemessen berücksichtigt werden. In der vorliegenden Situation befindet sich die Gruppe in der Phase des Stormings oder des Normings. Dem SPiA ist es deshalb ein wichtiges Anliegen, dass alle Gruppenmitglieder sich mitteilen. Da die erhofften Wortäusserungen durch persönliche Aufforderungen nicht zustande kommen, bringt der SPiA mit der Einzelarbeit eine alternative Möglichkeit ein, mit der die Meinung aller Gruppenmitglieder eingeholt werden kann.
  • Kooperationsbereitschaft erarbeiten: Voraussetzung für ein konstruktives Gespräch ist die Bereitschaft aller Beteiligter, sich einzubringen. Diese Kooperationsbereitschaft kann allerdings wie erwähnt nicht als gegeben betrachtet werden, sondern muss zuerst aufgebaut werden. „Es kommt darauf an Vertrauen zu gewinnen und den Willen zur Veränderung erst zu wecken.“ (Thiersch 2002, zit. in Hochuli Freund/Stotz 2011: 55) In der vorliegenden Schlüsselsituation darf der SPiA die Bereitschaft zum Mitreden also nicht als selbstverständlich erwarten. Vielmehr muss sie sich bewusst sein, dass der Aufenthalt und die Teilnahme der Jugendlichen am Gespräch nicht freiwillig erfolgt. Die Bereitschaft zur Kooperation muss aufgebaut und ein gemeinsames Ziel erarbeitet werden. Dies lässt sich nicht erreichen, wenn die Vorgaben des SPiA strikt umzusetzen versucht werden. Vielmehr ist es wichtig, auf Inputs und Bedürfnisse der Jugendlichen einzugehen und dadurch dem Gespräch eine gewisse Flexibilität zu erlauben mit dem Ziel, eine gemeinsame Stossrichtung zu erreichen.
  • Gesprächsführung: Im Gruppengespräch der Jugendlichen nimmt der SPiA eine gesprächsführende Rolle ein. Dies bringt Verantwortungen mit sich: die Gestaltung des Gesprächsrahmens (Widulle 2012: 65ff) und die Steuerung der Gesprächsstruktur (ebd.: 73ff), die Beachtung nonverbaler Kommunikation (ebd.: 23ff) und die Anwendung entsprechender Metakommunikation (ebd.: 113ff) sowie der angemessene Einbezug aller am Gespräch beteiligten Personen. In der Schlüsselsituation kommt insbesondere der nonverbalen Kommunikation ein grosses Gewicht zu. Einerseits kann die nonverbale Kommunikation der Jugendlichen Aufschluss über ihr Befinden und über ihre Gesprächsbereitschaft bieten, worauf der SPiA entsprechend reagieren sollte. Andererseits muss sich der SPiA über die Wirkung ihrer eigenen nonverbalen Kommunikation bewusst sein und diese gezielt einsetzen.
  • Gruppendynamik beachten: Der soziale Einfluss der Gruppe auf einzelne Jugendliche bedarf der Beachtung durch den SPiA. Um ein optimales Ergebnis der Gruppenleistung zu erreichen, sollten negative Tendenzen (Stichwort groupthink) unterbrochen werden. Gleichzeitig können die Effekte des sozialen Einflusses dazu genutzt werden, einzelne Jugendliche zur Mitarbeit zu motivieren.

 

5.3      Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?

  • Kooperationsbereitschaft: Die eigene Erfahrung im Bereich der freiwilligen Jugendarbeit zeigt, dass vermittelnde Gespräche nur dann möglich sind, wenn alle Parteien an einer gemeinsamen Lösung interessiert sind. Ohne Kooperationsbereitschaft nützt die beste Gesprächsführung nur wenig, insbesondere, wenn die Themen von aussen eingebracht werden. Die Motivation der Individuen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass gemeinsam gearbeitet werden kann und ist nach Möglichkeit zuerst zu wecken. 
  • Wichtigkeit der Moderation: Gerade beim Behandeln anspruchsvoller und konfliktbehafteter Themen ist eine Moderation durch eine neutrale Person wichtig. Durch eine klare Struktur und durch Gesprächsregeln kann der Dominanz einzelner Personen entgegen gewirkt werden und sicher gestellt werden, dass die Anliegen aller Beteiligten berücksichtigt werden. 
  • Beziehungsaspekte: Der Einfluss der zwischenmenschlichen Aspekte auf ein Gespräch ist nicht zu vernachlässigen. Oftmals sind Beziehungsaspekte gewichtiger als die inhaltlichen Aspekte eines Gesprächs. Die Klärung von Beziehungskonflikten sollte deshalb angestrebt werden. 
  • Gemeinsame Erlebnisse: Gemeinsame Erlebnisse, welche in positiver Erinnerung bleiben, stärken das Gefühl einer Gruppe. Dies können auf Spass beruhende Erlebnisse sein als auch die erfolgreiche gemeinsame Bewältigung von Herausforderungen.

 

5.4      Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?

  • Durchgangsheim für Kinder & Jugendliche: Die Gruppenkonstellation wechselt häufig und in den meisten Fällen kurzfristig. Daraus ergeben sich Herausforderungen für den Gruppenprozess.
  • Freiwilligkeit: Der Aufenthalt der Jugendlichen ist in den meisten Fällen unfreiwillig und basiert auf einem elterlichen Obhutsentzug. Dies hat Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft. 
  • Gruppenklima: das Sozialpädagogenteam ist um ein angenehmes Klima auf der Gruppe bemüht. Konflikte sollen konstruktiv gelöst und ein gemeinsames Gruppengefühl gefördert werden.
  • Alter der Jugendlichen: Das Alter der Jugendlichen unterscheidet sich zum Teil stark, dadurch unterscheiden sich auch die Interessen und die Erwartungen an die Gruppe. Es sind sowohl die individuellen Bedürfnisse als auch das Bedürfnis der Gruppe zu berücksichtigen. Daraus einen gemeinsamen Nenner abzuleiten, erweist sich nicht immer als einfach. 
  • SPiA als Teammitglied: Die Ziele und das Handeln des SPiA wird beeinflusst durch eigene Interessen und Haltungen, durch ebensolche des Teams und durch das Leitbild der Institution.

 

5.5      Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?

  • Grundlagen der Kommunikation, beispielsweise Kenntnisse über die nonverbale Kommunikation.
  • Gesprächsführung: Strukturierung eines Gesprächs, Zielausrichtung, Einflüsse auf ein Gespräch.
  • Führung eines Gruppengespräches: Kenntnisse über die Besonderheiten eines Gruppengespräches.
  • System- & Gruppenbezogene Methoden Sozialer Arbeit.
  • Situatives Handeln: Reaktion auf aktuelles Geschehen in der Gruppe.
  • Angemessene Zurückhaltung, damit Gruppe ihren Prozess möglichst selbständig durchlaufen kann.
  • Aufbau einer Bereitschaft zur Kooperation.
  • Analyse der Gruppendynamik als Voraussetzung für adäquates Handeln.

 

5.6      Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?

  • Eigenes Arbeitspensum: die Anwesenheit des SPiA auf der Gruppe ist durch das Arbeitspensum beschränkt. Dies betrifft sowohl mein Erleben der Gruppengeschehnisse als auch meine Einflussmöglichkeiten. Eine enge Zusammenarbeit im Sozialpädagogenteam (Informationsaustausch) ist deshalb wichtig. 
  • Gruppenabend: für die Jugendlichen findet alle zwei Wochen ein Gruppenabend statt. Dieser Abend ermöglicht gemeinsame Erlebnisse als auch Gespräche in der Gruppe. 
  • Teamsitzungen: der Austausch im Sozialpädagogenteam findet in wöchentlichen Teamsitzungen statt. Während dieser Sitzungen werden Informationen ausgetauscht und gemeinsame Haltungen besprochen. Weiter werden auch Themen und Ideen für den gemeinsamen Gruppenabend erarbeitet, welche dann als Rahmen für dessen Gestaltung dienen. 
  • Andere Mitarbeitende: am Gruppenabend sind üblicherweise zwei oder drei Sozialpädagogen anwesend. Gemeinsame Unterstützung im Team und der Einsatz individueller Fähigkeiten und Stärken können eingesetzt werden. 
  • Infrastuktur: Die Wohngruppe bietet Räumlichkeiten, ist aber keine geschlossene Institution. Dadurch sind auch Gruppenerlebnisse ausserhalb des Heimes möglich.

 

5.7      Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?

  • Ziele des Teams: Neben der individuell angepassten Betreuung der Jugendlichen ist es dem Sozialpädagogenteam auch ein Anliegen, dass die Jugendlichen ein Teil der Gruppe werden und aktiv am Gruppengeschehen teilhaben. Ziel ist dabei, dadurch die Entwicklung sozialer Kompetenzen der Jugendlichen zu ermöglichen. Der Gruppenprozess wird deshalb aktiv gefördert.
  • Obligatorischer Rahmen: Der Gruppenprozess wird einerseits gefördert mit einem Aktiviätenangebot, welches zur Teilhabe an der Gruppe anregen soll. Dem Bedürfnis der Jugendlichen nach Interaktion mit Peers wird damit Rechnung getragen. Andererseits bestimmt das Team einen gewissen Rahmen (beispielsweise der obligatorische Gruppenabend), mit welchem auch in die Autonomie der Jugendlichen eingegriffen wird. In diesem Rahmen können Themen eingebracht werden, deren Bearbeitung das Sozialpädagogenteam im Sinne des Gruppenprozess als wichtig erachtet. 
  • Bedürnisse der Jugendlichen: Innerhalb des obligatorischen Rahmens ist das Team darum bemüht, den Jugendlichen möglichst grosse Freiheit zu lassen. Nach dem Prinzip der Partizipation werden sie angeregt, ihre eigenen Themen und Aktivitätenvorschläge umzusetzen. Dabei muss immer wieder in Kompromiss zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Jugendlichen und deren der Gruppe gefunden werden.  
  • Beschränkte Freiwilligkeit: Partizipation: Durch die Ziele des Sozialpädagogenteams ist Autonomie der Jugendlichen: die Kooperationsgemeinschaft kann nicht erzwungen werden. Gleichzeitig ist der Rahmen obligatorisch. Innerhalb dieses Rahmen wird auf die Partizipation der Jugendlichen gesetzt, ihnen soll Freiraum zum Behandeln eigener Themen gegeben werden. 
  • Umgang mit Konflikten: Als Voraussetzung für ein harmonischen Gruppengeschehen (soweit dies überhaupt möglich ist) sehen die Sozialpädagogen nicht die Abwesenheit von Konflikten, sondern einen konstruktiven Umgang damit. Dieser soll im Rahmen des Gruppenprozesses gefördert werden, wobei auch der persönliche Fortschritt der Jugendlichen eine wichtige Rolle spielt. Unter dem Aspekt, dass ein zu starkes Wir-Gefühl auch schädlich sein kann für die Gruppe (Stichwort „groupthink“), wird eine offene Kommunikations- und Diskussionskultur angestrebt. Dabei beschränkt sich das Ziel einer solchen Kultur nicht nur auf die Jugendliche, sondern bezieht auch die Sozialpädagogen mit ein.
  1. Gruppenprozess: Der SPiA weiss über Gruppenprozesse Bescheid, ist sich jedoch zum Zeitpunkt der Situation deren Relevanz nicht bewusst. Der Gesprächsrahmen wird deshalb nicht explizit nach den Kriterien des Gruppenprozesses gestaltet und auch nicht bewusst in einen längerfristigen Rahmen eingebettet. Als Folge löst das stockende Gespräch beim SPiA Frustration aus. 
  2. Bedürfnisse der Jugendlichen: Der Rahmen des Gesprächs wird als verbindlich betrachtet, dem Bedürfnis der Jugendlichen nach Rückzug wird daher bewusst keine Rechnung getragen. Andererseits gelingt es dem SPiA, innerhalb dieses Rahmens auf die Inputs der Jugendlichen einzugehen und den geplanten Gesprächsverlauf flexibel anzupassen. Dies scheint sich positiv auf die Kooperationsbereitschaft auszuwirken: durch Beständigkeit wird das Gespräch nicht abgebrochen, sondern ein Weg gefunden, das Interesse der Jugendlichen zu wecken. 
  3. Individuelle Ressourcen: Vom SPiA wird erwartet, dass sich alle Jugendlichen gleichwertig am Gespräch beteiligen. Jedoch ist er sich zum Zeitpunkt des Gesprächs nicht bewusst, dass dies durch verschiedene persönliche Aspekte (Altersunterschied, verschiedene Konfliktmuster, etc) stark erschwert wird. So darf beispielsweise nicht vorausgesetzt werden, dass sich die jüngeren Jugendlichen ohne Weiteres getrauen, sich gegenüber den deutlich älteren Jugendlichen kritisch zu äussern. Darauf nimmt der SPiA in der Situation kaum Rücksicht. Stattdessen versucht er, durch direkte Aufforderung zur Meinungsäusserung altersbedingte und rollenspezifische Zurückhaltung aufzubrechen, was jedoch nicht funktioniert, sondern allenfalls Druck bei den Betroffenen auslöst.
  4. Gesprächsführung: Das Gespräch verläuft zu Beginn harzig, sowohl inhaltlich als auch in der Beteiligung der Jugendlichen. Der SPiA nimmt daher eine aktive Führungsrolle ein und versucht, das Thema vorwärts zu bringen und alle Beteiligten miteinzubeziehen. Als das Gespräch mit dem Eingehen auf die Inputs der Jugendlichen zu laufen beginnt, zieht sich der SPiA zurück und lässt zum Schluss des Abends die Jugendlichen vorwiegend selbstständig arbeiten. Die Gesprächsführung wurde also der Situation angepasst wahrgenommen, der SPiA übernahm dort die Führung, wo er es für das Gespräch als wichtig erachtete und liess da Freiraum, wo es auch das Gruppenprozessmodell verlangt.
  5. Beteiligung: Sich aktiv am Gespräch zu beteiligen, widerläuft möglicherweise dem Bedürfnis einzelner Jugendlicher. Gleichzeitig erachtet es der SPiA als wichtig, dass alle in das Gespräch mit einbezogen werden. Der Miteinbezug durch konkretes Ansprechen gelingt nicht, die Beteiligung kann so nicht etabliert werden, weshalb der SPiA zur Einzelarbeit übergeht. Durch den unklaren Auftrag ermöglicht es jedoch auch die Einzelarbeit nicht, dass sich schliesslich alle zum Thema äussern. So sehr sich der SPiA auch darum bemüht, dass sich alle einbringen, ist die Wirksamkeit dieser Bemühung beschränkt. Wichtig ist hingegen, einen Rahmen zu schaffen, der die Beteiligung der Jugendlichen ermöglicht und fördert.
  6. Selbstwirksam: Die Wortmeldungen der Jugendlichen werden ernstgenommen und auf ihre Bedürfnisse wird innerhalb des vorhandenen Rahmens eingegangen. Den Jugendlichen wird also ermöglicht, das Gespräch mitzugestalten. Das zum Schluss erreichte Ziel geht massgeblich auf die Beteiligung der Jugendlichen zurück. Einzig der unklare Arbeitsauftrag führte dazu, dass nicht alle Jugendlichen gleich viel zu den gefundenen Zielen beitragen konnten. 
  7. Gruppengefühl: Das gemeinsame Erarbeiten der Gruppenziele führte zu einem positiven Schlussergebnis der Gesprächsrunde. Selbes Gefühl bestand jedoch bereits zum Schluss des Gruppenabends zwei Wochen zuvor. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass ein positives Gruppengefühl definitv erreicht worden ist, viel mehr braucht dieser Prozess viel Zeit und zahlreiche positive Erlebnisse
  • Das Gespräch bewusst als Schritt im Gruppenprozess planen. Mit dem Wissen über die Bedeutung des Gruppenprozesses wird das Gespräch in einen neuen Kontext gesehen. Daher gilt es, vor dem Gespräch Klarheit darüber zu erlangen, welchen Stand die Gruppe im Prozessmodell hat und den Rahmen und die Gesprächsführung entsprechend vorzubereiten. Im Kontext der Wohngruppe mit häufigen Bewohnerwechseln wird sich der Prozess häufig im Stadium vor der Performanz-Phase abspielen. Anstatt produktiv an Zielen arbeiten zu wollen, soll stattdessen viel Zeit für gegenseitiges Kennenlernen und den Austausch von Erwartungen und Bedürfnissen verwendet werden, damit jeweils auch Neuzugänge in den Gruppenprozess integriert werden können. Dies hätte in der Situation durch weniger Druck auf inhaltliches Vorwärtskommen berücksichtigt werden können.
  • Sozialen Einfluss und persönliche Ressourcen berücksichtigen. Der SPiA muss sich bereits vor dem Gespräch Gedanken darüber machen, welche Rolle der soziale Einfluss und die Stimmung auf der Gruppe für die Beteiligung der einzelnen Jugendlichen spielt. Weiter haben auch die persönlichen Ressourcen der Jugendlichen einen Einfluss, der berücksichtigt werden muss. Eine Beteiligung kann nicht erzwungen werden. Stattdessen muss darauf geachtet werden, welche sozialen und persönlichen Aspekte die Beteiligung fördern. Diese müssen genutzt und verstärkt werden. Andererseits gilt es, sich über die für die Beteiligung hinderlichen Aspekte bewusst zu sein und Gestaltungsmöglichkeiten anzuwenden, diese Behinderungen zu aufzubrechen. In der Situation wäre es beispielsweise möglich gewesen, bereits zu Beginn eine Einzel- oder Zweierarbeit durchzuführen, bei der die Jugendlichen ihre Gedanken verschriftlichen. Dies hätte die Hürde zur anschliessenden Einbringung der persönlichen Meinung in die Gruppe herab gesetzt. 
  • Transparenz zum Gesprächsrahmen herstellen. Den Jugendlichen soll aufgezeigt werden, aus welchen Gründen das Gespräch obligatorisch ist und welche Ziele der SPiA damit verfolgt. Der Wunsch nach aktiver Beteiligung aller muss geäussert und begründet werden. Weiter kann es auch hilfreich sein, die Jugendlichen die Theorien des Gruppenprozesses und der sozialen Einflüsse näher zu bringen. Mit einfachen Modellen und spielerischen Experimenten kann ein Bewusstsein über die persönliche Rolle in der Gruppe geweckt werden und es können Möglichkeiten geschaffen werden, neue Verhaltens- und Rollenmuster auszuprobieren. In der Situation hätte es geholfen, wenn der SPiA sich zu Beginn des Gespräches die Zeit genommen hätte, die erwähnte Transparenz zu schaffen und damit die Jugendlichen abzuholen.
  • Asch, Solomon E. (1955): Opinions and social pressure. In: Scientific American, Ausgabe 193, S. 31-35. San Francisco: W. H. Freeman And Company.
  • Hochuli Freund, Ursula/Stotz, Walter (2011): Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit. Ein methodenintegratives Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Gollwitzer, Mario/Schmitt, Manfred (2006): Sozialpsychologie. Workbook. Weinheim: Beltz Verlag.
  • Widulle, Wolfgang (2012): Gesprächsführung in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Gestaltungshilfen. 2., durchgesehene Auflage. Wiesbaden: Springer VS.

Schreiben Sie einen Kommentar

Close Menu