5.1 Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?
Verhaltensstörung
Verhaltensstörungen sind nach Myschker/Stein zu definieren als negativ auffallendes Fehlverhalten, das sich von geltenden Normen unterscheidet und “pädagogisch-therapeutische Interventionen notwendig macht und gerade wegen dieser Notwendigkeit das Signalwort Verhaltensstörung braucht” (2014: 49). Zudem ist eine Verhaltensstörung Ausdruck einer andauernden Krisenkonstellation, welche von der betroffenen Person ohne externe Unterstützung nicht oder nicht zulänglich überwunden werden kann (vgl. ebd.).
Die extreme Sensibilität und Gereiztheit der K kann als Verhaltensstörung definiert werden, denn ähnliches Verhalten trifft bei ihr regelmässig in Situationen auf, an denen sie überfordert ist. Die übermässig emotionalen Reaktionen auf Äusserungen des PSA sowie des neuen Jugendlichen und das Gefühl, sich angegriffen zu fühlen, sind Äusserungen innerer Überforderung und Not. Die K hat nicht gelernt, anders mit für sie belastbaren und konfliktreichen Situationen umzugehen, als in die Offensive zu gehen, besonders, wenn sie sich in die Ecke gedrängt fühlt.
Risiken bei der Bindungsentwicklung
Nach Hoffmann und Castello wird “Bindung” als die “besondere Beziehung eines Kindes zu seinen primären Bezugspersonen verstanden. Bindung verbindet das Individuum mit seiner Bezugsperson über Raum und Zeit hinweg.” (2014: 9). Bei der Festigung von Bindungen spielt Kontinuität eine grosse Rolle, denn jedes Kind versucht in späteren Beziehungen, die gesammelten Erfahrungen anzuwenden (vgl. ebd.: 14). Ohne “Unterstützung, Halt, Geborgenheit und Wärme von den Eltern” (ebd.) macht das Kind die Erfahrung, problematische Situationen alleine bewältigen zu müssen und wird eher dazu neigen, Situationen der Zurückweisung von Bezugspersonen zu vermeiden, indem es unter anderem Interaktionen umgeht (vgl. ebd.).
Den biografischen Informationen aus den Fallakten, über die der PSA verfügt, lässt sich entnehmen, dass die K als Kind mehrfache Beziehungsabbrüche und Enttäuschungen von den Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen erlebte. Es kann somit davon ausgehen werden, dass diese (traumatischen) Erfahrungen sich auf die Bindungs- und Beziehungsmuster der K auswirken, welche den PSA in der Vergangenheit des Öfteren ignorierte, sobald eine konflikthafte Situation zwischen den beiden entstand. Auch in der Essenssituation zeigt sich die Bindungsproblematik durch das aggressive Verhalten der K, als Zeichen der Abstossung des PSA, welcher sich gegen sie stellt und ihr Beziehungsmuster der Enttäuschung bestätigt.
Aggressives Verhalten
Aggression lässt sich definieren als «jene dem Menschen innewohnende Disposition und Energie (…), die sich ursprünglich in Aktivität und später in den verschiedensten individuellen und kollektiven, sozial gelernten und sozial vermittelten Formen von Selbstbehauptung bis zur Grausamkeit ausdrückt» (Hacker o.J., zit. nach Merten 2016: 12). Immer, wenn wir unseren Standpunkt durchsetzen, sind wir nach Merten aggressiv, es ist somit eine Fähigkeit, das eigene Selbstkonzept durchzusetzen. Auch die Fähigkeit zum Mord ist uns grundsätzlich inne (vgl. ebd.).
Die K versucht somit also, sich durch aggressives Verhalten auszudrücken und ihren Standpunkt zu vertreten, wobei sie durch fehlende Anerkennung ihrer Anliegen immer extremeres Verhalten aufzeigt. Dies geht soweit, dass sie dem neuen Mitbewohner sogar mit dem Tode droht, was vom PSA ernst genommen werden und mit einer deutlichen Reaktion begegnet werden muss.
Konflikt
Konflikte sind Differenzen zwischen einem Ist- und Sollzustand (vgl. Merten 2016: 10). Sie sind häufig Grundlage für Veränderung, jede Interaktion kann sich zu einem Konflikt entwickeln (vgl. ebd.: 51). Dies macht sie herausfordernd. Ursprung von Konflikten ist das unbefriedigte Bedürfnis nach Anerkennung, Akzeptanz, Autonomie, Verständnis, Zuwendung, Entfaltung, Selbstbestimmung oder Partizipation (vgl. ebd.: 56). Unter einem «heissen Konflikt» versteht sich eine mit viel Engagement ausgefochtene Auseinandersetzung, es wird Reibung und Konfrontation gesucht (vgl. ebd.: 79). Es geht darum, Anhänger zu gewinnen, es ist ein offener Schlagabtausch und alle Mittel sind Recht, es herrschen Überlegenheitsgefühle (vgl. ebd.: 80). Eine mögliche Bearbeitung ist, Rationalität in den heissen Konflikt zu bringen (vgl. ebd.: 92).
Der Konflikt, der zwischen der K und dem neuen Jugendlichen herrscht, wird auch zum Konflikt des PSA, denn dieser muss sich auf die Seite des Angegriffenen stellen. Er versucht, den Konflikt mit Rationalität zu bewältigen, bevor er zur Eskalation kommt. Jedoch ist der heisse Konflikt bereits so fortgeschritten, dass dies fehlschlägt, was sich in der Weise, wie die K die restliche Gruppe gegen ihren “Feind” mobilisiert und in der Art, wie sie die Konfrontation sucht, zeigt. Die K fühlt sich vom PSA nicht ernst genommen, somit sind ihre Bedürfnisse, vor allem nach Anerkennung, Akzeptanz, Verständnis und Zuwendung unbefriedigend abgedeckt, was sich in ihrem Vorwurf äussert, der PSA verteidige nur den neuen Jugendlichen. Von diesem fühlt sich die K zudem in ihrer Entfaltung und Autonomie eingeschränkt, da er viel Platz in der Gruppe einnimmt und ihr oft widerspricht.
5.2 Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?
Intervention
Im engeren Sinne sind Interventionen definiert als die Entwicklung und Realisierung von umfassenden Handlungsplänen aufgrund einer Analyse bzw. Diagnose und in Ausrichtung auf Ziele. Dabei lässt sich zwischen Planung und Umsetzung der Intervention unterscheiden (vgl. Hochuli/Stotz 2015: 271).
Der PSA ist in die Bezugspersonenarbeit mit der K eingebunden, wozu die Interventionsplanung und – Durchführung im Team gehört. Der PSA verfügt deshalb über Hintergrundwissen, welche Interventionen bei der K besonders wirksam sind oder in der Vergangenheit erfolgreich angewandt wurden und welche Ziele damit jeweils verfolgt werden.
Lerntheoretischer Ansatz
Aufgrund des lerntheoretischen Ansatzes soll durch systematische Verstärkung von erwünschtem bzw. Löschung von unerwünschtem Verhalten eine Verhaltensänderung erzielt werden. Es handelt sich um ein bedeutsames Konzept zur Bearbeitung von Verhaltensstörungen in der klassischen Pädagogik sowie auch in der Sozialpädagogik (vgl. Myschker/Stein 2014: 234). Wichtig dabei ist jeweils, dass eine “Kontigenz” besteht – ein Zusammenhang oder auch “Wenn-Dann-Beziehung” zwischen dem eigenen Verhalten und der Konsequenz (Müller Fritschti 2016: 2).
Dem PSA ist bewusst, dass die übermässige Emotionalität der K ein Versuch ist, Aufmerksamkeit und Bestätigung zu erhalten. Da ihr Verhalten sich dabei negativ gegen eine Drittperson richtet, versucht der PSA, ihr so lange wie möglich durch Ignorieren oder Nicht-Reagieren, dieses Verhalten abzugewöhnen bzw. nicht zu belohnen. Damit versucht er, ihr soziale Anerkennung für ihre Handlungen zu entziehen, welche eine positive Konsequenz darstellen würde. Dies gelingt jedoch nicht, denn die K erhält von der restlichen Gruppe die erwünschte positive Rückmeldung, zudem ist die Beziehung zum PSA nicht stark genug, sodass seine Reaktion die schwächere Wirkung aufweist. Die “Machtdemonstration” des PSA stellt eine starke negative Konsequenz oder auch Bestrafung dar, wodurch die K lernen soll, keine Drohungen auszusprechen, zumindest nicht in Anwesenheit des PSA.
Pädagogisch-therapeutischer Ansatz
Grundbedingung sozialpädagogischer Interventionen mit Kindern und Jugendlichen, welche unter Verhaltensstörungen leiden, ist eine enge Beziehung zu den PSA. (vgl. Myschker/Stein 2014: 249). Moderne Bindungsforschung belegt wissenschaftlich, dass viele Minderjährige «mit sozial-emotionalen Störungen negative, schmerzliche Bindungserfahrungen und ein unsicheres (…) Bindungsmuster entwickelt haben und neue, positive Bindungserfahrungen machen müssen, sollen sie die belastenden Bindungsmuster verändern und (…) ihre Störungen überwinden können» (Myschker/Stein 2014: 249-250). Um ein bindungsförderliches Verhältnis herzustellen, müssen sich die PSA auf aktuelle Möglichkeiten bzw. Ressourcen der Klientel einlassen, welche von situativen Bedingungen abhängig sind. (vgl. ebd.: 250).
Da es noch nicht gelungen ist, eine genügend stabile Beziehung zwischen dem PSA und der K herzustellen, und diese an starken Bindungsstörungen leidet, gelingt es dem PSA nicht, die K mit seinen Interventionen zu erreichen. So bleiben Versuche, ihr durch verbale Interventionen die Anspannung zu nehmen und durch “Einreden” zu verhindern, dass sie völlig die Kontrolle verliert, erfolglos. Danach gibt der PSA der K jedoch klar zu verstehen, dass er sie trotz ihres fehlbaren Verhaltens als Person schätzt und versucht somit, die Beziehungsarbeit voranzubringen und ihr beim Aufbau positiver Bindungsgefühle zu helfen. Dies äussert sich in der Situation dadurch, dass der PSA die K anhört und ihre Gefühle über den neuen Jugendlichen ernst nimmt, ihr aber klar macht, dass er ihr Verhalten trotzdem nicht akzeptieren kann. Der Fokus liegt jedoch nicht auf den Ressourcen der K, sondern eher auf den Defiziten. Dies mag auch ein weiterer Grund sein, weshalb noch keine beständige Beziehung entstehen konnte.
Deeskalation
In der Sozialpädagogik ist deeskalierendes Einschreiten bei Gewaltandrohung zum Schutz vor Schwächeren und um Stärkere vor sich selbst (vor weitreichenden Konsequenzen) zu schützen eine wichtige Interventionsform. Der Literatur ist zu entnehmen, dass ein positives Konfliktverständnis von Seiten der PSA sehr wichtig ist, denn dieses beeinflusst die Konfliktbehandlung im Wesentlichen. Um der jugendlichen Klientel die Chancen, die Konflikte mit sich bringen können, aufzuzeigen, muss zuerst das eigene Konfliktbild reflektiert werden (vgl. Tritten 2009: 61).
Der PSA unterbricht den ausgetragenen Konflikt gewaltsam, da er eine Eskalation und schlimme Konsequenzen für die K befürchtet, sollte sie der Drittperson oder dem PSA etwas antun zu versuchen. Zudem ist er sich der Signalwirkung auf andere bewusst: Sollte er nicht einschreiten, könnte es öfters zu derartigen Konflikten auf der Wohngruppe kommen. Er bedenkt in der Hitze der Situation nicht, dass wohl sein eigenes, eher harmoniebedürftiges Konfliktverhalten dabei mitspielt und eventuell die Jugendlichen daran hindert, ihre Probleme offen auszutragen. Seine Reaktionen und Interventionen am Esstisch stellen sich nach einer späteren Reflektion als konfliktbremsend heraus. Doch er kommt zum Schluss, dass sein Versuch, Rationalität in den “heissen Konflikt” zu bringen, um diesen mit den Jugendlichen bearbeiten zu können, legitim war und er dem Konflikt nicht dessen Kraft zur Veränderung und die Chancen, die daraus entstehen können, absprach.
5.3 Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?
Merkmale der Situation
Es handelt sich um eine Essenssituation, wobei jeweils erhöhtes Konfliktpotential herrscht, da die ganze Gruppe zusammenkommt. Der PSA ist zudem informiert über längerfristig bestehende Konflikte und Spannungen in der Gruppenkonstellation im Vorfeld.
Der PSA hat bereits viele Essenssituationen mit der K erlebt und ihm ist bewusst, dass diese Situationen für sie sehr herausfordernd sind und ein gewisses Mass an Selbstkontrolle verlangen, zu welcher sie noch nicht immer fähig ist. Zudem ist er über den anhaltenden “heissen Konflikt” zwischen der K und dem neuen Bewohner der Gruppe orientiert und darauf sensibilisiert.
Merkmale der Person
Die Charakterzüge, Ressourcen, Eigenschaften und Verhaltensweisen der K sind den PSA mehr oder weniger bekannt. Durch vorherige Interventionen und deren Ergebnisse bzw. Berichte von anderen PSA ist ein Grundriss vorhanden, auf was zu achten ist und wo sich besondere Herausforderungen ergeben könnten.
Die K ist hoch emotional, was vor allem in früheren Konflikten mit anderen Jugendlichen stark auftrat. Ihre Verhaltensmuster sind dem PSA bekannt, er weiss zudem, dass er sie bei schädlichem Verhalten an ihrem Ziel hindern versuchen muss. Die K ist zudem sehr auf die Beziehung zum Team fokussiert und lässt sich auf der emotionalen Ebene auch gut auf- bzw. abfangen. Dabei kann Kommunikation auf der Beziehungsebene hilfreich angewandt werden.
Der PSA konnte bei Teammitgliedern verschiedene Vorgehensweisen im Konfliktfall beobachten: Schutz der von der K angegriffenen Jugendlichen, ohne diese zu schwächen bzw. als schwach blosszustellen und Ankündigung von Konsequenzen. Zudem hatte der PSA zuvor erfolgreiche Mediation zwischen Streitenden durchgeführt.
5.4 Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?
Erziehungsauftrag
Die BewohnerInnen der Organisation sollen fürs Leben in der Gesellschaft und die Reintegration in diese vorbereitet werden. Dazu gehört das Halten an Regeln des Zusammenlebens, was auch eine Übung fürs Halten an Gesetze im späteren Leben darstellt. Dies bedingt Durchsetzungsvermögen der PSA. Hilfreich ist, dem Klientel zu erklären, wieso die PSA so handeln, wie sie es tun.
In der Situation am Esstisch werden gleich mehrere Regeln des Zusammenlebens gebrochen, vor allem bezüglich Respekt und Umgang sowie verbaler Gewalt. Der PSA ist aufgrund des Erziehungsauftrages zum Intervenieren gezwungen und kann die gewünschte Wirkung schlussendlich durch das klare STOP-Signal auch erreichen. Im Nachhinein wäre es hilfreich, wenn er seine Reaktion der K erläutert, so kann diese besser nachvollziehen, was passiert, wenn sie sich so auffällig verhält.
Konzept und Leitbild
Die Jugendlichen sollen im Sinne einer ressourcenorientierten Sozialpädagogik bestmöglich in ihrer Entwicklung gefordert und gefördert werden.
Als elementarer Teil des sozialpädagogischen Konzeptes auf der Wohngruppe besteht die individuelle Betrachtung der Jugendlichen, welche die PSA verpflichten, anders auf jede KlientIn einzugehen. Der PSA weiss um Ressourcen und Defizite der K und will, dass sie an ihrer übermässigen Emotionalität dahingehend arbeitet, der Drittperson momentan aus dem Wege zu gehen. Ressourcen kann er keine erkennen und thematisieren, was er in der nachgängigen Reflektion feststellt. Somit konnte dieser Aspekt hier nicht erfüllt werden.
Gewalttätiges Verhalten
Die Leitlinien der Organisation verpflichten zur Unterbindung und Dokumentation von Gewaltanwendungen jeglicher Art, und zwar unter KlientInnen, PSA und Dritten.
Der PSA kann die Situation dokumentieren und diese Dokumentation bei der Institutionsleitung einreichen. Diese bespricht die Situation mit der K, sollte sich ihr Verhalten in ähnlichen Situationen wiederholen. Damit soll die K. zusätzlich auf die mögliche Tragweite ihres Verhaltens sensibilisiert werden.
5.5 Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?
Wahrnehmung
Um Situationen professionell einschätzen zu können, müssen PSA über Kenntnisse der Wahrnehmung verfügen. Soziale Wahnehmung ist ein selektiver Prozess, es kommt also zum Filtern von Informationen. Zudem ist es ein aktiver und wechselseitiger Prozess, es kommt zur (Neu)Gestaltung der wahrgenommenen Realität. Die Kommunikationswissenschaft belegt, dass es keine objektive, korrekte und unvoreingenommene Wahrnehmung von Personen bzw. Situationen gibt (vgl. Berger 2016A: o.S.). Allein dieses Bewusstsein ist extrem wichtig für die PSA, wenn sie Alltagssituationen mit ihrer Klientel wahrnehmen.
In dieser Situation muss der PSA seine Wahrnehmung auf die verschiedenen Stimmungen am Esstisch fokussieren und die sich aufbauende Spannung zwischen ihm, der Klientin und dem neuen Jugendlichen beobachten, um sie rechtzeitig abfedern zu können. Zudem wird deutlich, dass die K eine völlig andere Wahrnehmung der Situation, vor allem des PSA und der Drittperson hat. Somit ist ihre übersteigert emotionale Reaktion und das Gefühl, angegriffen zu werden und ihren Standpunkt verteidigen zu müssen, auch mit ihrer Konstruktion der Situation zu erklären. Dieses Bewusstsein sollte beim PSA geschärft sein um den richtigen Umgang mit der K zu finden.
Kommunikationsfähigkeit
Kommunikative Fähigkeiten sind soziale Kompetenzen und Mittel, mit welchen PSA die eigene Position argumentativ vertreten, interpersonale Sensibilisierung und empathische Fähigkeiten entwickeln, sich verbal oder non-verbal verständigen und nicht zuletzt Konfliktfähigkeit demonstrieren können (vgl. Berger 2016B: 14).
Hier versucht der PSA mittels direkter, auf die K fokussierte Kommunikation deren Fokus vom aktuellen Konflikt mit dem neuen Jugendlichen zu lenken. Konfliktfähigkeit demonstriert er dahingehend, dass der PSA konsequent und transparent aufzeigt, an welchem Punkt für ihn die Grenzen eines konstruktiven Konfliktes überschritten wurden. Gegen Ende der Situation fühlt er sich durch Empathie in die K ein und versucht, ihre Beweggründe und Motivationen zu erkennen und sie als Person zu respektieren, ohne mit ihren Handlungen einverstanden zu sein.
Struktur, Methodik, Reflexion
Strukturiertes Vorgehen ist in der Sozialen Arbeit unabdingbar, um die strukturelle Ungewissheit bezüglich Gegenstand, Handlungen und Unterlassungen soweit wie möglich zu reduzieren. Dabei sollte die Methodik je nach Fall angepasst werden (vgl. Hochuli/Stotz 2015: 134). Zentral ist hierbei, dass reflektiert vorgegangen wird, denn die PSA sind jeweils als ganze Person in den Fall involviert, mit der Gesamtheit ihrer Gefühle, Gedanken und Absichten. Dies kann genutzt werden, aber auch gefährlich sein, nämlich dann, wenn die Sicht durch nicht reflektierte Gefühle, mangelhaft aufgearbeitete biographische Erlebnisse oder Praxiserfahrungen getrübt wird (vgl. ebd.: 135).
Der PSA muss gewaltsam eingreifen, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen und eine Eskalation zu verhindern. Er tut dies unmittelbar und spontan, reflektiert danach aber seinen heftigen emotionalen Ausbruch. War dieser angesicht der Situation angemessen? Er zieht dabei seine eigenen biografischen Erfahrungen mit Konfliktsituationen und starker Anspannung in Betracht und vergleicht auch mit früheren Praxissituationen, basierend auf seinem bisherigen Erfahrungswissen. Er analysiert ebenso die Sichtweise der K, welche sie mit ihm geteilt hat und kommt zum Schluss, dass seine Reaktion eine gut verständliche Signalwirkung gezeigt hatte, dass eine Grenze überschritten worden war.
5.6 Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?
Der PSA ist alleine im Dienst während der Ferienzeit und es besteht keine Möglichkeit, auf anderen Wohngruppen der Organisation Hilfe zu holen. Dazu kommt, dass der PSA gleichzeitig vier Jugendliche zu betreuen hat und noch in Ausbildung ist. Da der PSA bereits seit einem Jahr in der Organisation tätig ist, kennt er die meisten KlientInnen gut und hat zu den meisten eine stabile Beziehung aufgebaut. Auf dem Gelände des Schulheims bestehen zahlreiche Möglichkeiten zu sportlicher Aktivität und viel Raum, da die anderen KlientInnen in den Sommerferien sind. Das Wetter ist warm und trocken und bietet ebenfalls eine Vielzahl an Optionen.
Die Wichtigkeit der Vorgehensweise, den Konflikt abzubremsen und nicht weiter auszutragen sowie einer deeskalierenden Haltung in der Konfliktsituation werden durch diese Rahmenbedingungen beeinflusst. Da den Jugendlichen viel Raum zur Verfügung steht, bietet es sich an, vorübergehend eine räumliche Trennung vorzunehmen. Dies tut der PSA, indem er den Wunsch der K, die Wohngruppe zu verlassen, gutheisst.
5.7 Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?
Das Handeln des PSA ist klar nach den Werten der Gleichberechtigung und Toleranz ausgelegt: Alle KlientInnen sollen sich einbringen dürfen und über dieselben Rechte auf der Wohngruppe verfügen. Sie sollen zu einer respektvollen Haltung angeleitet werden, die das Dulden von Defiziten anderer erlaubt. Damit kommt die Erwartung an die K, dass diese zumindest versuchen zu akzeptieren, dass alle gewisse Grundrechte haben in der Gruppe und dass niemand fehlerlos ist. Zudem wird die Wertschätzung vom PSA betont: Alle Jugendlichen sollen ernst genommen und geschätzt werden. Auch wenn diese auffälliges bzw. sich selbst oder andere gefährdendes Verhalten zeigen, werden sie als Individuen in ihrer Person vom PSA geachtet.