Ausbildungsgespräch führen/ Kommunikative Kompetenzen der SpiA in der E-Mail-Kommunikation entwickeln

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Die Sozialarbeiterin in Ausbildung ist auf einem städtischen Sozialamt tätig. Von einem austretenden Mitarbeiter erhält sie einen neuen Fall. Die Informationen die sie zum Fall erhält sind nicht sehr umfassend, sie weiss lediglich, dass der Klient als Folgeerscheinung eines langen Spitalaufenthaltes unter einer Morphinabhängigkeit leidet und dass er vom zuvor fallführenden Sozialarbeiter mehrere hundert Schweizer Franken als Vorleistung erhalten hatte, die durch Kürzungen bei den zukünftigen Auszahlungen wieder zurückbezahlt wurden und noch werden müssen. 

Bevor die SAIA mit dem Klienten Kontakt aufnehmen und die neue Zuständigkeit besprechen kann, meldet sich der Klient am Sonntag 27. Mai in einem ausführlichen Schreiben an die SAIA. Der Abdruck dieser Mail ist aufgrund des Umfanges von einer guten A4-Seite und der zahlreichen persönlichen Inhalte nicht möglich. Es wird anstelle eine Paraphrase wiedergegeben: 

Der Klient beschreibt detailreich und ausführlich, wie er die die letzten Wochen vergeblich versucht hatte, einen Platz in einer Klinik zu erhalten, damit er seine Morphinabhängigkeit behandeln kann. Dadurch, dass der Klient nicht wie geplant eintreten habe können, sei seine Kalkulation mit dem Geld nicht aufgegangen. Er beschreibt, dass die Situation für Ihn nun unglaublich frustrierend sei und er nicht mehr weiter könne. Er beschreibt, dass er ausserdem an Panikattacken und Angstzuständen leide. Diese würden das Warten auf einen Klinikeintritt zusätzlich erschweren. Er spiele deshalb mit dem Gedanken, sich von einem Auto anfahren zu lassen, damit er wenigstens endlich in eine Klinik könne. Er bittet um eine Vorleistung der Sozialhilfe, damit er die Verzögerung bis zum Therapiebeginn überbrücken kann. Abschliessend verneint er explizit suizidale Absichten oder damit zu drohen. 

Die SAIA ist Montag und Dienstag abwesend, weil sie Vorlesungen an der Fachhochschule besucht. Bevor sie auf die Mail vom Sonntag antworten kann, erhält sie vom Klienten am Dienstagmorgen, 29. Mai nochmals eine Mail: 

In dieser handelt es sich um eine Weiterleitung einer Mail an seinen Hausarzt, in der er diesen um einen Termin bittet und darauf hinweist, dass er von einer neuen Sozialarbeiterin betreut wird. Er richtet sich auch direkt an die SAIA und entschuldigt sich für die intensive Benachrichtigung. Er informiert sie in drei Zeilen, dass er “unglaublich nervös” sei und seit Tagen nicht schlafen könne. Er würde in der nächsten Woche in die Klinik gehen und benötige noch ein letztes Mal ausserordentliche Hilfe. 

Die SAIA antwortet dem Klienten 20 Minuten später in drei kurzen Sätzen: 

Guten Morgen Herr X
Entschuldigen Sie die Verzögerung meiner Antwort. Die Fallübergabe hat erst heute Morgen stattgefunden. 
Ich bitte Sie darum, heute um 15.30 Uhr kurz zu mir zu kommen (Büro XY). Vielen Dank für Ihre rasche Bestätigung. 
Freundliche Grüsse

Darauf antwortet der Klient nochmals in einer kurzen Mail, in der er auf die Dringlichkeit der Vorleistung von CHF 100.- hinweist, worauf die SAIA entgegnet, dass sie keine Vorleistungen mehr gewähren könne, sondern höchstens Caritas Gutscheine ausbezahlen dürfe. 

Schliesslich schreibt die SAIA nach zwei Stunden dem Klienten eine Mail, in dem sie ihm mitteilt, dass sie den Termin absagen möchte:

Die SAIA erklärt, dass sie den Termin absagen möchte. Sie denkt, dass ein Gespräch weder für den Klienten noch für sie selber förderlich sei. Zum einen erklärt sie, sie und der Klient würden sich in einer Dilemma Situation befinden, weil sie keine Vorschüsse mehr geben könne. Zum anderen würde sie seine Mails als Drohung empfinden, welche sie in eine “extrem schwierige und heikle Lage versetzen” würden. 

Der Klient antwortet darauf mit einer E-Mail von wiederum etwa einer A4-Seite Umfang, in der er erläutert, dass er mit der Vorleistung gerechnet hatte, weil dies mit dem zuvor fallführenden Sozialarbeiter so abgesprochen wurde.

Ab diesem Punkt kommt die SAIA mit dem Fall zum PA, weil sie nicht mehr weiss, wie sie auf diese E-Mail antworten soll. 

Erste Sequenz: PA-Gespräch über die ausser Kontrolle geratene E-Mail-Kommunikation

Die Sozialarbeiterin in Ausbildung berichtet ihrem Praxisausbilder im PA-Gespräch von der schwierigen Kommunikation mit dem Klienten, den sie neu übernommen hat. Der PA bittet die SAIA den Fall zu schildern. Sie erklärt, dass sie nicht weiss, was sie schreiben könnte, damit sie die Kommunikation auf eine sachliche Ebene führen kann. Sie berichtet, dass sie dem Klienten keinen Vorbezug mehr gewähren könne, weil dieser schon zuviel vorbezogen habe. Die Situation sei inzwischen so verfahren, dass sie mit dem Klienten in keinen Dialog mehr komme. Der PA lässt die SAIA erzählen und hört ihr unterdessen aufmerksam zu. Ab und zu stellt er eine Frage zum präziseren Verständnis des Falles.

Reflection in Action zur ersten Sequenz

  • Emotion Studentin: Die SAIA fühlt sich hilflos, überfordert, dem Klienten auf die letzte Mail zu antworten, weil sie nicht weiss, wie sie die Kommunikation auf eine sachliche und entspannte Ebene bringen kann.
  • Emotion PA: Der Praxisausbildner ist zunächst verärgert, als er erfährt wie der ehemalige Mitarbeiter den Fall geführt hatte und dass nun andere das fahrlässige Auszahlen von Vorleistungen ausbaden müssen. Auch ist er frustriert, dass die Studierende einen kommunikationsintensiven und anspruchsvollen Fall ohne ausreichende Information ausgehändigt bekommt. Weiter ist der PA auch betroffen von der Hilflosigkeit der Studierenden, die damit sichtlich überfordert ist. Schliesslich fühlt der PA auch Zuversicht, weil sich der Fall als gutes Lernfeld erweisen könnte. 
  • Kognition PA: Der PA realisiert sofort, dass die SAIA unter der Situation stärker belastet ist, als sie zunächst zugibt und er sehr einfühlsam vorgehen muss. Zunächst lobt er die SAIA dafür, dass sie mit dieser herausfordernden Situation zu ihm gekommen ist, damit ein Ausweg gefunden werden kann. Während ihrer Erzählung erfasst der PA ihr befinden und signalisiert ihr mit Hilfe des Spiegelns, Paraphrasierens und Verbalisierens seine unbedingte Wertschätzung. Der PA erkennt in der Situation ein ideales Lernfeld, anhand dessen die SAIA ihre Kommunikation reflektieren kann und lädt sie dazu ein, mit ihm die bisherigen Mails zu analysieren und zu besprechen. 

Zweite Sequenz: Die Kommunikation zwischen Klient und SAIA wird analysiert. 

SAIA und PA lesen die zunächst ausgedruckten E-Mails nochmals durch und markieren sich hervorstechende Aussagen. Der PA empfiehlt der SAIA dabei zu beobachten, was für Emotionen bei ihr auftauchen und sich zu allem Notizen zu machen, was ihr auffällt. 

Reflection in Action zur zweiten Sequenz

  • Emotion SAIA: Stellt fest, dass sie sich in den Klienten einfühlen kann und dass er unter seiner Situation leidet. Die SAIA fühlt sich erleichtert, weil sie erkennt, dass sich möglicherweise die Kommunikation anders entwickelt hätte, wenn sie nicht sofort zurückgeschrieben hätte, sondern sich länger darüber Gedanken gemacht hätte, wie sie antworten solle. Die SAIA fühlt sich erleichtert und wird zuversichtlicher, dass es einen Ausweg aus der Situation geben könnte. 
  • Emotion PA: Ist überrascht, wie schnellt die SAIA aus der zuvor gefühlten Hoffnungslosigkeit herauswachsen kann und sich durch eine Betrachtung auf der Sachebene der Situation neu annähern kann. 
  • Kognition PA: Der PA achtet darauf, dass er nicht belehrend der SAIA sagt, wo sie ungünstig reagiert hatte, sondern lässt sie den Gesprächsverlauf selbständig reflektieren. Auch hier stellt er präzisiserungsfragen und versucht dadurch die Wahrnehmung der SAIA auf die verschiedenen Aspekte der Situation zu lenken. 

Dritte Sequenz: Beurteilung der Kommunikation anhand kommunikationstheoretischen Ansätzen

PA fragt die SAIA, welches Theoriewissen sie zur Kommunikation mit dem Klienten beiziehen kann und bespricht dieses mit ihr. 

Reflection in Action zur dritten Sequenz

  • Emotion PA: Erwartungsvoll darüber, was von der SAIA an Wissen spontan vorhanden ist. Geduldig, um die SAIA nicht unter Druck zu setzen. 
  • Emotion SAIA: Zunächst etwas unsicher und leicht unter Druck gesetzt, weil sie sich nicht blamieren möchte. Dann fortlaufend erleichtert darüber, dass ihr passendes Fachwissen zur Kommunikation einfällt. Zunächst fällt ihr der klientenzentrierte Ansatz von Rogers ein. Es handelt sich hierbei zwar nicht um eine Kommunikationstheorie oder Methode, aber eine empathische Haltung kann als grundlegend bezeichnet werden, um sich in die Situation hineinversetzen zu können. Weiter fallen der SAIA die vier Aspekte (die vier Ohren) der Kommunikation nach Schulz von Thun ein. Sie erkennt, dass im bisherigen E-Mail-Verkehr alle vier Aspekte (Appell, Sachinhalt, Selbstoffenbarung und Beziehungsaspekt). Die SAIA erkennt auch, dass der Beziehungsaspekt erst von ihr selber explizit in die Kommunikation eingebracht worden ist, nämlich als sie den Termin abgesagt hatte. Weiter fällt ihr auf, dass der Klient – besonders in der ersten Mail – sehr sachlich und mit viel Selbstoffenbarung schreibt, aber auch klar an die SAIA appelliert, indem er um einen Vorschuss bittet.
  • Kognition PA: Der PA ist sich bewusst, dass er die SAIA nicht unter Druck setzten darf und dass es nicht einfach ist, von der Praxis nahtlos und ohne Vorwarnung in die Theorie zu wechseln. Der PA möchte aber genau diese Fähigkeit mit der SAIA üben. 

Vierte Sequenz: Die SAIA entwirft eine Antwort an den Klienten

Als nächsten Schritt entwirft die SAIA eine Antwort an den Klienten, bei der sie die diskutierten Erkenntnisse der kommunikationstheoretischen Ansätzen berücksichtigt: 

Sehr geehrter Herr X. 
Die SAIA bedankt sich beim Klienten für seine ausführliche Darstellung seiner Situation. Sie unterstreicht, dass eine solche Offenheit nicht selbstverständlich sei. Für das Vertrauen, das der Klient ihr entgegengebracht habe bedankt sie sich. Sie sehe, dass er sich in einer sehr schwierigen Lage befinden würde und es sei deshalb umso beeindruckender, wie er es schaffe, trotz den Umständen einen Eintritt in eine Klinik zu organisieren. 
Sie erklärt, dass sich seine Kontaktaufnahme mit der internen Fallübergabe gekreuzt hatte und sie deshalb nur unzureichend informiert gewesen sei. Wie der Klient in der E-Mailsignatur vielleicht gelesen habe, sei sie noch in Ausbildung und sie habe sich deshalb an der internen Richtlinie bezüglich Vorleistungen orientiert. Sie habe die Situation nun mit ihrem Praxisausbilder besprochen. Ihre Aussage sei prinzipiell richtig, jedoch sei die Handhabung vom Vorgänger tatsächlich so gewesen, wie der Klient beschrieben habe. Und ohne, dass dem Klient das rechtliche Gehör gewährt wurde, könne die Praxis nicht ohne Vorankündigung geändert werden, wenn er sich darauf eingestellt habe. Es muss dennoch eine Lösung gefunden werden, wie der Klient ohne Vorleistungen die Situation stabilisieren kann. 
Sie möchte deshalb den Klienten nochmals zu einem Gespräch einladen, um das weitere Vorgehen zu besprechen und den Klinikeintritt zu planen. Sie sei sicher, dass in einer persönlichen Beratung eine Lösung gefunden werden könne. Am Gespräch werde ihr Praxisausbilder dabei sein, wenn dies für ihn in Ordnung sei. Sie habe so die Möglichkeit, direkt in seiner Anwesenheit Fragen zu stellen, falls Unklarheiten auftauchen würden. Er solle ihr doch mitteilen, wann es ihm möglich sei, vorbei zu kommen. 
Sie bedankt sich beim Klienten für die Aufmerksamkeit 
Freundliche Grüsse
SAIA

Reflection in Action

  • Emotion PA: Der PA fühlt sich erleichtert, weil er sieht, dass die SAIA das notwendige Fachwissen in Bezug auf die Praxis auch anwenden kann. Er empfindet auch Stolz, als er sieht, dass ein Reflexionsprozess angestossen werden konnte. 
  • Emotion SAIA: Fühlt sich motiviert, den Fall wieder aufzunehmen und an der Beziehungsarbeit mit dem Klienten zu arbeiten. Im Verlauf des Schreibens der Antwort fühlt sie sich sicherer, weil sie nun weiss, wie sie den Klienten abholen kann. 
  • Kognition PA: Der PA bedenkt, dass er die SAIA alleine arbeiten und knobeln lassen muss. Er weisst sie nochmals darauf hin, dass sie die E-Mail nicht in fünf Minuten fertig haben muss, sondern sie sich mit diesem nächsten Schritt der Beziehungsgestaltung Zeit lassen soll. 

5.1    Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?

SAIA: 

  • Warum geht die SAIA nicht auf die vom Klienten ausführlich dargestellte Situation ein? Die SAIA ist nicht in der Lage, unter Stress empathisch auf den Klienten einzugehen und sich unter Zeitdruck in seine Situation zu versetzten. Im Sinne vom personenzentrierten Ansatz nach Rogers ist Empathie eine Grundvoraussetzung dafür, dass die SAIA in der Lage ist, den “inneren Bezugsrahmen” des Klienten nachvollziehen zu können. (Miller & Rollnick, 2013, S. 34). Das Abrufen und Ausdrücken von Empathie in einer Stresssituation setzt Routine und eine gezielte Schulung voraus. Da die SAIA noch nicht auf beides ausreichend zurückgreifen kann, nimmt sie den Appell des Klienten als Bedrohung wahr. Gemäss dem Stressmodell nach Lazarus (vgl. Nolting & Paulus, 2012, S. 188) wird die Hilfeerwartung des Klienten als Stressor wahrgenommen (vgl. Nolting & Paulus, 2012, S. 171), der in grosser Diskrepanz zu den Bewältigungsmöglichkeiten steht, welche die SAIA abrufen kann. Stress entsteht gemäss dem Modell von Lazarus aufgrund von zwei Einschätzungen, welche die Person, die den Stress empfindet, vornimmt. Zuerst entscheidet die Kognition, ob ein wahrgenommener Impuls Relevant ist. Das heisst, ob er einen Verlust, eine Bedrohung oder eine Herausforderung bedeutet, oder ob er irrelevant ist. Trifft letzteres nicht zu, wird eine zweite Einschätzung vorgenommen, die die Wahrnehmung danach beurteilt, ob und wie sie in Bezug auf die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten steht. Die zweite Einschätzung greift dabei zum einen auf intrapersonale Bewältigungsmöglichkeiten wie Kompetenzen, Kontrollüberzeugungen und Reaktionstendenzen zu. Zum anderen werden aber auch extrapersonale Bewältigungsmöglichkeiten wie der sozialen und der physikalischen Umwelt in Betracht gezogen. (vgl. Nolting & Paulus, 2012, S. 188).
    Die SAIA nimmt in ihrer ersten Einschätzung die Situation klar als Bedrohung wahr, weil sie nicht über ausreichend Erfahrung verfügt, womit sie darauf vorbereitet gewesen wäre. In der zweiten Einschätzung beurteilt die SAIA die Situation in Bezug auf Ihre Bewältigungsmöglichkeiten. Sie erkennt, dass sie nicht über ausreichend Kompetenzen für solche Situationen verfügt und kann deshalb nicht auf den Klienten eingehen.
  • Warum sagt die SAIA den zunächst vereinbarten Termin mit dem Klienten wieder ab? Auch hier ergibt die zweite kognitive Einschätzung nach dem Stressmodells von Lazarus, dass die SAIA nicht über ausreichend intrapersonale Bewältigungsmöglichkeiten verfügt und entscheidet deshalb, den Termin abzusagen. Im Unterschied zur Punkt oben, fallen nun der SAIA die extrapersonalen Bewältigungsmöglichkeiten ein, nämlich, dass sie in der sozialen Umwelt – sprich beim PA – Unterstützung holen kann.

 

5.2      Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?

SAIA:

  • Was ist bei der bisherige Kommunikation mit dem Klienten schief gelaufen? Um hier eine Antwort zu erhalten, muss die SAIA ihre bisherige Kommunikation mit dem Klienten analysieren: Die SAIA kann mithilfe des Modells der Vier Ohren von Schulz von Thun (vgl. Schulz von Thun, 1992) die verschiedenen Ebene der E-Mails vom Klienten und ihren Antworten untersuchen. Gemäss Friedemann Schulz von Thun setzt sich menschliche Kommunikation aus einem Sender und einem Empfänger zusammen. Der Kommunikationsinhalt vom Sender an den Empfänger nennt Schulz von Thun “Nachricht” (Schulz von Thun, 1992, S. 25). Diese Nachricht muss vom Empfänger allerdings entschlüsselt werden. Die Herausforderung dabei ist, dass “jede Nachricht stets verschiedene Botschaften gleichzeitig enthält” (Schulz von Thun, 1992, S. 26). Schulz von Thun ordnet die Botschaften einer Nachricht nach vier Aspekten:
    1. Sachinhalt (Worüber informiere ich?)
    Der Klient berichtet der SAIA sehr sachlich von seiner Situation bezüglich dem Klinikaufenthalt, seiner Geldproblematik und der Gesundheitlichen Situation.
    2. Selbstoffenbarung (Was ich von mir selbst kundgebe)
    Dadurch dass der Klient den Sachinhalt sehr ausführlich und informativ darstellt, erfährt die SAIA gleichzeitig auch sehr viel über den Klienten selber. So neigt er offenbar dazu, sich wortreich zu explorieren, er scheint ein gewisses Mitteilungsbedürfnis zu haben. Auch ist zu erfahren, dass er unter starkem Stress stehen muss, aber trotzdem viele Ressourcen abrufen kann, die notwendig sind, um jene aufwändig formulierten Mails zu schreiben. Auch scheint ihm wichtig zu sein, verstanden zu werden.
    3. Beziehung (Was ich von dir halte und wie wir zueinander stehen)
    Die Antwort der SAIA an den Klienten, in der sie ihn darüber informiert, dass sie den Termin abbrechen möchte, ist stark von der Beziehungsebene geprägt. Sie sagt klar, dass sie sich von ihm bedroht fühlt und damit kein guter Beziehungsaufbau möglich sei.
    4. Appell (Wozu ich dich veranlassen möchte)
    Der Appell des Klienten ist klar und deutlich: er möchte eine Vorleistung, wie sie ihm vom zuvor fallführenden Sozialarbeiter versprochen worden sei.
  • Wie hätte die SAIA dem Klienten anders antworten können, so dass sie den Termin nicht hätte absagen müssen und die Kommunikation zu einem konstruktiven Ziel führt? Gesprächstechniken auf die Schriftkommunikation anwenden: Die SAIA kann ihre Empathie zum Ausdruck bringen, indem sie das Leiden und die Wut verbalisiert. Aber sie kann ihn auch loben, spiegeln und paraphrasieren, um ihm ihre Empathie zu Zeigen. 

PA:

  • Wie kann die SAIA die E-Mail-Kommunikation mit dem Klienten systematisch analysieren? Der PA lässt die SAIA ihre eigene Kommunikation systematisch anhand des Vier-Ohren-Modells von Schulz von Thun analysieren. Zunächst muss die SAIA die verschiedenen Botschaften des Geschriebenen in den Mails des Klienten zuordnen. Anschliessend bespricht sie mit ihrem PA die Erkenntnisse. Die Klientin soll lernen, Theoriewissen auf die Praxis und konkrete Fälle anzuwenden. Sie muss ihr Fachwissen verinnerlichen, so dass sie es intuitiv abrufen kann. Ausserdem muss sie lernen, ihre Kommunikation mit dem Klienten zu strukturieren, diese Strukturieren beginnt in einem systematischen Lesen und Zuhören, von Aussagen von Klientinnen und Klienten. 
  • Wie kann die SAIA in der Fähigkeit zur Empathie unterstützt werden? Mit der Methode des bösen und freundlichen Blicks animiert er die SAIA dazu, zwei mal eine klare Position einzunehmen. Zunächst muss sie mit einem “bösen Blick” auf den Fall schauen. Die Impulse hält der PA auf einem Flip-Chart fest. Dann muss sie mit dem “freundlichen Blick” eine empathischen Haltung einnehmen und so den Fall betrachten und gleichzeitig erklären, warum sich der Klient entsprechend verhaltet oder kommuniziert. Die SAIA soll dadurch lernen, ihre eigenen Impulse und Gedanken zu einer Situation beobachten zu können. Dies erhöht ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion. Sie sol lernen, zwischen privater Person und professioneller Person unterscheiden zu können. 

 

5.3      Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?

PA:

  • Der PA weiss, dass die SAIA bereits Erfahrungen mit Kommunikationsproblemen gemacht hat. Es ist ihm bewusst, dass sie gerne dazu neigt, hastig und unstrukturiert in eine Kommunikationssituation zu gehen. Dies ist besonders in Beratungsgesprächen so, aber eben auch in der schriftlichen Kommunikation. 
  • Der PA weiss auch, dass die SAIA prinzipiell schon gute Erfahrungen mit ihrer Fähigkeit zur Empathie gemacht hat. Wenn aber die SAIA unter Stress handeln muss, dann fehlt ihr die Struktur und Ruhe, um zum einen das Fachwissen abzurufen und zum anderen auf ihre Fähigkeit zur Empathie zurückzugreifen. 

 

5.4      Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?

  • Die öffentliche Sozialhilfe ist in ein Gefüge mit mehreren Anspruchstellern gebettet. Es sind zum einen der Klient selber auf der einen Seite und zum anderen das umfangreiche Regelwerk, aus Richtlinien der SKOS, des Kantons und der Gemeinde auf der anderen Seite, welche Ansprüche an die Sozialarbeitenden stellen. Diese Dichotomie zwischen Hilfe und Kontrolle kann eine Herausforderung sein. Deshalb ist ein entwickelter Habitus so eminent wichtig, damit der Ermessensspielraum verhältnismässig und situationsangemessen ausgeschöpft werden kann. 

 

5.5      Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?

  • Empathie in schriftlicher Form ausdrücken können → nur dann kann er glaubwürdig die SAIA dazu anleiten. 
  • Über kommunikative Kompetenzen verfügen wie: verbalisieren, paraphrasieren, W-Fragen, Metakommunikation, Lösen von Zielkonflikten. Er muss diese Kompetenzen auch in der Kommunikation mit der SAIA anwenden, damit sie am “Modell” lernen kann. Ausserdem muss er mit ihr vor und nach Beratungsgesprächen mit Klientinnen und Klienten diese Kompetenzen trainieren. 
  • Textverstehen: Der PA muss Texte verstehen und interpretieren können, er muss die Kommunikation des Klienten wie der SAIA nachvollziehen können. 
  • Fähigkeiten zur Online-Beratung: Eine Beratung per E-Mail funktioniert anders, als eine Beratung per Telefon oder im Klientengespräch. Er sollte dies der SAIA vermitteln können. 
  • Fähigkeiten zur Krisenintervention: Der PA kann die erforderliche Ruhe bewahren und die SAIA in der Krise unterstützen. Er kann die Chancen, welche diese Krise für die Ausbildung bietet, angemessen nutzen. 
  • Fähigkeiten zur professionellen Beziehungsgestaltung: Der PA kann mit der SAIA eine professionelle Arbeitsbeziehung gestalten, in dieser sie die notwendigen Kommunikationstechniken üben kann. 
  • Fallverstehen: Der PA verfügt über ausreichend Erfahrung und Fachwissen in der Fallführung, damit er einen Fall aus der Metaebene betrachten und ihn für die Ausbildung nutzen kann. 
  • Die Fähigkeit, das eigene Handeln professionell begründen zu können und den Handlungsspielraum nutzen zu können: Der PA muss gerade in der Praxisausbildung noch mehr als sonst, sein Handeln fachlich begründen können. 

 

5.6      Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?

  • Die Kommunikation per Mail bietet die Möglichkeit, verzögert und überlegt auf die Schreiben des Klienten zu reagieren und zu antworten.
  • Die existenzielle Funktion der Sozialhilfe ermöglicht eine gute Vernetzung mit beteiligten Partnern wie Ärzte, Kliniken, Beratungsstellen. 
  • Die Richtlinien bieten zwar einen Rahmen, ermöglichen aber auch das Nutzen eines Ermessenspielraumes, der gemäss dem Individualisierungsprinzip angepasste Lösungen möglicht macht. 

 

5.7      Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?

Die Sozialhilfe bezieht sich grundsätzlich auf die ethischen Grundwerte der allgemeinen Menschenrechte. Diese sind in den Richtlinien der SKOS spezifischer für das berufliche Handeln formuliert. Ferner liefert der Berufskodex von Avenir Social einen Rahmen für die tägliche Praxis. 

  • Das Handeln in dieser Situation basiert auf unbedingter Wertschätzung gegenüber dem Menschen. Der Fokus ist ressourcen- und lösungsorientiert. 
  • Das Ziel ist es zunächst, die gesundheitliche Situation des Klienten stabilisieren, damit in einem nächsten Schritt die gesellschaftliche Inklusion und Integration in den Arbeitsmarkt angesteuert werden kann. 
  • Erwartungen im Spannungsfeld HS, Praxisausbildungsplatz, PA, Studi sind geklärt:
    Die SAIA weiss, dass von der Hochschule erwartet wird, dass Studierende der Sozialen Arbeit über das Fachwissen von Kommunikationstechniken und Methoden verfügen. Der Theorie-Praxis-Transfer muss gelingen. Das Sozialamt erwartet, dass eine Sozialarbeiterin sich ausreichende kommunikative Kompetenzen aneignet und diese anwendet. Der PA erwartet, dass die SAIA rechtzeitig Hilfe holt und nicht selber vor sich hinbastelt, bis es gar nicht mehr geht. 
  • Kooperationsbereitschaft zwischen Studi und PA bleibt bestehen (wertschätzend):
    Schlüsselsituationen in der Praxisausbildung dürfen nicht dazu führen, dass das ausbildnerische Arbeitsbündnis sabotiert wird. Die Schlüsselsituation wird also nicht dazu missbraucht, um der SAIA zu demonstrieren, was sie falsch gemacht hat und welche Defizite sie noch hat, sondern sie wird als idealtypische Lernumgebung verstanden, die es der SAIA ermöglicht, die Praxis theoretisch zu untermauern und die Theorie praktisch umzusetzen. 
  • Arbeitsbündnis ist hergestellt bzw. bleibt bestehen, ist gefestigt:
    Durch das systematische Aufarbeiten des Falles und des eigenen Handelns erlebt die SAIA die Praxisausbildung des PAs als Förderung der eigenen vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen, die ihr ermöglichen, anders und selbstsicherer an andere Fälle heranzugehen. Durch diese Erfahrung wird das Arbeitsbündnis gefestigt. 
  • Reflexionsfähigkeit ist gefördert:
    Die strukturierte Analyse der Kommunikation der Fallbetrachtung unter dem “bösen & freundlichen Blick” hat zum Ziel, die Reflexionsfähigkeit der SAIA nachhaltig zu fördern. Die SAIA sollte sich selber in Zukunft besser im Handeln reflektieren können und lernen eine Metaebene einzunehmen. 
  • Prinzipien der Personen-Zentriertheit – Gesprächsführung sind realisiert:
    Der PA hat im Gespräch über die Analyse des Falles die Prinzipien der personenzentrierten Gesprächsführung angewendet. Er hat der SAIA in ihren Schilderungen achtsam zugehört – er war ihr bedingungslos positiv zugewandt -, ist ihren Ausführen mit Empathie begegnet und war in seinem Feedback durchgehend kongruent. 
  • PA nimmt ihre Verantwortung als GestalterIn der Lernprozesse wahr:
    Der PA hat sich der Schlüsselsituation mit hoher Priorität und grossem Engagement gewidmet. Er sah die Krise, in der sich die SAIA befand, sah aber auch das Lernpotential, das die Situation zu bieten hatte. 
  • Verantwortlichkeiten der Beteiligten sind geklärt:
    Der PA ist sich seiner Verantwortung der Notwendigkeit seiner Ausbildungsfunktion bewusst. Die SAIA realisiert, dass sie, obwohl sie über eine ausgebaute Routine im Tagesgeschäft auf dem Amt verfügt, noch viel lernen muss und auch zum Lernen hier ist. 
  • PA nimmt ihre Funktion als Überprüfungsinstanz verschiedenster Prozesse wahr:
    Der PA weiss, dass er sowohl den Ausbildungsprozess, wie auch den eigentlichen Fall im Auge behalten muss. Der Klient darf nicht für die Ausbildung instrumentalisiert werden. Weiter müssen die Rahmenbedingungen und Richtlinien des Amtes berücksichtigt werden. 
  • Bedingungen für die Weiterentwicklung für die berufliche Identität (Habitus) sind gegeben:
    Durch die auf die reale Praxis bezogene Anwendung theoretischen Wissens, findet eine Habitualisierung statt. Diese zeigt sich darin, dass die SAIA in zukünftigen, ähnlichen Fällen vermehrt aus ihrem Habitus heraus arbeiten kann. Ihr Handeln ist vermehrt dadurch gekennzeichnet, dass es fachlich begründet werden kann und dass sie das Verhalten eines Klienten erklären kann, ohne in der Theorie recherchieren zu müssen. Das Theoriewissen ist mit dem Praxiswissen zunehmend gekoppelt. 
  • Theorie-Praxis-Rationierung findet statt:
    Die in der Schlüsselsituation angewendeten Kommunikationstechniken und Methoden verschmelzen mit der Praxis und werden selbstverständlich angewendet. Die Kommunikation der SAIA basiert zunehmend auf einer empathischen Haltung und die Kommunikation wandelt sich von einer Alltagskommunikation zu einer beratenden Kommunikation. 
  • Es wird thematisiert, wie Auszubildende Lernanregungen in ihr professionelles Handeln integrieren können:
    Der PA bespricht die Schlüsselsituation mit der Leitung des Amtes, weil sie exemplarisch aufzeigt, wie wichtig eine fundierte und sorgfältige Praxisausbildung auch für Studierende im studienbegleitenden Studiengang ist. Die Praxisausbildung der studienbegleitenden Mitarbeitenden neigt zuweilen dazu, vernachlässigt zu werden, weil diese angehenden Sozialarbeitenden schnell über eine selbstständige Arbeitsroutine verfügen. 
  • Dem Klienten wird Wertschätzung und Verständnis für seine Situation entgegengebracht:
    Durch Kommunikationstechniken und -Methoden wird dem Klienten in schriftlicher Form zunächst Verständnis für seine Situation zum Ausdruck gebracht. Es wird ausformuliert, dass die PSA verstanden hat, dass er sich in einer Krise befindet und dafür eine Lösung braucht. Weiter wird der Klient dafür gewürdigt, dass er sein Anliegen offen äussert und offenkundig bemüht ist, seine Situation zu verändern. Dies geschieht dadurch, dass seine Ausführungen im Antwortschreiben in den eigenen Worten durch die PSA paraphrasiert werden. Damit ist sichergestellt, dass der Klient richtig verstanden worden ist und keine Missverständnisse die weitere Kommunikation behindern. 
  • Durch die detaillierte Beschreibung der bereits unternommen Lösungsversuche in Bezug auf die Organisation eines Therapieplatzes, muss davon ausgegangen werden, dass der Klient bemüht ist, an seiner Situation etwas zu verändern und in diesem Bemühen wird ihm ein Vertrauensvorschuss gewährt:
    Dieser Qualitätsstandard ist eine grundlegende Frage der Haltung und des Habitus des/der PSA. In der Praxis bedeutet er, dass dem Klient mit einem Vertrauensvorschuss begegnet wird. Seine Appelle werden zunächst nicht nur als Forderungen verstanden, über deren Berechtigung entschieden werden muss, sondern sie werden als einen Lösungsversuch von Seite des Klienten verstanden und gewürdigt. Das Fachwissen in Bezug auf Copingstrategien ist hilfreich, um zu verstehen, warum ein Klient seine Situation anders zu bewältigen versucht, als allgemein als richtig beurteilt werden würde. 
  • Die Rolle und der Auftrag des Sozialamtes und der Sozialarbeiterin werden geklärt:
    Die bisherige Kommunikationsstruktur zwischen SAIA und KL wird auch dadurch durchbrochen, indem die SAIA/PSA dem Klienten ihre Rolle und ihre Möglichkeiten innerhalb ihres Auftrages und des Amtes soweit wie nötig und möglich erläutert. Darauffolgend kann die PSA dem Klienten den Möglichkeitsraum erläutern, der Fokus liegt dabei naheliegenderweise nicht auf dem, was nicht im Rahmen des möglichen ist, sondern auf dem was möglich ist. Diese Klärung der Rolle und des Auftrages ist stringent, weil jegliche Erläuterungen begründet werden. Dadurch wird verhindert, dass der Klient im Gefühl bestärkt wird, einem Verwaltungsapparat ausgeliefert zu sein und der mögliche Handlungsrahmen wird für ihn nachvollziehbar. 

PA:
Der PA würde der SAIA zu Beginn der Zusammenarbeit deutlicher kommunizieren, dass er erwartet, dass sie mit Fallfragen zeitnah kommt und nicht knobelt, bis sie nicht mehr weiter weiss. 

SAIA:
Die SAIA würde vermutlich frühzeitiger mit dem Fall auf den PA zugehen, bevor die Kommunikation ausser Kontrolle gerät. Es wäre sinnvoll, wenn sie schon nach der ersten Anfrage, um eine finanzielle Vorleistung, den Fall mit dem PA besprechen und rekonstruktiv wie progressiv betrachten würde. 

  • Nolting, H.-P., & Paulus, P. (2012). Psychologie lernen: Eine Einführung und Anleitung (Neuausgabe). Weinheim Basel: Beltz.
  • Becker-Lenz, R., & Müller, S. (2008). Der professionelle Habitus in der Sozialen Arbeit: Grundlagen eines Professionsideals. Bern ; New York: Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften.
  • Miller, W. R., & Rollnick, S. (2013). Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing: 3. Auflage des Standardwerks in Deutsch (4., Übersetzung der 3. amerik. Auflage). Freiburg im Breisgau: Lambertus.
  • Schulz von Thun, F. (1992). Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation (48. Aufl.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch.

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