Erstgespräch führen / Durchgangsheim für Kinder

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Das Mädchen S.N. , Alter 12 – Jahre, wird auf Grund eines  Beschlusses auf Grundlage des ZGB (Zivilgesetzbuch) Artikel 310 der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) in ein Beobachtungsheim platziert. Das Erstgespräch ist in diesem Fall zugleich das Aufnahmegespräch.

Gründe, die im Beschluss dafür genannt werden sind : diverse Gefährdungsmeldungen unter anderem von der Schule betreffend des Verhaltens des Mädchens : es gibt kaum Strukturen zu Hause, sie kommt unregelmässig und unpünktlich zur Schule, sie klingelt nachts bei andern Kinder zu Hause, befolgt Anweisungen der Lehrer nicht, hält sich nicht an Regeln, stört den Unterricht, eckt mit ihrem Verhalten an, schlägt andere Kinder, sucht Konfrontation mit älteren Schülern, etc. Sie geniesst zu Hause für ihr Alter sehr viele Freiheiten etc. Die Beziehung des Mädchens zu seinem Vater ist sehr konflikthaft.

Trotz vielen ambulanten Massnahmen gibt es keine  Verbesserung der Situation zu Hause. Die Mutter verweigert die Zusammenarbeit mit der Schule und ignoriert Massnahmen. Die gesunde Entwicklung von S. N. wird als äusserst gefährdet bezeichnet.  

Eine Untersuchung der kinder- und jugendpsychiatrischen Poliklinik hat vor Jahren  stattgefunden.    

Die Eltern sind seit einigen Jahren geschieden und das Mädchen hat einen unregelmässi-gen Kontakt zu seinem Vater (KV).

Fussnote: Zivilgesetzbuch Artikel 310 im Wortlaut: Absatz 1 : Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen.

Die Sozialarbeiterin kennt die Familie bereits seit einigen Jahren und es besteht ein Vertrauensverhältnis. 

Erste Sequenz

1. Begrüssung:

Unter Androhung einer polizeilichen Wegnahme bringt die Mutter das Mädchen am vereinbarten Tag ins Heim. Der Heimleiter begrüsst die Mutter an der Eingangstür und erkennt die Mutter wieder. Vor rund 3 Jahren wurde ein Geschwister des Mädchens in einer andern Gruppe des Heims platziert. Die Mutter erkennt das Heim und den Heimleiter ebenfalls. Das Gepäck des Mädchens wird  abgestellt. Zusammen mit dem Mädchen gehen sie ins Besprechungszimmer und warten einen kurzen Moment noch auf die Sozialarbeiterin. Anwesend ist auch eine Sozialpädagogin, die das Protokoll führt und die Gruppe vorstellt und dazu Fragen beantwortet.

Reflection in Action

  • Emotion Klient/in: S.N. ist überrascht und verdattert. Sie kennt den Namen der Institution, jedoch nicht dieses Haus aus der Zeit als eines ihrer Geschwister in diesem Heim war.
  • Emotion Kindsmutter (KM): Es ist ihr sichtlich unangenehm hier zu sein. Das Erkennen des HL war für sie jedoch auch erleichternd – zumindest wirkte sie so. Doch ist sie auch wütend auf die Behörden, da diese, aus ihrer Sicht, dem Mädchen die “Schuld” geben für dessen Verhalten in der Schule, und die Lehrer ihr Mädchen in der Schule nicht besser schützen.
  • Emotion Professionelle/r HL: durch die Erfahrung mit dieser bzw. ähnlichen Situationen ist es eine gespannte, jedoch auch etwas gelassene Wachheit. Es ist auf Seiten der Institution kein Zeitdruck vorhanden, und somit eher ein offenes Klima. Das Kennen der KM ist ebenfalls eher entspannend, da ihre emotionalen Reaktionen auch bekannt sind.
  • Emotion Professioneller SP: Neugier und Spannung bezüglich wer da kommt und was jetzt passiert. Sie kennt ihre Rolle, es ist auch für sie eine gewohnte Situation. Die Abläufe sind klar.
  • Kognition Professionelle/r : Offen sein, Ernst nehmen der Befindlichkeit und der Anliegen der KM wie auch des Kindes. Möglichst Ruhe bewahren, deeskalieren und offen die Fragen beantworten, soweit sie effektiv jetzt beantwortet werden können.

Zweite Sequenz

2.  Die Mutter erhält das Wort um Ihre Sicht der gesamten Situation zu schildern:

Sie erkennt  keine “Schuld” bei sich und sagt, dass sie das Mädchen weder geschlagen noch vernachlässigt habe. Sie spreche viel mit dem Mädchen, auch über ihr Verhalten in der Schule. Dort seien alle Lehrer gegen das Mädchen und die Schüler würden ihre Tochter mobben.  Auch am Morgen würde sie ihre Tochter wecken. Da sei Vieles nicht wahr was die Behörde sagen und schreiben würde. Das Mädchen sei noch klein und müsse sich in ihrem Alter noch nicht an all diese Sachen halten. Sie würde einfach mit ihr darüber sprechen. Zu Hause müsse sie nicht mithelfen, wenn sie nicht wolle. In der Freizeit gehe sie oft hinaus um mit andern Kindern zu spielen.

Reflection in Action

  • Emotion Kind: S.N. zeigt sich verständnisvoll, kann Probleme in der Schule benennen, sieht alle andern jedoch in der Schuld. Sie spürt, dass die Mutter sie verteidigt. Sie merkt, dass sie im Heim Zeit erhält, auch durch die vorläufige Platzierung in der internen Schule des Heims und fühlt sich dadurch auch entlastet. 
  • Emotion KM: Die KM wirkt in ihren Aussagen sehr authentisch. Emotion Professionelle/r HL / SP: entlastet, da die unterschiedlichen Sichtweisen klar und transparent sind. Eine Kommunikation mit der KM ist möglich. Das Mädchen wirkt offen und neugierig und somit zugänglich.
  • Emotion Professionelle SA:  sie ist unsicher weil sie nicht weiss wieviel Kooperation möglich sein wird. und sie wird ärgerlich, da die KM sie als KESB – Mitglied sieht und nicht als ausführendes Organ.
  • Kognition Professionelle/r: die eigenen Wahrnehmungen der KlientInnen dürfen wir nicht einfach in Frage stellen, auch wenn die Wahrnehmung der KM und des Kindes anders ist als die der Professionellen. Die genaue Situationserfassung ist wichtig. Die Sicht der KM ist für uns wichtig, deshalb gilt es gut zu zuhören und es schriftlich zu erfassen. Die genannten Probleme klar ansprechen, ev. differenziert verbalisieren und im Protokoll beschreiben. Dies ermöglicht es uns im Verlauf des Falles immer wieder darauf zurückzukommen. Dies im Sinne : “Was hat sich seit dem Eintritt wie verändert.”
  • Erfahrungswissen : beide Elternteile haben eine unterschiedliche arabische Herkunft. Sie können differenziert dazu Auskunft geben über die Familiengeschichte und – die -Dynamik. Dies ist oft zentral um das Verhalten des Kindes zu verstehen.

Dritte Sequenz

3. Sicht des Mädchens :

Das Mädchen schaut offen ihre Umgebung an. Sie sagt, dass sie wieder nach Hause gehen möchte. Sie schildert verschiedene Situationen aus der Schule, z.B. weswegen sie Andere geschlagen hat und meint, das diese Schuld daran hatten. Von einem Dreinreden im Unterricht und Unkonzentriertheit weiss sie nichts.

Auf die Frage unsererseits was sie von uns wissen möchte, interessiert sie sich für die andern Kinder welche hier sind, und die Regeln – auch mit dem Natel, sowie der Frage wo sie zur Schule gehen werde.

Reflection in Action

  • Emotion Kind: Sie ist ganz in ihrer eigenen altersgemässen Lebenswelt. Sie sucht Sicherheit z.B. will sie den Tagesablauf genau kennen, und zeigt Interesse z.B. Kindergruppe. Andererseits auch unsicher bezüglich was da auf sie zukommt, und trotzdem neugierig. S.N. erkennt, dass sie wahrgenommen, und entsprechend beteiligt wird. Ebenso die KM.
  • Emotion KM: sie wirkt zufrieden, da ihre Tochter ihr bezüglich der Schule nicht in den Rücken fällt, und die Schuld auch der Schule gibt. 
  • Emotion Professionelle/r: sie sind beruhigt, da die KM sich beherrschen kann und das Mädchen sich öffnet.
  • Kognition Professionelle/r: Klarheit über Abläufe, Regeln, Besuche und Telefonate geben Sicherheit und wirken entlastend. Oft werden dadurch auch Vorurteile aufgelöst. Mit der Beschreibung der nächsten Schritte wird die Situation ebenfalls auf den Alltag konzentriert. Wir haben den Eindruck, dass das Mädchen sich orientieren will.

Vierte Sequenz

4. Sicht der Sozialarbeiterin (SA) in der Rolle der Vertretung der einweisenden Behörde:

Die SA bestätigt mit manchen Beispielen die Beschreibung aus dem Beschluss der KESB und der sozialpädagogischen Familienhilfe, welche rund 2 Jahre in der Familie gearbeitet hat. Die Mutter bestätigt dabei, dass ihr dies nicht geholfen hätte. Sie fasst damit ihre Sichtweise zusammen, und erklärt nochmals ihre Rolle und Aufgabe.

Reflection in Action

  • Emotion Kind: Sie wirkt nochmals angespannt, da das einseitige Zuschieben der Verantwortung auf die Behörde und die Schule für des Mädchens wie auch der KM aufgebrochen wird. Die unterschiedliche Sichtweise wird von allen Seiten wahrgenommen und bleibt bestehen.
  • Emotion KM: ihr Unbehagen wird stärker, da die Sozialarbeiterin differenziert aufzeigt warum es zu dieser Platzierung kam. Sie fühlt sich falsch bzw. nicht verstanden. Sie muss – aus ihrer Sicht – ihre Tochter in Schutz nehmen.
  • Emotion Professionelle/r: wach und gespannt, ob es zu einer Eskalation kommt. Die SA kennt die Familie bereits seit ein paar Jahren und dadurch entstand offensichtlich auch eine gewisse Vertrautheit.
  • Kognition Professionelle/r: Für uns ist diese von allen Seiten offene Kommunikation  sehr wichtig um die Sichtweisen zu kennen und um damit arbeiten zu können. Es hilft uns beispielsweise darauf zu achten, ob die Fremd- und Selbstwahrnehmungsunterschiede in der Beobachtungszeit weiterhin fix bleiben oder sich verändern, sich vergrössern oder verkleinern. Zudem werden wir darauf achten, wie der Kindsvater (KV) die Problematik seiner Tochter sieht.

Das Mädchen signalisiert mitzuarbeiten und wirkt zugänglich.  

Fünfte Sequenz

5. Der Auftrag der Behörde ans Heim wird folgendermassen definiert und durch die Sozialarbeiterin (SA) zusammengefasst  : 

Für uns als Institution ist dieser Schritt zentral um allen anwesenden Beteiligten die Möglichkeit zu geben den Auftrag den uns die zuweisende Behörde gibt zu hören, zu verstehen und dazu auch Fragen stellen zu können. Damit hören alle im Moment dasselbe, Fragen können kindsgerecht beantwortet werden und durch die Protokollierung des Auftrags gibt es die Möglichkeit für alle im Verlaufe der Platzierung jederzeit auf diesen Auftrag zurückzukommen. Dieses Vorgehen entspricht auch den Anforderungen von quality4children.

Zur Beruhigung der Schulsituation bestimmt die Mutter und die SA, dass S.N. vorerst die interne Schule des Heims besucht. 

Reflection in Action

  • Emotion Kind: bleibt ruhig und wirkt eher gelangweilt
  • Emotion KM: Sie ist mit den Fragestellungen zufrieden und findet sie gut. Die Kontaktaufnahme durch das Heim zum Vater findet sie nicht notwendig.
  • Emotion Professionelle/r: Entlastet, da eine erste Basis für eine Zusammenarbeit angelegt werden konnte. Die gegenseitige Zusammenarbeit zwischen Heim und zuweisender Beiständin wirkt gut und basiert auf einer gegenseitigen Wertschätzung und Verständnis.
  • Kognition Professionelle/r: Der Auftrag ist klar, und andererseits doch offen formuliert, so dass wir arbeiten können. Klar sind ebenfalls die Rollen und deren Aufgaben.

Sechste Sequenz

6. Daten:

Das Kind geht jetzt mit der Sozialpädagogin hinüber ins Haus um ihr Zimmer zu besichtigen und einzuräumen. Das Kind weiss, dass ihre Mutter noch auf die Gruppe kommt um sich ihr zu verabschieden.  

Durch den HL werden jetzt alle notwendigen Daten des Kindes aufgenommen, und die entsprechenden Schweigepflichtsentbindungen von der sorgeberechtigten Mutter eingeholt. Ebenso werden die ersten Kontakte zwischen Mutter – Tochter inkl. den Wochenenden, sowie zwischen den Erwachsenen, bis zur nächsten Standortsitzung festgelegt. Die Elterninformationsmappe wird mit zusätzlichen Erklärungen abgegeben.

Die Mutter, die SA und der HL gehen zusammen auf die Gruppe erklären dem Kind die zuvor getroffenen Vereinbarungen bezüglich Telefonaten, Besuchen und Wochenendregelung. Die SA und der HL verabschieden sich jetzt von der KM und dem Kind. Die KM verabschiedet sich ein paar Minuten später von ihrer Tochter und der Sozialpädagogin.

Reflection in Action

  • Emotion Klient/in: S.N. interessiert dieser Teil sichtlich nicht besonders. Sie schaut sich unterdessen ihr Zimmer an und beginnt auszupacken. Die KM arbeitet interessiert mit und will wissen was alles wozu benötigt wird, und auch der Kontakt zum Vater wird geklärt.
  • Emotion Professionelle/r: Sicherheit in der “Routinearbeit”.
  • Kognition Professionelle/r: wir sind froh, dass wir uns gut vorbereitet haben und die internen Rollen klar sind. Das gegenseitige Kennen der zuweisenden Sozialarbeiterin und der Institution unterstützt diese Momente sehr

5.1      Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?

  • Die Entwicklungspsychologie hilft uns das Verhalten des Kindes zu seinem Alter in Relation zu bringen. Dieses Mädchen wirkt ca 2 Jahre älter als sie ist. Die Kenntnis über die Entwicklungsaufgaben in den verschiedenen Altersstufen helfen uns das Kind nicht zu überfordern und sein Verhalten einzuordnen. Aus der Sozialisationstheorie kennen wir die Bedeutung des Familiensystems. Das Mädchen ist z.B. somit zum jetzigen Zeitpunkt und in der heutigen Situation nicht in der Lage der KM zu widersprechen bzw. eine eigene Haltung zu vertreten.
  • Ein Wissen über die verschiedenen Kulturen, im speziellen auch der Erziehungsmethoden der Eltern und deren Erwartungen an ihre Kinder hilft uns die Stellung des Mädchens im Gegensatz zu ihren Brüdern  zu verstehen. Sie ist in diesem Fall die jüngste und das einzige Mädchen. Ihre Brüder sind oder waren alle fremdplatziert.
  • Das Beteiligt werden am Prozess gilt für alle und ist zentral, um in eine konstruktive Zusammenarbeit zu erreichen – siehe Quality4children oder Gelingende Beteiligung in der Heimerziehung
  • Das Eingreifen in ein Familiensystem, respektiv die Trennung von Kind und Eltern (Fremdplatzierung) löst Reaktionen aus : z.B. Verstärkung des Loyalitätsgefühls zwischen Kindern und ihren Eltern (siehe “Wir zusammen gegen den Rest der Welt”).  Für die Eltern kann es ein “Versagen” darstellen oder ein Eingriff in ihrer Privatsphäre, sowie die Angst die Liebe des Kindes zu verlieren oder sich nicht als gute Eltern beweisen zu können.  Die emotionale Belastung und die Angst “das Gesicht nicht zu verlieren” führt zu unterschiedlichen Haltungen der Eltern gegenüber dem Sozialpädagogenteam und wird in der Heimerziehung als Loyalitätskonflikt zwischen Eltern und Sozialpädagogen benannt.  Für das Kind beginnt mit der Heimeinweisung eine innere Zwiespalt in dem es sich zurechtfinden muss, da es sowohl zu Hause als auch im Heim Beziehungen eingeht um sich zugehörig zu fühlen.  Je positiver der Heimaufenthalt sich für das Erleben des Kindes gestaltet, desto bedrohlicher kann er in seiner Beziehung zu den Eltern werden.  Darf das Kind sich eine andere gute Beziehung erlauben wenn die Eltern unter der Heimeinweisung leiden oder in Frage stellen ?  Kinder können neue Probleme entwickeln, wenn dieser Zwiespalt keine Lösungen im Alltag findet.  

5.2      Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?

 

  • Burkhard Müllers 3. Arbeitsregel für eine sozialpädagogische Anamnese lautet: “Anamnese heisst, sensibel mit Hintergrundwissen umzugehen und mit schnellen Einordnungen in bekannte Raster vorsichtig sein” (Müller 2006:110).  D.h. gerade weil die familiäre Situation aus der vorhergehenden Platzierung des Geschwisterkindes in derselben Institution noch teilweise bekannt erscheint, ist es für eine möglichst genaue Situationserfassung erforderlich, der jetzigen Situation unvoreingenommen zu begegnen.
  • Die sechste Arbeitsregel lautet: Anamnese heisst, unterschiedliche Sichtweisen und Ebenen des Falles nebeneinander zu stellen” (Müller 2006:112). Hier konkret bedeutet dies, die eigenen Wahrnehmungen der KlientInnen nicht einfach in Frage zu stellen, auch wenn die Wahrnehmung der KM und des Kindes anders ist als die der Professionellen. Die genaue Situationserfassung ist wichtig. Die Sicht der KM ist für die Professionellen wichtig, deshalb gilt es gut zu zuhören und sie schriftlich zu erfassen. Die genannten Probleme werden klar angesprochen, differenziert verbalisiert und im Protokoll beschrieben. Dies ermöglicht es, im Verlauf des Falles immer wieder darauf zurückzukommen. Dies im Sinne : “Was hat sich seit dem Eintritt wie verändert.”
  • Die Beschreibung der nächsten Schritte hilft dem Mädchen und der KM, die Situation auf den aktuell bevorstehenden Alltag zu konzentrieren.
  • Der systematische, offene und transparente, im Sinne der Erklärung der verschiedenen Schritte, Einbezug des Familiensystems schafft vielfach eine Vertrauensebene
  • Die Institution ist verantwortlich für die Leitung des Gesprächs. Sie ist verantwortlich ihre Fragen beantwortet zu erhalten und zugleich in der Rolle die Fragen der Kinder und der Familie sowie der zuweisenden Stelle zu beantworten
  • Deeskalieren : Professionelle mildern, verringern und klären negative Spannungen um ein konstruktives Gespräch zu gewährleisten.  Auch Widerstände können transparent gemacht werden um ihrer Boykottwirkung entgegen zu wirken.
  • Differenziert Verbalisieren : der Professionelle sorgt für Klarheit und Verständnis für alle Beteiligten, d.h. auch eine verständliche Sprache für Kinder anwenden und sich an das Kind wenden.  

5.3      Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?

 

  • Der HL verfügt über grosse Erfahrung mit Erstgesprächen. Diese erlaubt ihm eine “gelassene Wachheit”, d.h. er ist vorbereitet, sich auf Unbekanntes und Unvorhergesehenes einzulassen. 
  • Gleichzeitig wird die Tatsache, dass emotionale Reaktionen der KM bereits aus vorhergehenden Kontakten (Platzierung eines Geschwisterkindes im selben Heim) erinnert werden, als “eher entspannend” erlebt.
  • Klarheit über Abläufe, Regeln, Besuche und Telefonate geben den Klientinnen Sicherheit und wirken entlastend.
  • Der Auftrag der Behörde muss einerseits klar, andererseits so offen formuliert werden, “dass wir arbeiten können”.
  • Vorbereitete Dokumentationen vereinfachen den Ablauf und ermöglichen es den Fokus auf die Situation der Familie zu richten
  • Die Haltung der Lebensweltorientierung und kulturelles Wissen über die Lebenswelt der Eltern kann sehr hilfreich sein in dem Verstehen der Familiensituation, Rollen und der Erziehungsart der beiden Elternteile .
  • Eine gute Vorbereitung auf institutioneller Ebene gibt sehr viel Beruhigung und Klarheit
  • Das sich bereits Kennen unter Professionellen (wie hier Institution und SA) ist von Vorteil und erleichtert den Schulterschluss und die kohärente Arbeit mit der Familie.
  • Das Kennen der Familiengeschichte und der -Dynamik hilft das Verhalten des Kindes zu verstehen.  
  • Das Erkennen der Lebenshaltung und das Wissen über den kulturellen Hintergrund der Familie ist wichtig.  
  • Wenn Unklarheiten und Unsicherheit entstehen ist es für den Professionellen wichtig, dass ihm erlaubt ist, sich Zeit und Sicherheit zu gewähren um richtige Entscheidungen zu treffen. Der Professionelle kann nicht alles in einem Fall erfassen, er weiss nur das was ihm gesagt wurde und er kann auch nicht wissen, was er nicht weiss.
  • In der Hierarchie der Entscheidungen kann es sein, dass unterschiedlichen Haltungen der Professionellen in Konflikt stehen, oder die Begebenheiten sind nicht immer optimal oder klientengerecht oder so wie es sich der Professionelle wünscht.  Es ist daher nicht immer einfach, den Klienten hiervor zu bewahren und eine kohärente Haltung durchzuziehen.

5.4      Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?

 

  • Wenn die Rollen der Professionellen und die Abläufe eines Erstgespräches/Aufnahmegespräches strukturiert und klar sind entsteht Raum für die notwendige Offenheit gegenüber den Anliegen und Sichtweisen der KM und des Mädchens.
  • Eine gute Vorbereitung auf institutioneller Ebene gibt sehr viel Klarheit und Beruhigung. Das gegenseitige Kennen der zuweisenden Sozialarbeiterin und der Institution unterstützt diese Momente sehr.
  • Die allgemeinen Regeln der Institution müssen allen sozialpädagogischen Mitarbeitenden bekannt sein und ebenso den individuellen Vereinbarungsrahmen
  • Institutionseigene Haltungen und Ansätze offenlegen : wenn eine Institution eine spezifische Haltung besitzt gegenüber ähnlichen Institutionen, ist es wichtig den Klienten dies zu erklären, um ein Missverständnis zu vermeiden.
  • Ein Protokoll das an alle Anwesenden geht, hilft die besprochenen Themen immer wieder aufzugreifen.
  • Ein Angebot durch die SA an die KM, sie und das Kind zu Hause abzuholen und mit ihnen zusammen ins Kinderheim zu fahren, hätte eventuell eine Drohung, das Kind mit der Polizei zu holen, erübrigt.

 

5.5      Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?

 

  • Die Professionellen müssen im Gespräch wach, aufmerksam (“gespannt”) und neugierig sein, um den Willen und die Sichtweisen der KM und des Mädchens zu hören und zu erfassen. In Kontroversen die “Ruhe bewahren, deeskalieren und offen die Fragen beantworten” können.
  • Sie müssen eine hohe Fähigkeit haben die informellen Rollen der Familienmitglieder zu erkennen und zu deuten.
  • Sie benötigen einen leichten, unterschiedlichen Zugang zu Kindern und Erwachsenen der Sicherheit vermittelt und ein “Willkommen” sein.

5.6      Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?

 

  • Wenn auf Seiten der Institution kein Zeitdruck vorhanden ist, kann das Gespräch “eher in einem offenen Klima” stattfinden.
  • Ein Raum mit wenig Ablenkungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben ist hilfreich. Die Sitzordnung ist für alle Gäste offen.
  • Eine klare Rollenverteilung unter den Professionellen gibt Klarheit: der HL leitet das Gespräch und beantwortet Fragen zur Aufgabe der Institution, die SP schreibt für alle das Protokoll und beantwortet Fragen zur Gruppe und zum Alltag.
  • Eine angepasste Zeitspanne ist für das Gespräch von grosser Wichtigkeit.  Eine zeitliche Grenze wahren um Überforderung oder “Ausufern” zu vermeiden.
  • Eventuell vorhandene Dokumentation bereitlegen, zum Mitnehmen anbieten. 
  • Zusätzliche Dienststellen anbieten um Probleme zu lösen, die nicht in direkter Beziehung zur Fallarbeit in der Institution stehen oder welche nicht intern angeboten werden (z.B. Suchtprobleme, Paartherapie, Wohnungssuche, Ämter usw.).
  • Sitzordnung : dem Klienten das Angebot machen, sich seinen Sitzposition (Stuhl oder …) zu wählen.  Die Wahl der Sitzposition kann Aufschluss über die Beziehung von Klienten zu einander geben.  
  • Auch Professionelle können Absprache halten über ihre eigene Sitzposition (vor oder nach der Wahl des Klienten), so wie sie diese sinnvoll nutzen können, z.B. dem Klienten “zur Seite sitzen” um seine Position zu unterstützen, oder entfernter um Distanz zu wahren, Professionelle setzen sich gegenüber um Blickkontakt zu halten usw.
  • Anzahl der Professionellen im Verhältnis an die Anzahl der Klienten anpassen : z.B. nicht 3 Professionelle für einen Klienten.
  • Nach Möglichkeit und Sinn andere Familienmitglieder mit in ein Gespräch einbeziehen.

 

 

5.7      Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?

 

  • Befindlichkeit und Anliegen des Mädchens und der KM müssen ernst genommen werden. Beide erkennen, dass sie wahrgenommen und entsprechend beteiligt werden.
  • Zentral ist, dass die Fachpersonen aus der Institution keine Versprechungen machen, welche sie nicht halten können.
  • mittels Protokoll wird Transparenz für alle hergestellt. 
  • Auf Gleichberechtigung achten : z.B. bei getrennten Eltern und Besuchsregelung (ausser bei Gefahren), bei Geschwistern usw.
  • Dem Klienten Hoffnung geben und positive Perspektiven anbieten.
  • Vertrauen in die Fähigkeiten des Klienten haben und zeigen.
  • Kulturelles Anderssein werten und vorurteilsfrei damit umgehen..

 

 

 

  • in diesem Gespräch konnten die Standardsvon quality4children umgesetzt werden, auch wenn die Mutter mit der Platzierung eigentlich nicht einverstanden war
  • Der KM gelang es die rechtliche Seite (ich nehme mein Einspruchsrecht wahr) von der pädagogischen Seite (was braucht jetzt mein Kind)  zu trennen
  • Je nach Situation können / müssen die Gespräche mit den Familienangehörigen einzeln durchgeführt werden
  • Die Drohung das Kind mit der Polizei zu holen, könnte allenfalls vermieden werden

Müller, Burkhard. (2006). Sozialpädagogisches Können. Ein Lehrbuch zur multiperspektivischen Fallarbeit.  4., vollst. neu überarb. Aufl. Freiburg i.Brsg.: Lambertus
E. Berk, Entwicklungspsychologie, 2005, Pearson Studium
Oerter / Montada, Entwicklungspsychologie, Beltz Verlag
M. Wolff / S. Hertig , Gelingende Beteiligung in der Heimerziehung Beltz Juventa, 2013
Familientherapie im Ueberblick, Arist von Schlippe, junfermann Verlag, 12. Auflage
J. Bowlby, Bindung, Trennung  und Verlust, drei Bände, Reinhardt Verlag, 2006
FICE / SOS – Kinderdorf, IFCO,  Broschüre Quality4children Standards, 2004 -2007
A.Wigger / N. Stanic, Kinder wirken mit, Stämpfli Verlag, 2012
Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 2013
UNO – Kinderrechtskonvention, Ratifizierung CH 1997
Evangelische Jugendhilfe, 1996, 4, S. 206-216, Marie-Louise Conen, “Wenn Heimerzieher zu nett sind….Heimkinder im Loyalitätskonflikt zwischen Eltern und Erzieher”
Andrew Turnell, Signs of Safety, das Signs of Safety Modell, www.signsofsafety.net
Ulla Peters, Danielle Lellinger, Universität Luxemburg, Qualität in der Heimerziehung, Standards für zentrale Prozesse, 2010
Quality4children, Annegret Wigger, FHS ST. Gallen, Institut für Soziale Arbeit, 9401 Rorschach

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