IN DER VORLIEGENDEN SCHLÜSSELSITUATION STEHEN DREI PERSONEN IM VORDERGRUND: DIE KLIENTIN, DIE STUDIERENDE, SOWIE DIE PRAXISAUSBILDNERIN. DIESE INTERAGIEREN UNTEREINANDER UND STEHEN ZUEINANDER IN BEZIEHUNG. IN DEN NACHSTEHENDEN AUSFÜHRUNGEN WIRD DER FOKUS JEDOCH HAUPTSÄCHLICH AUF DIE HANDLUNGEN DER STUDIERENDEN UND DER PRAXISAUSBILDNERIN GESETZT.
5.1 Erklärungswissen – Warum handeln die Personen in der Situation so?
5.1.1 Warum haben Menschen ein Bedürfnis nach sozialer Interaktion und Kommunikation?
Jeder Mensch stellt ein eigenständiges Individuum dar, welches gewisse Interessen besitzt. Bestimmte Interessen können jedoch nicht alleine verfolgt und vor allem befriedigt werden. Damit das Bedürfnis trotzdem befriedigt werden kann und somit das Ziel erreicht wird, muss sich das Individuum mit anderen zusammen tun. Diese Wechselwirkung entsteht aus bestimmten Trieben oder Zwecken heraus. Die Triebe und Zwecke, welche die Individuen haben, bedingen somit eine Gemeinschaft oder eine „Gesellschaft“, denn man muss mit anderen Menschen in Kontakt treten, um das Ziel zu erreichen. Die Menschen, mit denen man sich verknüpft, müssen allerdings die gleichen Interessen vertreten. Somit können Menschen gefunden werden, die für dasselbe Ziel kämpfen. Durch diesen Hintergrund entsteht eine Interaktion und damit verbunden eine Kommunikation, denn Interaktion und Kommunikation bedingen sich gegenseitig (vgl. Simmel, 1917).
Die Studierende übernimmt am Mittagstisch die Gesprächsführung. Sie tritt direkt mit einer Klientin inKommunikation. Doch was war die Intention der Studierenden? Wieso sprach sie dieses Thema an. Nach Simmel (1917) handelte die Studierende aus einem Trieb oder Zweck heraus. Die Studierende wollte also eine gewisse Absicht erzielen. Die Absicht lässt sich hier nicht auf den ersten Blick erkennen, denn es handelt sich um eine alltägliche Situation. In dieser Situation spielen auch gesellschaftliche Werte und Verhaltensvorstellungen eine Rolle, die die Studierende in sich trägt. Eine weit verbreitete Vorstellung ist beispielsweise, dass man sich am Mittagstisch unterhält. Es kann daher angenommen werden, dass die Studierende der Klientin eine gewisse gesellschaftliche Norm nahe legen will und ihr aufzeigt, dass es in der heutigen Gesellschaft dazugehört, dass sich Menschen am Tisch unterhalten. Dadurch wird versucht, den Handlungsspielraum der Klientin zu erweitern, sowie die Klientin nach dem Normalisierungsprinzip zu behandeln. Der Zweck der Studierenden wird somit klarer und zeigt auf, dass sie der Klientin handlungskonformes Verhalten mit auf den Weg geben will, damit sie sich in der Gesellschaft besser zurecht finden kann.
5.1.2 Wieso behält die Praxisausbildnerin die beobachtende Rolle bei?
Beobachtung ist ein methodisches Vorgehen, welches in der Sozialforschung häufig genutzt wird. Hierbei geht es nicht nur um die visuelle Wahrnehmung, sondern auch solche, die auf Hören, Fühlen und Riechen beruhen. Es gibt fünf Dimensionen des Beobachtungsverfahrens:
1. Verdeckte versus offene Beobachtung
2. Nicht-teilnehmende versus teilnehmende Beobachtung
3. Systematische versus unsystematische Beobachtung
4. Beobachtung im natürlichen versus unnatürlichem Setting
5. Selbst- versus Fremdbeobachtung
Hinzu kommt, dass der Beobachter oder die Beobachterin in unterschiedlichen Graden am Geschehen teilnehmen kann. Als erstes sind die vollständigen Teilnehmenden zu nennen. Wie der Name sagt, sind diese Teilnehmenden vollständig in das Geschehen eingebunden. Die Teilnehmer- als-Beobachter sind in eine Situation eingebunden, beobachten das Geschehen jedoch zusätzlich. Als dritte Stufe sind die Beobachtenden-als-Teilnehmende zu nennen. Diese sind hauptsächlich zur Beobachtung da, sind aber trotzdem in die Situation mit eingebunden. Als letzte Form werden die vollständigen Beobachtenden genannt. Diese haben Distanz zur beobachteten Situation, damit sie diese nicht beeinflussen (vgl. Flick, 2007).
Da die Situation spontan entsteht, beschliesst die Praxisausbildnerin, dass sie der Studierenden nicht mitteilt, dass sie die Mittagstischsituation mit der Klientin beobachten wird. Die Beobachtung findet somit verdeckt statt und die Studierende, sowie die Klientin wissen nicht, dass sie beobachtet werden. Die Praxisausbildnerin war in eine teilnehmende Beobachtung verwickelt, die sie jedoch unsystematisch beobachtete. Dies, weil der Entschluss zur Beobachtung spontan war und sie sich im Vorhinein keinerlei Vorlagen zur Dokumentation, noch Kriterien zur Beobachtung machen konnte. Die Beobachtung fand jedoch in einem natürlichen Setting statt. Weiter war es eine Fremdbeobachtung, da die Praxisausbildnerin eine Interaktion zwischen einer Klientin und der Studierenden beobachtete. Weiter lässt sich sagen, dass die Praxisausbildnerin als Beobachterin-als-Teilnehmende in das Geschehen eingebunden war. Dies bedeutet, dass sie zwar an der Situation teilhatte, dass sie diese jedoch nicht beeinflusste, da sie sich nicht in das Gespräch eingriff. Dies war der Praxisausbildnerin wichtig, da sie die Situation nicht verfälschen wollte. Die Praxisausbildnerin hätte ihre Rolle als Beobachterin jedoch verlassen, wenn sie gesehen hätte, dass die Studierende mit der Situation überfordert gewesen wäre. Weiter zeigte die Praxisausbildnerin der Studierenden an, dass sie trotz einer anderer Rollenübernahme (Beobachterin) da ist.
Zur weiteren Beantwortung der Frage, wieso die Praxisausbildnerin die beobachtende Rolle beibehält, wird Bezug auf die Theorie „Lernen am Modell“ von Albert Bandura (197) genommen.
Bandura (1979) proklamiert, dass ein Individuum durch die Beobachtung eines anderen Individuums seine Verhaltensweisen verändert oder neue Verhaltensweisen annimmt. Hinter dieser Theorie steckt also ein kognitiver Prozess, welcher die Lernenden (Beobachtenden) durchlaufen müssen. Vier Phasen des Modelles sind dabei von Wichtigkeit:
1. Das Modell (beobachtete Person) benötigt die Aufmerksamkeit der Lernenden
2. Die Lernenden müssen die wichtigsten Elemente der Handlung kodieren
3. Die Verhaltensweise muss vorstellungsmässig reproduziert werden können
4. Durch die positive stellvertretende Verstärkung bzw. Belohnung wird der Lernende die Verhaltensweise nachahmen
Diese Punkte bedingen die Aneignungs-, sowie die Ausführungsphase. Dies bedeutet, dass sich die Lernenden (Beobachtenden) die gewünschte Verhaltensweise aneignen (Identifikation mit dem Modell, Aufmerksamkeit auf Modell gerichtet usw.) und sie danach auch ausführen können (motorische Reproduktions- und Motivationsprozesse).
Da die Studierende bereits seit 2010 in der Stiftung arbeitet und die Verhaltensweisen von der Klientin bekannt sind, hat die Studierende bei vielen verschiedenen Mitarbeitenden gesehen, wie sie in solchen Situationen reagieren. Auch die Praxisausbildnerin hatte schon mehrere solche Situationen durchlebt und sie, in Anwesenheit der Studierenden, gelöst und danach mit der Studierenden besprochen (wieso hat die Praxisausbildnerin so gehandelt und was gäbe es für Alternativen). Die Studierende besitzt also ein breites Repertoire an Lösungsansätzen, die sie sich im Laufe der Zeit, durch Modelllernen, angeeignet hat. In dieser Situation konnte die Praxisausbildnerin der Studierenden zutrauen, dass sie die Situation meistert.
5.1.3 Wie lassen sich Eskalationen/Probleme wahrnehmen?
In diesem Punkt geht es um das Wahrnehmen von bevorstehenden Eskalationen und/oder Problemen. Hierbei wird der Kommunikation, vor allem der nonverbalen Kommunikation, einen hohen Stellenwert eingeräumt. Watzlawick et al. (1969) hat dazu fünf Axiome aufgestellt:
1. Man kann nicht nicht kommunizieren
2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt
3. Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung
4. Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten
5. Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär
Hierbei ist das erste Axiom ein ausschlaggebendes, denn es bedeutet, dass ein Individuum still da sitzen kann und es trotzdem kommuniziert. Das Verhalten des Individuums ist nonverbal, gibt aber Aufschluss über seinen Gemütszustand.
Weiter ist es für das Individuum schwieriger eine nonverbale Kommunikation zu erkennen oder zu verstehen, da diese mehrdeutig . Bei einer nonverbalen Kommunikation bleibt für das Gegenüber viel mehr Interpretationsspielraum offen. Das Augenmerk wird aber besonders dann auf das nonverbale Verhalten gelegt, wenn es darum geht die „wahren“ Absichten zu erkennen (vgl. Ellgring, 1986).
Die Klientin äusserte nonverbale Signale, in dem sie die Lippen zusammen presste, die Hände faltete und den Kopf schüttelte. Diese nonverbalen Signale sind relativ eindeutig und deuten auf eine Verneinung hin. Hinzu kommt, dass die Klientin diese nonverbalen Signale bei solchen Themen öfters sendet. Die Studierende kannte diese nonverbalen Signale bereits und konnte sie sofort einordnen. Weiter kommentierte die Klientin die nonverbalen Signale kurz darauf verbal. Die Studierende konnte durch die nonverbale Kommunikation der Klientin wahrnehmen, dass es kurze Zeit später zu einer Eskalation kommen würde.
5.1.4 Wie lassen sich die Eskalationen/Probleme lösen?
Bei der Theorie „Lernen nach Versuch und Irrtum“ geht es darum, dass Individuen durch Ausprobieren lernen. Hierbei gibt es einen gewissen Reiz (Problem), der eine gewisse Reaktion auslöst. Für ein Problem gibt es immer ein grosses Repertoire an Lösungsversuchen. Beim „Lernen nach Versuch und Irrtum“ finden die Individuen meistens unverhofft eine Lösung. Durch diese positive Überraschung werden die Individuen dazu motiviert, dasselbe Problem noch einmal zu lösen. Die Problemlösung stellt somit eine Verstärkung oder Belohnung dar, wobei der Lösungsweg nicht sofort erkannt wird. Beim zweiten Versuch sieht es jedoch bereits anders aus. Die Individuen schränken die Lösungsansätze ein. Weiter versuchen die Individuen eine geordnete Abfolge von Lösungsschritten zu erlernen, wobei Zwischenzustände zu erreichen sind. Diese Zwischenziele verstärken wiederum das Lernverhalten der Individuen. Die Reiz-Reaktions-Verbindungen werden vor allem erlernt, wenn sie mit Befriedigung verbunden sind oder diese unmittelbar ausgelöst wird. Eine Verbindung wird geschwächt, wenn sie mit negativen Reizen (Unbehagen) verbunden ist (vgl. Steiner und Hermann, 2007).
Die Studierende fing mit einer Klientin ein Gespräch an. Es zeigte sich schnell, dass die Klientin mit der Aussage der Studierenden nicht zufrieden war. Sie reagierte mit Verneinung und teilte der Studierenden mit, dass sie nicht zu ihren Eltern nach Hause will. Dies stellte sich als Reiz oder Problem für die Studierende dar, was in dieser Situation gelöst werden musste. Die Studierende versuchte einen ersten Lösungsansatz, indem sie nachfragte, wieso denn die Klientin nicht zu ihren Eltern will. Die Klientin reagierte darauf wie zu Beginn, schüttelte vehement den Kopf und sagte immer wieder, dass sie nicht nach Hause gehen will. Die Studierende erkannte, dass die Frage nicht den erwünschten Erfolg brachte. Sie versuchte eine neue Lösungsvariante und schwieg. Doch auch dies war nicht die richtige Lösung. Die Klientin wurde nun ängstlich – fast panisch – und die Studierende versuchte es noch einmal mit der Frage, wieso sie denn nicht zu ihren Eltern möchte. Es kam zur gleichen Reaktion der Klientin, wie beim ersten Mal fragen. Die Studierende suchte einen anderen Lösungsweg und zeigte ihr auf und versuchte es mit Erklärungen und dem Aufzeigen, dass sie jedes zweite Wochenende zu ihren Eltern gehe und sie sich auch immer darauf freue. Doch auch dieser Ansatz griff nicht. Die panische Fragerei der Klientin geht weiter, so dass es die Studierende mit einem bestimmten Ton versucht, sie aus dem „Teufelskreis“ heraus zu holen. Auch diese Lösungsvariante nützt nichts. Die Studierende teilt ihr dann mit, dass sie am Wochenende nicht zu ihren Eltern fährt. Daraufhin ist die Klientin beruhigt und sitzt entspannt und fröhlich am Mittagstisch.
Würde man die Theorie „Lernen nach Versuch und Irrtum“ nun strickte anwenden, würde das bedeuten, dass die Studierende der Klientin in solchen Situationen nicht mehr die Wahrheit sagt, denn alle anderen Lösungsansätze haben nicht funktioniert und die Studierende müsste dies nun mit negativer Erfahrung verbinden, was die Reiz-Reaktion-Verbindung schwächt.
Weiter lässt sich in diesem Teil der Arbeit ebenfalls mit der Theorie „Lernen am Modell“ argumentieren. Da diese Theorie jedoch bereits unter Punkt 5.1.2 besprochen wurde, wird sie hier nicht mehr aufgeführt.
Die Studierende wendet in dieser Situation der Eskalation die Theorie „Lernen am Modell“ an. Da sie bereits mehrere dieser Situationen beobachtet hat, hat sie ein gewisses Repertoire an Handlungsspielräumen und kann diese nun anwenden. Da die Klientin auf die Mitarbeitenden unterschiedlich reagiert und unterschiedliche Beziehungen zu ihnen hat, kann es dazu kommen, dass gewisse Lösungsansätze die bei einem Mitarbeitenden greifen, bei der Studierenden nicht funktionieren.
5.2 Interventionswissen – Wie kann ich als professionelle Fachperson handeln?
Als Praxisausbildnerin ist es von Wichtigkeit, dass für die Studierende natürliche Übungssituationen entstehen, die sie in einem geschützten Rahmen machen kann. Dies bedeutet, dass in solchen Situationen immer jemand dabei ist und dass die Studierende Fehler machen darf. Durch solche Übungssituationen kann die Studierende verschiedene Erfahrungen machen und dadurch Lernen. Durch diese Erfahrungen und Lernsituationen werden wiederum verschiedene Strukturen des Verhaltens und Denkens bei der Studierenden aufgebaut. Weiter muss das Problem als lebendig empfunden werden, damit die Studierende die Motivation hat, dieses auch zu lösen. Lebendig bedeutet, dass es das Interesse bei der Studierenden wecken muss. Damit das Problem aber gelöst werden kann, müssen die Praxisausbildenden den Studierenden gewisse Hilfsmittel mit auf den Weg geben (Methoden, Lösungsansätze, Feedback, Reflexion). Die Studierende legt sich im Verlaufe der Zeit ein immer grösseres Repertoire an Verfahren, Methoden und Begriffen zu.
Stellt sich der Studierenden also ein „echtes“ Problem, so ist ihr Interesse geweckt und sie will das Problem lösen. Je neugieriger sie ist, desto tiefer wird das Problem auch angegangen und schliesslich gelöst. Durch das Bearbeiten des Problems entsteht eine immer grösser werdende Einsicht und mit der gefundenen Lösung eine geistige Befriedigung. Durch diesen Erfolg ist die Studierende wieder angespornt weitere Probleme zu lösen (vgl. Aebli, 2011).
Die weitere Aufgabe der Praxisausbildnerin für einen guten Lernprozess der Studierenden ist dass sie so wenig wie möglich, aber so viel als nötig hilft. Denn nur so bleibt das Interesse der Studierenden geweckt und will das Problem selbst lösen. Es ist jedoch wichtig, dass das Problem nicht zu einfach, aber auch nicht zu schwierig zu lösen ist. Das Problem muss eine „optimale Passung“ haben. Denn beide Varianten wären für die Studierende wenig motivierend. Weiter soll das Problem von der Studierenden gelöst werden, so lernt die Studierende unterschiedliche Problemtypen zu meistern und die Praxisausbildnerin lernt das Denken und die Lösungsstrategien der Studierenden kennen. Ebenfalls ist die „Arbeitsrückschau“, also eine Reflexion, besonders wichtig. Hierbei geht es darum, dass die Studierende das Problem nicht nur in Einzelteilen, sondern im Grossen und Ganzen sieht. Ist ein Problem tiefgründig gelöst und verstanden worden, so ist die „geistige Beweglichkeit“ grösser. So kann sie in Zukunft die Problemlösung auf ähnliche Situationen anwenden. Aber auch die Planung von Handlungen sollte immer wieder hinterfragt und gegebenenfalls geändert werden. Auch dazu gehört eine Reflexion zwischen den einzelnen Teilschritten einer Problemlösung (vgl. Aebli, 2011).
Mit der Eskalation des Gesprächs zwischen der Studierenden und der Klientin ist für die Studierende ein Problem aus einer natürlichen Situation entstanden. Das Problem wurde also nicht künstlich „hergestellt“, sondern ergab sich aus einem alltäglichen Geschehen heraus. Die Studierende hat sich dieses Problem sogar selbst gestellt. Die Motivation muss somit gross sein, dieses zu lösen.
Da die Studierende bereits mehrere solche Gespräche mit der Klientin und anderen Mitarbeitenden beobachten konnte und auch darüber in Teamsitzungen und Supervisionen gesprochen wurde, hatte sie verschiedene Verhaltensweisen und Methoden, wie sie die Situation angehen könnte. Weiter wurde sie von der Praxisausbildnerin begleitet, auch wenn diese sich zurückgezogen hat und die Studierende nur so viel als nötig unterstützt hat. Dies zeichnete sich durch die klare Präsenz und den ständigen Blickkontakt mit der Studierenden aus. Es war zu beobachten, dass das Problem für die Studierende nicht zu einfach, aber auch nicht zu schwierig war.
Es war zu sehen, dass sich die Studierende verschiedene Lösungsstrategien zurechtgelegt hat und diese auch ausprobierte. Dabei wurde beobachtet, dass die Studierende nicht aufgab, sondern dass sie das Problem anging. Als sie schliesslich zu einer Lösung kam, sah man ihr die Erleichterung an. Es ist anzunehmen, dass sich die Studierende in einer künftig ähnlichen Situation an diese Lerneinheit erinnert und sich der Lösungsstrategien von damals bedient.
Weiter ist erkennbar, dass die Studierende ihr Handeln immer wieder reflektiert und neue Lösungsansätze ausprobiert hat. Am Schluss war ein Gespräch über die Situation mit der Praxisausbildnerin vorhanden.
Weiter muss die Praxisausbildnerin in dieser Situation die Kompetenz besitzen, eine Situation, an der sie selbst beteiligt ist, zu beobachten und sich ein Stück weit aus der Situation zurück zu nehmen. Dies erfordert eine hohe Selbstdisziplin, sowie Geduld. Sie muss auch wissen, wann sie eingreifen muss und wann sie die Situation mit der Studierenden alleine laufen lassen kann. Dies ist für die Praxisausbildnerin nicht ganz einfach und stellt auch eine „Zerreissprobe“ dar.
Selbstverständlich gehört zum professionellen Handeln der Praxisausbildnerin, dass sie sich und Situationen reflektieren kann. Nur wenn die Praxisausbildnerin die Reflexion sehr gut beherrscht, kann sie sie auf andere Situationen und Mitarbeitende übertragen und deren Handlungen und Lösungsansätze nachvollziehen. Falls dies der Fall ist, kann auch eine positive Feedback-Kultur gelebt werden. Unter Feedback-Kultur wird ein regelmässiger Gebrauch von Feedbacks verstanden, welches zur Reflexion und Verbesserung der professionellen Tätigkeit beiträgt. Das Feedback ist eine subjektive Rückmeldung und keine objektive Beurteilung. Somit ist es der Beginn zu einer Diskussion und nicht ein einseitiges Urteil. Die Personen, welche das Feedback geben, müssen sich bewusst sein, dass ihre Beobachtungen durch eigene Wertvorstellungen geprägt sind. Daher ist es von Wichtigkeit, dass die Personen eine Situation, die Aufmerksamkeit ausgelöst hat, wertefrei beschreiben und nicht bewerten. Das Feedback folgt vier Grundpfeilern:
1. Konkrete Beschreibung von Verhalten
2. Trennung von Wahrnehmung und Bewertung
3. Wohlwollende Grundhaltung
4. Rasches Feedback (vgl. Keller, 2005).
5.3 Erfahrungswissen – Woran erinnere ich mich, was kenne ich aus ähnlichen Situationen?
Fakten aus dem eigenen Erleben und dem der Arbeitskolleginnen und -kollegen
Die Klientin zeigt dieses ängstliche, fast panische Verhalten ab und zu. Der Klientin kann es sehr gut gehen und sie kann lachen und erzählen. Fällt ein bestimmtes Wort oder wird sie direkt angesprochen, kann es sein, dass sie derart reagiert. Sie beginnt immer wieder nachzufragen, beginnt zu schreien und zu weinen. Hierbei handelt es sich vor allem um folgende Themen: Arzt, Zahnarzt, Spital, schwimmen und Therapiebad.
Diese Stimmungsschwankungen und das wiederholende Nachfragen zeigt sie bei allen Mitarbeitenden. Es ist aber so, dass sie es bei den einen Mitarbeitenden vermehrt aufzeigt und bei den anderen weniger.
Es gibt unterschiedliche Lösungsansätze, wie mit dieser Situation umgegangen werden kann. Zum einen kann man sie versuchen zu beruhigen, in dem man ihr die Sachlage erklärt (Z. B.: „Du musst nicht zum Zahnarzt, sondern eine andere Klientin“). Diese Strategie nützt, wenn sie wirklich nicht zum Zahnarzt muss. Weiter kann man sie auf ihre Pictos verweisen und diese mit ihr anschauen und besprechen. Meistens lässt sie sich nicht darauf ein und fährt dann mit ihren Fragen weiter. Auch gibt es die Möglichkeit in aller Ruhe die Situation zu erklären. Auch das hilft der Klientin meistens nicht. Ebenfalls kann man in einer bestimmteren Stimme sagen, dass wir es ihr nun erklärt haben und dass sie ruhig sein soll oder wir schicken sie sogar in ihr Zimmer. Eine weitere Variante wäre, dass der andere Mitarbeiter oder die andere Mitarbeiterin eingreifen würde, so dass die Klientin aus dem
„Teufelskreis“ herausgenommen werden könnte.
Die Erfahrung zeigt, dass sich die Klientin vor allem dann beruhigen kann, wenn man ihr nicht die Wahrheit sagt. Also beispielsweise, dass sie nicht zu ihren Eltern gehen muss und sie dann aber trotzdem geht. Hier müssen die Mitarbeitenden abwägen, ob es für die Klientin Sinn macht, dass sie sich aufregt und panische Zustände erreicht oder ob es besser ist, wenn man ihr nicht die Wahrheit sagt und sie dafür ruhig bleiben kann. Vor allem wissen die Mitarbeitenden, dass die Klientin, wenn es soweit ist, sehr gerne zu ihren Eltern geht. Hier müssen die Mitarbeitenden abschätzen, was für die Klientin mehr Lebensqualität bedeutet.
5.4 Organisations- und Kontextwissen – Welche Rahmenbedingungen beeinflussen mein Handeln?
Die Stiftung hat seit September 2014 ein neues Leitbild. Hier vermittelt sie allen Mitarbeitenden der Stiftung, welches den Auftrag der Organisation darstellt.
Unsere Vision:
- Wir schaffen Lebensqualität für Menschen mit Beeinträchtigungen.
Unsere Mission:
- Wir sind der führende Anbieter für umfassende sonderpädagogische Leistungen im Kanton Aargau. Wir verfügen über herausragende sonderpädagogische Kompetenzen und eine hohe Dienstleistungsorientierung.
- Wir übernehmen Verantwortung für unsere Entscheide, handeln nach unternehmerischen Grundsätzen und zeichnen uns durch Qualität und Effizienz aus.
- Wir handeln achtsam und respektvoll gegenüber allen unseren Anspruchsgruppen.
Unsere Werte:
- Kompetenz ist unsere starke Basis.
- Innovation sichert die Leistungen von morgen.
- Verantwortung schafft nachhaltige Werte
Unsere Leitsätze:
- Wir zeichnen uns durch Kompetenz, Qualität, Respekt und Zusammenarbeit aus.
- Unser Handeln bezieht Werte, Haltungen und Trends in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ein.
- Alle Aktivitäten und ihre systematische Umsetzung basieren auf den Elementen der Nachhaltigkeit.
- Allen Anspruchsgruppen begegnen wir verantwortungsbewusst und wertschätzend.
- Als zuverlässige Partnerin engagieren wir uns wirkungsvoll in Gesellschaft und Politik.
- Unsere Arbeit ist geprägt von Selbstverantwortung, Engagement und Fokussierung.
- Wir bilden uns kontinuierlich weiter und reflektieren unser Handeln.
- Fachwissen wenden wir unter Einbezug der Erfahrungen aus der Praxis an. (vgl. Leitbild der S. S., 2014)
Dieses Leitbild beeinflusst die Handlungen der Mitarbeitenden insofern, dass sie sich daran orientieren. Der Hauptgedanke für die Arbeit wird in der Vision sehr schön zusammengefasst. „Wir schaffen Lebensqualität für Menschen mit Beeinträchtigung.“ Und dies ist auch der Leitgedanke für unser Team. Das Klientel steht im Mittelpunkt und es wird so gearbeitet, dass dieser Gedanke auch eingehalten wird. Dies bedeutet, dass individuell auf das Klientel eingegangen wird und dass sie gefördert, aber nicht überfordert werden.
5.5 Fähigkeiten – Was muss ich als professionelle Fachperson können?
Eine erste wichtige Fähigkeit ist, dass man empathisch sein muss. Ohne die Empathie könnte man auf keinerlei Menschen eingehen, was für diesen Beruf elementar ist. So kann man sich in andere Menschen hineinversetzen, Handlungen nachvollziehen und auf sie reagieren. Mit der Empathie ist ebenfalls die Kongruenz der Mitarbeitenden verbunden. Dies bedeutet, dass man „echt“ sein muss. Das erleichtert dem Klientel das Gegenüber richtig und nicht verfälscht zu verstehen.
Hinzu kommt, dass man als professionelle Fachperson eine gute Wahrnehmungs- und Beobachtungsgabe haben muss. Dadurch lassen sich unauffällige Dinge wahrnehmen, die zu einem wichtigen Meilenstein gehören können.
Zur Wahrnehmungs- und Beobachtungsgabe gehört natürlich die nonverbale Kommunikation dazu. Für diese müssen die Mitarbeitenden sensibilisiert sein. Nicht nur, weil sie von enormer Wichtigkeit ist, sondern auch darum, weil sich vor allem Menschen mit einer Beeinträchtigung nicht immer verbal äussern können.
Weiter muss eine professionelle Fachperson klar und verständlich kommunizieren können. Die nonverbale und verbale Kommunikation muss somit übereinstimmen, was ebenfalls wieder mit der Kongruenz zusammenhängt.
Natürlich darf die Reflexionsfähigkeit einer professionellen Fachperson nicht fehlen. Nur wer sich und seine Handlungen reflektieren kann, lernt daraus und kann in künftig ähnlichen Situationen vom Handlungsrepertoire Gebrauch machen. Die Reflexion soll zum Nachdenken anregen und die Handlung soll mit anderen Mitarbeitenden angeschaut werden. Nur so lässt sich eine Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Handlungsstrategien herstellen.
Mit letzterem Punkt hängt auch das Feedback zusammen. Es ist wichtig, dass eine professionelle Fachkraft den Mitarbeitenden eine positive Feedback-Kultur vermittelt und diese auslebt.
5.6 Organisationale, infrastrukturelle, zeitliche, materielle Voraussetzungen – Womit kann ich handeln?
- Ein Mal in der Woche hat die Gruppe Teamsitzung à zwei Stunden, in der das Team klientenspezifische Themen anschauen kann.
- Sechs Stunden werden dem Team für andragogische Praxisberatungen zur Verfügung gestellt. Hierbei geht es darum, dass wir gewisse Verhaltensweisen von Klientinnen und Klienten analysieren und so zu neuen Lösungsstrategien gelangen.
- Weitere sechs Stunden stehen in Supervisionen für die Teamarbeit zur Verfügung.
- Für die Praxisausbildungsgespräche mit der Studierenden stehen pro Monat ca. vier Stunden zur Verfügung.
5.7 Wertewissen – Woraufhin richte ich mein Handeln aus? Welches sind die zentralen Werte in dieser Situation, die ich als handelnde Fachperson berücksichtigen will?
- Der Studierenden wird Verantwortung zugesprochen.
- Die Studierende soll Verantwortung übernehmen.
- Die Studierende darf in einem geschützten Arbeitsfeld Fehler machen und daraus lernen. Die Fehlerkultur wird auf der Gruppe gelebt, was bedeutet, dass Fehler toleriert werden.
- Es ist jedoch wichtig, dass offen mit diesen Fehlern oder vielmehr Problemen umgegangen wird, denn nur so können ein gegenseitiger Austausch und ein gegenseitiges Lernen stattfinden.
- Die Fehlerkultur ist dem ganzen Team bekannt. Dies wurde an einer Supervision thematisiert.
- Das Wohl der Klienten und Klientinnen steht im Vordergrund und dies soll selbstverständlich nicht durch die „Fehler“ der Mitarbeitenden „leiden“. Das bedeutet, dass ein anderer Mitarbeiter oder eine andere Mitarbeiterin sofort eingreifen müsste, wenn der Fehler zu grob wäre oder bei den Klienten und Klientinnen Unbehagen und Unsicherheiten auftreten würde